29. Februar 2016

Rezension zu "Nachts ist es leise in Teheran" von Shida Bayzar




Das Buch "Nachts ist es leise in Teheran" von Shida Bazyar ist die dichte und hochaktuelle Geschichte eine Iranischen Familie und deren Flucht nach Deutschland, die über vier Jahrzehnte hinweg erzählt wird. Es ist eine bewegende Geschichte über Liebe, Unterdrückung und Kampf, Verfolgung und Flucht, dem unbedingten Wunsch nach Freiheit und Heimkehr, und dem Leben als Exilant in Deutschland.
Jedes der Familienmitglieder, Vater Behsad, Mutter Nahid, Tochter Laileh und Sohn Mo bekommt von der Autorin eine eigene Stimme und erzählt jeweils etwa eine Dekade lang ab der Islamischen Revolution 1979 bis heute aus der eigenen Sichtweise die Erlebnisse und Empfindungen in dieser Zeit. Im Epilog spannt die in Deutschland geborene Tochter Tara den Bogen zu den ursprünglichen Zielen, Ideen und Träumen ihrer Eltern durch ihr internationales NGO-Engagement, die im Laufe der Jahre infolge  Vergessens und den Schwierigkeiten der Eingliederung in ein fremdes Land in den Hintergrund traten.

Klappentext:
1979. Behsad, ein junger kommunistischer Revolutionär, kämpft nach der Vertreibung des Schahs für eine neue Ordnung. Er erzählt von funkenschlagender Hoffnung, von klandestinen politischen Aktionen und davon, wie er in der literaturbesessenen Nahid die Liebe seines Lebens findet.
Zehn Jahre später nimmt uns Nahid mit in die deutschen Provinz, wohin Behsad und sie nach der Machtübernahme der Mullahs mit ihren Kindern flohen. Stunde um Stunde verbringen sie vor dem Radio und hoffen auf Neuigkeiten von den Freunden, die untertauchen mussten. Sie wollen zurückkehren, unbedingt, und suchen zugleich eine Heimat in der Fremde.
1999 reist Laleh gemeinsam mit ihrer Mutter in den Iran. Zwischen »Kafishaps«, Schönheitsritualen und Familiengeheimnissen lernt sie ein Teheran kennen, das sich nur schwer mit den Erinnerungen aus der Kindheit deckt. Ihren Bruder Mo beschäftigt ein Jahrzehnt später der Liebeskummer seines Kumpels Tobi mehr als die pseudoengagierten Demos der deutschen Studenten. Doch dann bricht die Grüne Revolution im Iran aus und stellt Mos Welt auf den Kopf.

Behsad, der Familienvater und marxistischer Kämpfer im Widerstand gegen das Schah-Regime, kommt im ersten Teil zu Wort. Er ist involviert in die Revolution 1979 im Iran, die zur Abschaffung der Schah-Regimes führte durch Zusammenarbeit aller oppositionellen Gruppierungen.
Zitat Seite 27
"Wie es nach einer Revolution eigentlich wirklich weitergeht, das habe ich noch niemanden laut fragen hören."
Das Ringen um die Vorherrschaft gewinnen letztendlich jedoch die Mullahs um Ayatollah Khomeini, Behsad und seine marxistischen Freunde werden verfolgt und eingesperrt genau wie andere Oppositionelle, die ursprünglich Verbündete unter Khomeini waren. Die Islamische Revolution mit der Machtübernahme Khomeinis spaltet Freunde und Familien, macht freie Männer und Frauen zu Verfolgten und Flüchtlingen.
Zitat Seite 30
"...weil der Glaube an einen Gott so viel einfacher ist als der Glaube an neue Ideen."

Der Abschnitt, den Nahid, Behsads Frau, erzählt, ist geprägt vom Exilleben der Familie in Deutschland. Das Warten auf Nachrichten aus dem Iran, Warten auf Briefe der Familie, und nicht zuletzt das Warten auf Khomeinis Tod, um zurückkehren zu können, bestimmen den Alltag von Nahid.
Zitat Seite 112
"Der Brief mit der Handschrift meiner Mutter, den zarten Strichen und Punkten, langsam über das Papier geleitet. Voller Worte, die sich bemühen, nicht nach Vorwürfen zu klingen, weil es eigentlich Sorgen sind. die sich nach Wärme anfühlen, solange ich sie nicht fertig gelesen und weggelegt habe."
Ein kurzer Rückblick berichtet von der Flucht aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland.
Zitat Seite 104
"Behsad fegt alles auf, viel ist es ohnehin nicht, stellt den Besen in die Ecke, das letzte Geräusch in dieser Wohnung. Wir lassen den Blick über die Wände gleiten, unser Versteck, unser Zuhause, wenden uns zur Tür und gehen."
Die Familie muss in der Deutschen Provinz zurechtkommen, sie wollen sich dabei eigentlich nicht richtig niederzulassen, suchen aber dennoch ein Zuhause. Die Schilderungen der Behördengänge zur Anerkennung des Asylantrages, um Arbeit suchen zu können, zum Leben in Übergangslagern und Sozialunterkünften, zum Verlorensein, Losgerissenheit und zu der Traurigkeit in der Fremde berühren tief und sind hochaktuell.
Anschluss hat die Familie schließlich bei einem linksökologischem Ehepaar gefunden, doch auch deren Verhalten ist für Nahid verwirrend und entspricht nicht dem ihr bekannten. Als die beiden erzählen, sie wären von der Polizei bei einer Blockade gegen Atomkraft weggetragen worden fragt Nahid "Wohin wurdet ihr getragen?" Hier zeigt sich die Hilflosigkeit im Umgang mit Menschen, die ihr Leben in einem feindlichem System riskiert haben und umgekehrt der Umgang der Flüchtlinge mit einer friedlichen Gesellschaft.

Laileh berichtet wiederum 10 Jahr später, zur Jahrtausendwende von ihrem Besuch in der alten Heimat Iran, gemeinsam mit ihrer Mutter und mit ihrer in Deutschland geborenen Schwester Tara.
Sie erlebt das Land im Widerspruch zwischen Tradition und vorsichtiger, durch die jahrelange Herrschaft der Mullahs zerbrochener Moderne.
Zitat Seite 185
"Die Drogen kosten hier weniger als ein Liter Milch, hat mein Onkel abfällig gesagt. Das ist ein Mittel, die Leute dumm zu halten. Religion ist Opium für das Volk, aber dieses Volk braucht das Opium, um vor der Religion zu flüchten."
Laileh bestaunt die Heimat ihrer Familie, die Geborgenheit und den Zusammenhalt, den die Großfamilie bietet, ist verwirrt über den Lärm in Teheran und im Haus ihrer Großmutter, über die vielen Menschen. Andererseits lernt sie stille Momente im iranischen Leben kennen, nachts ist Teheran still, oder der Umgang mit Angehörigen von Verschwundenen und Ermordeten passiert ebenso still.
Zitat Seite 184
"Immer sind alle so freundlich zueinander und besuchen sich höflich und lassen mich mit einem zufriedenem Gefühl zurück. Aber Zufriedenheit hält nur solange an bis es Nacht wird und irgendwer alle anderen einweiht."

Der Sohn Morad (Mo) betreibt im Jahr 2009 als Student Widerstand gegen Bildungsgebühren aus stilistischen Gründen und wegen persönlicher Bindungen. Er lebt als integrierter Mensch im Deutschen Umfeld und die politischen Überzeugungen seiner Eltern interessieren ihn nicht. Er reagiert genervt, wenn Kommilitonen politische Diskussionen mit ihm führen wollen. Das ändert sich, als er die politisch engagierte Deutsch-Ägypterin Maryan kennenlernt und gemeinsam mit ihr den Ausbruch der Grünen Revolution im Netz verfolgt. Er entwickelt Verständnis für den Kampf seiner Eltern und hofft, dass die Revolution seines Vaters nach jahrelangem Warten fortgesetzt wird.
Zitat Seite 243
"...wir werden frei sein, wir werden ohne Angst in sein Heimatviertel fahren, und die ganze Nachbarschaft wird da sein, weil Behsad da ist, Daei Behsad, Amu Behsad, er wird dort sitzen mit Ihnen, er wird Tee trinken und mit ihnen reden, langsam und bedacht, wie er immer redet, und ich werde ihn zum ersten Mal sehen, von Leuten umgeben, die so sind wie er, die gemeinsam beschließen, dass es nichts aus der Vergangenheit zu bereuen gibt."

Shida Bayzar hat ein sprachgewaltiges und stilistisch eindrucksvolles Debüt verfasst. Das Besondere an ihrem Buch ist das gekonnte Spiel mit Wörtern und Sätzen, die mal kurz und knapp, mal aufgestapelt und verschachtelt zu kunstvollen Gebilden erscheinen. Es gibt wenig wörtliche Rede, kaum Absätze, dennoch ist alles gut verständlich und nachvollziehbar. Mich hat dieser ungewöhnliche Umgang mit Sprache sehr beeindruckt und gefesselt.
Die Geschichte selbst besticht neben der Aktualität des Themas Migration vor dadurch, dass sie Erlebtes ihrer Eltern schildert und man die Verbundenheit der Autorin dazu auf jeder Seite spürt.

Shida Bayzar, in Deutschland geboren und lebend mit Iranischen Wurzeln hat ein nachhaltig eindrucksvolles, dichtes, sehr bewegendes und sprachlich außergewöhnliches Buch geliefert, das von mir volle fünf Punkte erhält.




ISBN: 978-3-462-04891-9
Erschienen am: 18.02.2016
288 Seiten, gebunden

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