27. Juli 2016

Rezension zu "Das Geheimnis des Schneemädchens" von Marc Levy


Ein skandalöses politisches Komplott, Spannung und viele überraschende Wendungen machen den neuen Roman von Marc Levy "Das Geheimnis des Schneemädchens" aus. Es war mein erster Roman dieses für seine Liebesromane bekannten Autors Buch hat mich positiv überrascht.

Klappentext
Im Wrack eines Flugzeugs, das im ewigen Eis des Mont-Blancs gefangen ist, findet Suzie Backer den Beweis dafür, dass ihre Familie zu Unrecht des Hochverrats beschuldigt wurde. Als der Reporter Andrew Stilman ihr begegnet, wittert er nicht nur eine einzigartige Geschichte, sondern er ist auch von dieser geheimnisvollen Frau fasziniert. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, doch dabei wecken sie schlafende Hunde und bringen sich in tödliche Gefahr. Denn ihre Nachforschungen führen sie auf die Spur einer unmöglichen Liebe und eines Mannes, der für ein gewisses „Schneemädchen“ sein Land und alles, woran er glaubte, verriet …

Mit sehr unkomplizierter Sprache und einer überschaubaren Anzahl von Charakteren schafft es der Autor, sehr viele Spannungsmomente zu erzeugen, indem er für den Leser undurchsichtige Verwicklungen konstruiert. Für zusätzliche Spannung sorgt die unterschiedliche Sichtweise, aus der die Geschichte erzählt wird, hauptsächlich folgt man als Leser der Sicht der beiden Hauptcharaktere Suzie Backer und Andrew Stilman.

Suzie ist als kraftvoller, willensstarker, sturer Charakter dargestellt, die alles daran setzt, das Geheimnis ihrer Familie zu lüften. Ihr Weg beginnt im ewigen Eis des Mont Blanc, dessen Besteigung durch Suzie der ersten Schritt auf dem Weg zur Wahrheit ist.
Diese anfänglichen Buchszenen im ewigen Eis des Berges, bei denen Suzie unter Lebensgefahr das verschollene Flugzeugwrack aus den 1960er Jahren sucht, haben mir sehr gut gefallen, zum einen wegen der hervorragenden Beschreibung, zum anderen wegen der subtilen Geschichte, die hier ihren Anfang nimmt.
Im weiteren Verlauf der Handlung flacht die Geschichte für meinen Geschmack leider zu sehr ab, bedient reichlich Gemeinplätze und malt zu sehr schwarz und weiß. Die anfängliche Subtilität geht immer mehr verloren, obwohl der Spannungsbogen weiter aufgebaut wird.

Der Journalist Andrew steht mental auf weniger festen Beinen als Suzie, er schlägt sich mit einer alten Liebesgeschichte und mit einem Alkoholproblem herum. Er wittert eine große Story für sich und lässt sich dafür von Suzie in ihren Bann ziehen, begleitet sie bei ihrer Suche nach der Wahrheit und begibt sich gemeinsam mit ihr in Lebensgefahr und stellt sich zugleich seinen eigenen Dämonen aus  der Vergangenheit.

Trotz des hervorragenden Plots mit einer wahrhaft skandalösen politischen Verschwörung, der vielen Spannungsmomente und der recht gut angelegten Charaktere bleibt das Buch für mich etwas blass. In Bezug auf die Handlung gibt es zwar sehr viele unerwartete und für mich als Leser wirklich überraschende Wendungen, doch die handelnden Personen verhalten sich klischeehaft ohne Ecken und Kanten, was sie leider nicht dreidimensional erscheinen lässt. Dadurch verliert der Roman in meinen Augen viel Potenzial.

Dennoch ist es ein spannendes Buch, das der französische Autor Marc Levy basierend auf fundierter Recherche geschrieben hat. Ich vergebe dafür drei Sterne.


€ 19,99 [D] € 20,60 [A] |  CHF 26,90* 
(* empf. VK-Preis)

Gebundenes Buch mit SchutzumschlagISBN: 978-3-7645-0530-1

Erschienen: 25.04.2016 

18. Juli 2016

Rezension zu "A wie B und C" von Alexandra Kleemann


Der mit dem Bard Fiction Prize 2016 ausgezeichnete Roman "A wie B und C" stammt aus der Feder der 1986 geborenen Autorin Alexandra Kleemann und ist ihr Roman-Debüt.

Klappentext:
A ist eine attraktive junge Frau. B ist ihre Mitbewohnerin, die um jeden Preis so aussehen möchte wie A. C ist der Freund von A und schaut mit ihr am liebsten Haifisch-Dokumentationen oder Pornos. Als A eines Tages verschwindet, ahnen B und C nicht, dass sie sie womöglich nie wiedersehen werden.
A wie B und erzählt mit scharfem Blick und hintergründigem Humor von unserer Obsession, perfekt zu sein: wie Realityshows, Werbung und abstruse Trends uns in Beschlag nehmen und zu Leibeigenen unseres Körpers machen.

Mich erinnert das Buch zum einen an eine sehr langsam erzählte Science Fiction - Geschichte, in der die Handlung selbst zugunsten der Charaktere in den Hintergrund tritt. Andererseits ist es eben kein Science Fiction, was den Inhalt des Buches ausmacht, sondern sehr realer, greifbarer und absurd übertriebener Körperkult und seine Auswirkungen auf der einen Seite, die Nichtigkeit und Langweiligkeit des nebeneinander her Existierens zum anderen.
Daraus resultiert eine sehr seltsame, absurde und eindringliche Geschichte, in der bedeutungslose Handlungen wie das Schälen einer Orange extrem bedeutsam werden, Realityshows tatsächlich die Realität bestimmen und schräger Esskult Ausdruck in einer Kirche der Gemeinsamen Esser findet, die sektenartige Züge aufweist und die die Menschen von der Last, einen Körper zu besitzen, befreien wollen.
Verwirrt und auf der Suche findet man als Leser dazwischen die Protagonistin A, die ihr Gesicht täglich hinter dicker Schminke versteckt, deren Mitbewohnerin B ihre Identität und ihr Leben okkupiert und deren Freund C sein Leben vor der Glotze mit Dosennahrung verbringt.

Das Buch ist ein extremer und unbequemer Spiegel, der dem Leser vorgehalten wird, ohne dass wirklich Handlung stattfindet, wodurch es sicherlich stark polarisiert. Das Thema ist verwirrend und um ehrlich zu sein keines, von dem ich gerne lese, denn ich schaue in den Spiegel und finde mich an manchen Stellen wieder. Die Atmosphäre, die das Buch vermittelt, ist düster, bedrückend und letztlich hoffnungslos.
Das Buch enthält viele merkwürdige Passagen, die die Verwirrung beim Leser auslösen. Dazu gehören zum Beispiel die Werbespots für Kandy Kake, einem synthetischen süßen Snack (der übrigens tatsächlich existiert), in dem ein ausgemergelter Kater verzweifelt immer wieder versucht, einen dieser Kuchen zu ergattern oder auch die Supermarktketten Wally, in denen die gefragtesten Produkte schwer auffindbar sind und zu diesem Zweck Regale auf Schienen ständig umplaziert werden.

Wesentliches Medium ist ungewöhnlicherweise das Fernsehen, sozialen Netzwerken oder dem Internet kommen keinerlei Bedeutung zu. Damit erfolgt die Beeinflussung nicht durch Kommunikation und Austausch, sondern durch einseitige Manipulation. Ebenso ungewöhnlich ist, dass keine Namen von Personen oder Orten genannt werden.

Es ist sicher nicht leicht, sich auf das Buch einzulassen und bei der Stange zu bleiben. Mir hat die abgedrehte und sehr ungewöhnliche Idee sowie deren Umsetzung gut gefallen, ich vergebe 4 Sterne dafür.



Alexandra Kleeman – A wie B und C 
Roman, Literatur

Original: You Too Can Have a Body Like Mine
Aus dem Englischen von Guntrud Argo, Michael Kellner
Hardcover
Format: 11,6 x 18,5 cm , 352 Seiten 
ISBN: 978-3-0369-5734-0 
21,90 EUR

Rezension zu "Und damit fing es an" von Rose Tremain



Freundschaft, Liebe und Einsamkeit in leisen und sehr eindringlichen, poetischen Tönen bestimmen den wunderbaren Roman "Und damit fing es an" der britischen Schriftstellerin Rose Tremain. Erzählt wird die Lebensgeschichte zweier Männer und die verschlungenen Umwege auf der Suche nach dem Glück und dem richtigen Leben.

Klappentext
Gustav Perle ist ein zurückhaltender Mann. Er wuchs in den 1940er Jahren allein bei seiner Mutter Emilie in ärmlichen Verhältnissen in schweizerischen Matzlingen auf und schon damals hat er gelernt, nicht zu viel vom Leben zu wollen. Als Anton in seine Klasse kommt, ein Junge aus einer kultivierten jüdischen Familie, hält mit ihm das Schöne in Gustavs Leben Einzug. Anton spielt Klavier, und seine Familie nimmt Gustav sonntags mit zum Eislaufen. Emilie sieht das nicht gerne, lebt sie doch in der Überzeugung, dass die Bereitschaft ihres verstorbenen Mannes, jüdischen Flüchtlingen zu helfen, letztlich ihr gemeinsames Leben ruiniert hat. Doch Anton ist alles, was Gustav braucht, um glücklich zu sein...

"...du musst wie die Schweiz sein. ... Du musst dich zusammenreißen und mutig und stark sein und dich heraushalten. Dann wirst du die richtige Art Leben führen."

Der kleine Gustav wird von seiner Mutter Emilie in der winzigen, ärmlichen Wohnung kurz nach Kriegsende in Matzlingen in der Schweiz sehr kurz gehalten. Es mangelt nicht nur an materiellen Dingen, so besitzt Gustav als einziges Spielzeug eine Blecheisenbahn in seinem kalten Zimmer, sondern auch Liebe und Zuneigung durch seine Mutter bleiben ihm verwehrt. Gustav ist sehr bemüht, das richtige Leben zu führen, das den durch ihn nie erfüllbaren Ansprüchen seiner Mutter genügt, jenseits aller Schönheit und allen Vergnügens, genügsam und duldsam, neutral und leise.

"Du bist vielleicht so weit Mutti, aber ich nicht. Es gibt etwas, von dem ich immer gehofft habe, ich könnte es dir beibringen, und das war, mich zu lieben. Aber es ist mir nie gelungen. Oder?"

Mit dem jüdischen Jungen Anton, der weinend als neuer Schüler in die Vorschulklasse kommt, tritt mit geballter Macht Emotionalität, Neugier und Schönheit in Gustavs bis dahin tristes und ereignisloses Leben, der er sich vorsichtig und um das Einverständnis seiner mürrischen Mutter Emilie heischend stellt. Anton profitiert von der Bodenständigkeit, Genügsamkeit und Gelassenheit seines neuen Freundes. In einem Urlaub, zu dem Antons Familie Gustav einlädt, knüpfen sie enge Bande, die ihr ganzes Leben halten sollen, obwohl sie beide lange Zeit suchend und unglücklich bleiben.

Der Roman ist dreigeteilt und berichtet zunächst von der Vorschulzeit der beiden Jungen, blickt im zweiten Teil zurück auf das Leben von Emilie und Erich Perle vor Gustavs Geburt und erzählt im letzten Teil von den beiden Männern Gustav und Anton in der Mitte ihres Lebens in den 1990er Jahren.
Alle drei Teile bewegen sich auf dem Pfad der Suche der Charaktere und beschäftigen sich mehr oder weniger mit Eventualitäten und was-wäre-wenn - Konstellationen. Das Leben entscheidet letztlich, und obwohl es bei keiner der Figuren wirklich außergewöhnlich verläuft, erzählt die Autorin mit eindringlicher Sprache und viel Sensibilität von immer wieder überraschenden Wendungen, was dem Roman trotz der eher leisen Geschichte viel Spannung verleiht.

Das Buch ist gefüllt mit eindrucksvollen emotionalen Schilderungen.
Emilie, die verbitterte und stets unzufriedene Mutter Gustavs und Gustav selbst mit seinen widersprüchlichen Gefühlen leiden beide still und duldsam.
Gustav hat sehr früh und schmerzlich gelernt, zu tun was nötig ist, um sein Leben wieder ins Lot zu bringen. Später findet er Ruhe beim zeitverschwenderischen Kartenspiel:
"Beim Zeitverschwenden ändert man das Wesen der Zeit. Das Herz wird beruhigt."
Sein Freund Anton neigt zu großen Ausbrüchen und lebt seine Emotionalität:
"Ich will nicht, dass mein Herz beruhigt wird. Ich möchte, dass es vor Freude überfließt."

Der Roman hat mich sehr bewegt und mitgerissen, ich war beim Lesen mitten im Geschehen, habe mit den Protagonisten ihre Höhen und Tiefen intensiv durchlebt. Besonders gut gefallen haben mir die leisen Töne, die poetische und dennoch einfache Sprache, mit der vieles nicht bis ins letzte Detail beschrieben, sondern oft sehr geschickt angedeutet ist. Wie anderen Rezensenten vor mir hat mich die hervorragende Übersetzung überrascht, ich hatte nie das Gefühl, ein übersetztes Buch zu lesen.
Von mir bekommt das Buch fünf Sterne und eine unbedingte Empfehlung zum Lesen.

Die 1943 geborene und in London und Norwich lebende Schriftstellerin Rose Tremain veröffentliche bisher viele Romane und Kurzgeschichten, die mit Preisen geehrt und in etwa 30 Sprachen übersetzt wurden. Sie schrieb auch für Funk, Film und Fernsehen und ihr Roman "Zeit der Sinnlichkeit" wurde 1995 verfilmt.

Roman, gebunden
333 Seiten
D 22,00 €
A 22,70 €
CH 31,50 sFr
Erscheint am 08.08.2016
ISBN 978-3-458-17684-8

14. Juli 2016

Rezension zu "Die Eismacher" von Ernest van der Kwast


In das Buch "Die Eismacher" von Ernest van der Kwast kann man sich verlieben wie in zartschmelzendes sommerbuntes Eis, es verbindet eine tragikomische italienische Familiengeschichte mit den Traditionen der Eismacherei und der Liebe zur Poesie als höchste Kunst der Literatur, ist sprachgewaltig und voller überraschender, teils skurriler Anekdoten und lässt einen beim Lesen nicht mehr los.

Inhalt -Klappentext:
Im Norden Italiens, inmitten der malerischen Dolormiten, liegt das Tal der Eismacher, in dem sich die Einwohner auf die Herstellung von Speiseeis spezialisiert haben. Giuseppe Talamini behauptet gar, die Eiscreme wurde hier erfunden. Und er muss es wissen, schließlich haben sich die Talaminis seit fünf Generationen dieser Handwerkskunst verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie nach Rotterdam über, wo sie ein kleines Eiscafé betreiben. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der älter Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Leben so sehr wie das Eis. Bis ihn eines Tages sein Bruder aufsucht: Luca, der das Eiscafé übernommen hat, ist inzwischen mit Sophia verheiratet, in die beide Brüder einst unsterblich verliebt waren. Und er hat eine ungewöhnliche Bitte...

Der Erzähler Giovanni und sein Bruder Luca, die beiden Sprößlinge der Eismacherfamilie Talamini, haben ein inniges Verhältnis. Gekoppelt mit vielen Rückblicken bis hin zu ihrem Urgroßvater, dem ersten Eismacher im Tal, begleitet die Geschichte die beiden bis zur ersten großen Liebe völlig unzertrennlichen und eng vertrauten Brüder, die beide in der Kindheit das Handwerk der Eismacherei lernen und lieben. Mit dem Auftauchen von Sophia trennen sich die Wege, der jüngere Luca bekommt das schönste Mädchen des Dorfes und die elterliche Eisdiele, der ältere Bruder Giovanni wird zum Weltreisenden für die Poesie und Literatur.

Lucas Liebe zum Eis nimmt im Roman genauso viel Raum ein wie die Giovannis Liebe zur Poesie und findet Verbindung in der Liebe der Brüder zu Sophia, die mit großem Feingefühl und dennoch voller Inbrunst beschrieben ist. Wie Planeten ein Gestirn umkreisen beide Jungen die Schöne Sophia, sobald sie im Tal der Eismacher auftaucht, nehmen zunächst gleichermaßen und ohne Eifersucht ihren Raum bei ihr ein. Sophia bleibt das Gestirn der Familie, die die Verbindung der Brüder zwischen neuen und schier unglaublichen Eiscreationen von Luca und wundervollen Poesie-Erlebnissen auf weltweiten Dichterfestivals von Giovanni ist. Man hat beim Lesen das Gefühl, die Familie rückt entweder näher zusammen oder droht zu zerbrechen, wenn Sophia unglücklich ist.

Neben Geschichten über Marco Polo und ob dieser das Eis aus China mitbrachte oder über die Erfindung der ersten Eiswaffel auf der Weltausstellung in New York erfährt man beim Lesen Hochinteressantes zur Eisherstellung, zu den ersten Eismaschinen, die mit Schnee betrieben wurden, und zum Eistransport per Schiff durch einen findigen Geschäftsmann aus dem kalten Norden Amerikas nach Kalkutta, alles immer irgendwie verbandelt mit dem kleinen Dorf der Eismacher in den Dolormiten und den Einwohnern dort. Das Buch verknüpft so auf unglaublich schöne Weise die Erlebnisse der Eismacherfamilie Talamini mit interessanten und sehr gut recherchierten Hintergrundinformationen. Mit einem Augenzwinkern kann man die Erfindung des Speiseeises und dessen Zubehör den Eismachern aus den Dolormiten zuschreiben, was durch zahlreiche kleine teils witzig-skurrile, teils tragische Geschichten belegt wird.

Ich habe selten ein so sommerliches und gleichzeitig so poetisches Buch gelesen, das eine Familiengeschichte auf derart sinnliche und lebensbejahende Weise erzählt, so dass ich am Ende traurig war, das Buch zuklappen zu müssen. Für dieses ganz besondere Lesevergnügen vergebe ich fünf Sterne und die Empfehlung, sich beim Lesen entweder in der Nähe einer guten italienischen Gelateria aufzuhalten oder ein köstliches Eis im heimischen Gefrierschrank bereit zu halten.

Roman, gebunden
Luchterhand Literaturverlag
Erschienen am 09.05.2016
€ 19,99
ISBN 978-3-442-75680-3

13. Juli 2016

Rezension zu "Cash Landing - der Preis des Geldes" von James Grippando


Das Buch "Cash Landing - Der Preis des Geldes" von James Grippando ist die Geschichte von abgehalfterten Kriminellen, denen der große Wurf aufgrund von genial einfachen Ideen gelingt und die sich dann in Ungereimtheiten und Leichtsinnigkeit verstricken, sich selbst damit Fallen stellen, so dass die Ermittler (und auch die Leser) fast Mitleid mit ihnen haben, es ist eine großartige und sehr unterhaltsame Geschichte, die sich auf ungeahnt geniale Weise zum harten Thriller entwickelt.

Inhalt:
Nachdem Ruban sein Haus und sein Restaurant unverschuldet an die Bank verliert, beschließt er, das Glück selbst in die Hand zu nehmen: Jeden Tag landen Flugzeuge mit riesigen Mengen Bargeld an Bord auf dem Miami Airport, die für die Federal Reserve Bank bestimmt sind. Zusammen mit seinem nichtsnutzigen Schwager Jeffrey und dessen kleinkriminellen Onkel Pinky stiehlt er sieben Millionen Dollar. Dies ruft nicht nur das FBI auf den Plan. Die Möchtegern-Gangster sehen sich plötzlich mehr und mehr im Fokus von wirklich schweren Jungs - nicht zuletzt dank Jeffreys zunehmender Eskapaden. Während Ruban versucht seinen Schwager im Zaum und ihnen FBI und Verbrecher vom Hals zu halten, muss er erkennen: Die richtigen Probleme fangen mit dem Geld erst an!

Anfangs ausgestattet mit vielen komödiantischen und herrlich klischeehaften Elementen hat der Hautpakteur und Drahtzieher Ruban alle Sympathien des Lesers auf seiner Seite. Er braucht dringend Geld, um sich und seine Frau aus der Finanzkrise von 2008 zu retten, seit der er nicht einmal mehr Geld für eine Autoreparatur oder ein Schmuckstück für seine Frau zum Geburtstag hat. Der todsichere Coup zum Raub von 7 Millionen Dollar gelingt völlig mühelos, doch damit beginnen die Probleme erst.
Fast slapstickhaft geht nach dem Coup bedingt durch die Dummheit der Beteiligten so viel schief, dass man als Leser Ruban wirklich wünscht, dass endlich mal etwas positives passiert, doch dass genau dies nicht der Fall ist, macht eben den Reiz des ersten Teiles des Buches aus.
Gleichzeitig ist der leichte Auftakt die geniale Basis für den Wandel der Geschichte zur Tragigkomödie und noch später zur harten und bösen Thriller, bei dem bis zum Showdown völlig unklar bleibt, ob irgendwer der Hobby-Gangster mit dem Leben aus der Misere herauskommt.

Im gleichen Zuge, wie sich das Buch durch das Auftauchen von richtig bösen Kriminellen, die in altbekannter Manier denen, die das Kastanien aus dem Feuer geholt haben, die Beute abjagen wollen, immer mehr zum Schwarzen Thriller entwickelt, erfährt man mehr aus Rubans Vergangenheit. Dadurch erscheint er als Charakter nicht mehr ganz so makellos und sympathisch.
Zunächst hat man den Eindruck, dass Ruban bedingt durch äußere Umstände allein straffällig wurde, mit fortschreitender Handlung taucht jedoch ein background auf, der ein anderes Bild zeichnet.

Die Ermittler des FBI sind genau wie die bösen Gangster der Bande dicht auf der Spur, doch die erfolgreichen Geldräuber um Ruban machen sich weiter das Leben schwer, zerfleischen sich mittlerweile gegenseitig, bauen durch Gier und Verrat ihre persönliche Hölle weiter aus und spielen damit ihren Gegenspielern in die Hände. Das Lügennetz, das Ruban zum Schutz der Bande ursprünglich schlau erdacht und situationsbedingt weiter gestrickt hat, bekommt immer mehr Löcher, durch die nicht zuletzt seine geliebte Frau Savanna blicken kann.

Das Buch, beruhend auf einer wahren Begebenheit, weiht den Leser von Beginn an in den Millionencoup ein und verfolgt auf höchst spannende und schlaue Weise die Probleme, die sich für Ruban und seine aus der Not heraus zusammengewürfelte Bande nach dem Überfall ergeben.
Mit Fast angehaltenem Atem verfolgt man zum einen den Ausgang des Geschehens, das sehr intelligent aufgebaut und erzählt und oft nur durch Verdachtsmomente geprägt ist, die zum Rätseln anregen, zum anderen begleitet man die im Laufe der Geschichte immer mehr nach vorn tretenden FBI-Ermittler und wirft gleichzeitig Blicke in Rubans Vergangenheit.
Das Ergebnis ist ein für mich rundum gelungenes Buch, das mich nicht zuletzt durch den Aufbau der Story beeindruckt und überrascht hat. Einfach genial, wie anfangs komödiantisches Geplänkel immer tragischer und am Ende zum Thriller wird. Es ist gleichzeitig die Beschreibung eines eindrucksvollen persönlichen und sozialen Dilemmas der Hauptcharakters, der durch Lügen und die daraus resultierenden tragischen Folgen keine Auswege mehr zu haben scheint.
Ich vergebe fünf Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.

Erschienen bei Harper Collins
Broschur
11.04.2016
ISBN 978-3959670272
16,99 €


12. Juli 2016

Rezension zu "Winterhonig" von Daniela Ohms



Die Autorin Daniela Ohms hat mit dem Roman " Winterhonig" eine sehr authentische und fesselnde Liebes- und Familiengeschichte aus dem Blickwinkel der Landbevölkerung mit Fokus auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges verfasst. Sie ließ sich dazu inspirieren von den Erlebnissen ihrer Großmutter, was dem Buch für mich enorme Glaubhaftigkeit verleiht.

Klappentext
Paderborner Land 1930er Jahre:
Das Leben auf dem Bauernhof ist durch die Bestellung der Felder und die Versorgung der Tiere vorgegeben. Verzicht, Disziplin und Gottesfurcht bestimmen den Alltag der jungen Mathilda wie schon den ihrer Vorfahren. Erst der Zweite Weltkrieg ändert alles. Auf einmal müssen sie und ihre Schwestern harte Männerarbeit verrichten, in der Nachbarschaft entstehen neue Feindschaften und bilden sich unerwartete Allianzen. Selbst in ihrem Dorf ist das Klima geprägt von Misstrauen und Entbehrung, selbst hier wird Mathilda Zeugin von Judenverfolgung und schrecklichen Pogromen gegenüber Zigeunern. Aber mit wem kann sie noch darüber sprechen? Mit wem kann sie ihre Angst und ihre Sorgen teilen?
Karl, die große Liebe ihres Lebens, ist der Einzige, dem sie vertraut. Aber Mathilda weiß nicht, dass er ein gefährliches Geheimnis bewahrt. Als er eines Tages spurlos verschwunden ist, bleibt ihr nur eine einzige Erinnerung an ihn: ein Glas Winterhonig.

Zu Beginn des Buches kann man als Leser in schöner Langsamkeit Mathilda bei ihrer Entwicklung vom Kind zur jungen Frau über die Schulter schauen. Ihr Leben auf dem Hof ist stark geprägt vom frühen Tod ihrer Mutter und dem entbehrungsreichen und streng katholischem Landleben zusammen mit ihren Geschwistern und dem herben und wortkargem Vater, aber auch von der Liebe zu ihrem Bruder Josef und der Freundschaft und späteren Liebe zu Karl.

Mit Beginn des zweiten Weltkrieges verfolgt man als Leser teilweise atemlos und erstarrt die damit verbundenen Schrecken, zum einen im dörflichen Paderborner Land, zum anderen als Begleiter eines Reiterbataillons zunächst in Frankreich, später im Russlandfeldzug. Die Stimmung an beiden  Handlungsorten ist geprägt von den für mich auch während des Lesens unfassbaren Schrecken und Grausamkeiten des Krieges. Aus so persönlichen Blickwinkeln wie im vorliegenden Buch beschrieben bekommt dies eine völlig andere Dimension, der Abstand zur Betrachtung fehlt, so dass ich an manchen Stellen völlig paralysiert gelesen habe.
Die Autorin scheut auch nicht davor zurück, kriegsnahe Themen wie Zwangsarbeit, SS-Zugehörigkeit von Mitgliedern der Dorfgemeinschaft und spätere Reue aufzugreifen und ebenso aus der persönlichen Blickwinkeln zu betrachten. Aufgrund hervorragender Recherchearbeit, durch eindringliche Sprache sowie eine Erzählart nahe an den Charakteren sind auch diese Teile der Geschichte sehr  glaubhaft und klingen lange nach.

"Allmählich begriff er jedoch,  der Teufel nicht damit zufrieden war, nur auf einer Seite zu stehen. In einem Krieg tummelte sich das Böse auf jeder Seite, und selbst wenn alle Menschen den Krieg verlieren würden, der Teufel würde gewinnen."

Neben den historisch fundierten Ereignissen während des Krieges und der für mich hochinteressanten Beschreibung des Lebens auf dem Land zu dieser Zeit steht auch die Liebesgeschichte zwischen Karl und Mathilda sehr im Vordergrund des Buches.
Diese Passagen sind für den Leser kleine oder große Hoffnungsschimmer inmitten all des Leids und Elends, Inseln, auf die man sich retten und verschnaufen kann. Die Liebe ist nicht nur Hoffnung für mich als Leser, sondern auch für die Charaktere Mathilda und Karl, sie sorgt dafür, dass sie nicht an den Umständen zerbrechen, was im Buch in keiner Weise kitschig beschrieben ist.
Viele Blicke in die Vergangenheit erlauben, das Verhältnis zwischen Karl und Mathilda besser einzuschätzen und lassen die beiden Charaktere dreidimensional und lebendig erscheinen, ohne dabei vom Fokus auf den Erzählstrang abzulenken. Ich fühlte mich beim Lesen mancher Passagen nicht nur als stiller Beobachter, sondern hineinversetzt ins Geschehen.

Fazit:
Das Buch halte ich für sehr gelungen und lesbar sowohl mit Interesse für historische Ereignisse und Kriegsverwicklungen während des zweiten Weltkrieges als auch für Liebhaber tiefsinniger Liebes- und Familiengeschichten.
Eindringlich und sehr fundiert bekommt man den Größenwahn des zweiten Weltkrieges, die Verfolgung von ganzen Völkern und das herbe und entbehrungsreiche Landleben vor Augen geführt, begleitet von einer klug konstruierten Liebesgeschichte. Vier Sterne für ein empfehlenswertes Buch.


Roman, Hardcover
Erschienen bei Knaur Verlag
01.04.2016
ISBN 978-3-426-65397-5
19,99 €

Rezension zu " Der Sommer, in dem wir das Leben neu erfanden" von Fabio Genovesi



Fabio Genovesi hat einen wunderbaren und ungewöhnlichen Roadtrip zum Lachen und Weinen mit herrlich skurrilen Figuren geschrieben, der den Weg aus der Tragödie hinaus zurück ins Leben zeigt, ohne jemals kitschig zu wirken.

Inhalt - Klappentext:
Am liebsten streift die dreizehnjährige Luna am Strand entlang, zwischen den noch verbliebenen Touristen im toskanischen Forte dei Marmi, und sucht nach all den besonderen Dingen, die das Meer ihr anspült. Doch ihr Leben gerät ins Wanken, als ihr Bruder Luca in Frankreich einen Surfunfall hat. Da findet sie am Strand Nachrichten, die offenbar von Luca stammen, und folgt den Spuren. Begleitet wird sie von ihrer schönen, aber hoffnungslos chaotischen Mutter Serena, dem lethargischen Lehrer Sandro, Lunas altklugem Freund Zot und dessen Opa Ferro, der seine Zuneigung gut hinter Garstigkeit zu verstecken weiß. Und zwischen antiken Legenden, Geistern der Vergangenheit und Botschaften des Meeres stolpert die Gruppe auf ihrem Riadtrip auch über die kleinen und großen Wunder des Lebens.

Man bekommt bei diesem Roman keinen Roadtrip im eigentlichen Sinne geliefert, vielmehr führt das Buch den Leser entlang eines Weges vom Glück ins Unglück und zurück ins Leben, und Geschehnisse unterwegs, die zufällig den "roten Faden" streifen, werden einfach mit erzählt, genau so wie man auf einer Reise Geschichten erzählt bekommt.

Der Weg beginnt im Glück der bildschönen Serena mit ihren beiden Kindern. Das sind Luca, der das Gestirn ist, um des alles kreist, und Luna, ihrer Albino-Tochter mit Riesensonnenbrille und Kapuzenpulli eine Außenseiterin, die jeden Tag ein Geschenk vom Meer am Strand sammelt und die man anfangs durch verworrenes Gedankenchaos des Teenagers kennenlernt.
Nach Lucas Unfall erstarrt alles, aus den Zeilen tröpfelt die unendliche Traurigkeit von Serena und Luna:
"Der Schmerz kam immer noch nicht. Vielleicht war er so riesig, dass er enorm viel Raum brauchte und dein Inneres deshalb erst einmal entleerte...Von da an fühlte es sich wie ein riesiges Loch an, in das alles hineinfällt und sich verliert. Tag und Nacht, das Verstreichen der Stunden, Mittagessen und Abendessen und dieses unnütze Licht zwischen den Lamellen der Fensterläden."

Die kleine kraftvolle Luna versucht, nach dem Unfall ihres Bruders ihren Weg weiterzugehen und den Alltag aufrecht zu erhalten. Sie muss funktionieren, weil ihre Mütter Serena es nicht tun kann. Begleitet und unterstützt wird sie liebevoll von Zot, dem geborenen Prügelknaben der Schule mit rosa Wollpulli und Altherrenmantel und seinem unfreiwillig komischen verdrehten altklugen Gehabe, der das Zusammensein mit Luna genießt.
(Gespräch zwischen Luna und Zot)
"..."Hör mal, du bist mindestens so ein Außenseiter wie ich." "Ich weiß, das ist wahr. Aber ich bin glücklich, mit dir etwas zu unternehmen, das ist der große Unterschied."..."

Sandro, der Hilfslehrer, wohnt mit 40 Jahren immer noch bei seinen Eltern und ist von völlig verrückten und gleichermaßen auf der Verliererseite stehenden Freunden umgeben. Luca war als sein Lieblingsschüler auch sein Gestirn und er gibt sich die Schuld am Surfunfall in Frankreich. Als Katechet unterrichtet er Luna und Zot, träumt davon, von seinen Schülern angehimmelt zu werden und ist verliebt in Serena. Durch seine Anstrengungen, die eigentlich überhaupt nicht seinem trägen Naturell entsprechen, gibt er Luna Hoffnung und Mut, obwohl aus seiner Sicht alles darauf ausgerichtet ist, Serena zu gewinnen.

Ferro schließlich, der unsympathische, übellaunige, an der Grenze zur Ekeligkeit machohafte Großvater nimmt Serena und Luna bei sich auf, als sie ihr Haus verlieren und ist seitdem unwillkommenes Anhängsel bei ihren Unternehmungen.

"So ist der Tod, er kommt und nimmt alles mit. Nein, das stimmt nicht, er nimmt nicht restlos alles mit, der Tod lässt immer irgendetwas da, nur hat, was er übrig lässt, nichts mehr mit dem zu tun, was vorher da war."

Letztlich funktioniert das Räderwerk der kleinen Gruppe so gut, dass Luna und später Serena zurückfinden aus der Traurigkeit und Mutlosigkeit und ihr Alltag und ihr kleines Glück wieder funktionieren kann. Erzählt wird das auf unglaublich charmante Weise gespickt mit unzähligen kleinen Episoden, die teils in die Vergangenheit, teils zu anderen Personen weisen und alle winzige Puzzleteile in einem großen völlig skurrilem und verrückten Universum sind, dessen Mittelpunkt nach meinem Dafürhalten auf sehr unkitschige Weise das Glück selbst ist.
So betrachtet macht das Lesen des Buches unglaublichen Spaß, treibt sowohl vom Lachen als auch vom Weinen Tränen in die Augen und bekommt von mir wegen besonderem Lesevergnügen fünf Sterne.




Erschienen im Insel-Verlag
D: 16,95 € 
A: 17,50 €
CH: 24,50 sFr
NEU
Erschienen: 11.04.2016
Klappenbroschur, 574 Seiten
ISBN: 978-3-458-17671-8
Auch als eBook erhältlich