28. Oktober 2018

...da waren‘s nur noch neun...



Ein rasanter und äußerst spannender Horrorthriller mit vielen Überraschungen entwickelt sich aus einer Halloweenparty in Stil der 80er Jahre.
Jonas Winner hat mit seinem neuesten Werk „Die Party“ eine packende Herbstlektüre passend zu Halloween geschrieben, mit einem kleinen Augenzwinkern in Richtung 80er Jahre Teenie-Horrorfilme und dennoch nägelkauender Spannung; und ja, man muss so etwas mögen, um das Buch lesen zu können.

Am 31. Oktober feiern zehn Jugendfreunde eine Party im Stil der 80er Jahre, auf Einladung von Brandon, dem elften, in einem Haus mitten auf einem Felsplateau. Ohne Handys, die zu Beginn der Party abgegeben werden mussten, mitten im Wald und konfrontiert mit der Erkenntnis, dass ein Mörder unter Ihnen ist, sehen sich die Gäste einem Horrorszenario gegenüber, das gruselig, schockierend und kaum vorhersehbar ist. Und auch wenn zur Auflösung tief in die Trickkiste gegriffen wurde und vieles nicht gerade realistisch erscheint ist es ein Thriller, mit dem man eine durchwachte Nacht sehr gut verbringen kann und der angenehm an den Nerven zerrt.

Wer dieses Genre mag und nachts lieber Spannung statt Schlaf sucht, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Denn die Geschichte hat einen leichten Zugang für den Leser, treibt mit großem Tempo voran, lässt am Ende (im letzten Drittel) ein Weglegen des Buches kaum zu. Das Setting mit dem 80er Jahre-feeling ist natürlich Geschmacksache, und die Charaktere hätten ein bisschen mehr Tiefe vertragen. Dafür punktet Jonas Winner mit einer gut herausgearbeiteten psychologischen Komponente, nämlich das im Laufe der Party zunehmende Misstrauen unter den Gästen, damit erinnert er an Altmeisterin Agatha Christie.

Es ist ehrlich gesagt nicht so ganz mein Genre, ich bevorzuge langsamere Geschichten. Doch ich wusste vorher, worauf ich mich einlasse, und als temporeicher Thriller ist mir das Buch 3,5 Punkte und eine Leseempfehlung für Thriller-Leser wert.


Jonas Winner hat schon viele spannende Bücher geschrieben. Geboren in Berlin, aufgewachsen dort und in Rom arbeitete er nach Studium und Promotion in Philosophie als Journalist und TV-Reporter, gründete ein Label für Drehbücher und begann 2000 mit dem Schreiben.
Alle Titel, die er bisher schrieb, finden sich auf seiner Site http://jonaswinner.com/



Jonas Winner „Die Party“
Thriller, broschiert, 368 Seiten
Erschienen im Heyne Verlag
September 2018
ISBN 978-3-453439184
12,99 €

Starke Persönlichkeit



Mitten in den Wirren des Zweiten Weltkrieges spielt das Buch „Hemingway & Ich“, bei dem es auch um die Wirren der Liebe zwischen der Kriegsreporterin Martha Gellhorn und dem berühmten Schriftsteller Ernest Hemingway geht. Die Autorin Paula McLain hat gute Recherchearbeit geleistet und die Liebe und Ehe der beiden von 1936 bis 1945 als Basis für ihren Roman herangezogen.

In einer Bar in Key West, während einer Familienreise mit Mutter und Bruder, trifft die 28jährige Martha auf den 10 Jahre älteren Ernest Hemingway, den sie als junge Autorin bewundert und vergöttert. Sie hat ihre ersten Gehversuche als Schriftstellerin gerade gemeistert, und dort, wo man im Süden Floridas der damaligen Zeit als Leser das Leben riechen und fast schmecken kann, erweist sich Ernest als vollendeter Reiseführer und Charmeur.
Für Martha tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf, sie, die Suchende und Reisende, folgt Ernest in Francos Spanien, beauftragt von der New Yorker Zeitschrift „Collier‘s“. Sie schlägt sich bei der Überfährt und in Spanien allein bis nach Barcelona durch, lebt in Madrid in Sicht- und Hörweite der Front im berühmten Hotel „Florida“ und begründet neben ihrer Karriere als Kriegsreporterin auch ihre stürmische Liebesbeziehung zu Ernest. Inmitten von Kämpfen der Republikaner gegen Francos Truppen, abendlichen Gelagen mit anderen Journalisten, Schriftstellern und Bohemians und zunächst geheimen nächtlichen Treffen mit Ernest in ihrem Zimmer lebt Martha ihren gefährlichen und für die damalige Zeit äußerst untypischen Traum.
Hemingway trennt sich nach der Rückkehr von seiner zweiten Frau Pauline, er lebt mit Martha auf Kuba und wird die Sonne in Marthas Universum, um den ihr schriftstellerisches Engagement kreist. Ernst Hemingway ist mit der Veröffentlichung seines Werkes „Wem die Stunde schlägt“ einer der bekanntesten und wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit, und auch wenn Martha mit eigenen Werken kleine Erfolge feiern kann, steht sie doch als Autorin hintenan. Es treibt sie um, und ihr unbedingter Wille zur Unabhängigkeit jagt sie aus dieser Konkurrenzsituation heraus, um erneut als Kriegsreporterin zuerst in Finnland, dann in China und später in Großbritannien und Frankreich zu recherchieren und zu berichten. 
Für Ernest wird sie damit viel zu unabhängig, er, der es gewohnt ist, der Mittelpunkt des Geschehens zu sein, beruft sich auf das damalige US-Matriarchat, auf seinen Weltruf als Schriftsteller und verbaut Martha die Chance auf weitere Berichterstattung bei der Landung der Amerikaner in der Normandie.

Paula McLain hat den Roman auf der Basis wahrer Begebenheiten geschrieben. Sehr beeindruckend und bewegend liest sich das Schicksal von Martha Gellhorn während des Zweiten Weltkrieges, in dieser Zeit, in der sie ihre Berufung als Kriegsberichterstatterin mit dem Fokus auf ganz persönlichen Schicksalen und dem Leiden der Armen während eines Krieges findet. Sie ist als ambivalenter Charakter gezeichnet, getrieben von ihrer Unabhängigkeit, ihrer Reise- und Abenteuerlust, von ihrem Ehrgeiz und gleichzeitig von ihrem Mitgefühl und ihrem Gespür für soziale Missstände, immer bereit, dafür selbst zurück zustecken. Man neigt beim Lesen zunächst ein wenig dazu, sie in die Ecke der unzufriedenen und verzogenen Göre zu stecken, die von der Sucht nach Erfolg zerfressen ist, aber das ist sie nicht. Im Laufe der Geschichte entpuppt sie sich als ernst zu nehmende Reporterin, die ihren Weg inmitten vieler Querelen sucht, zu denen nicht zuletzt gehört, dass sie eine Frau und eben kein Mann ist. Sie verleiht den Geknechteten und Unschuldigen eine Stimme, ohne selbst als Heldin erscheinen zu wollen.
Hemingway hingegen hat für mich in diesem Buch gegen Ende des Krieges eher den Eindruck eines großen Jungen hinterlassen, der gern Krieg spielen möchte und um jeden Preis dabei sein will. Er ist der große Retter und Held, kein Mann der leisen und trauernden Töne.


Der Roman bewegt beim Lesen, ist spannend geschrieben, und ich habe es sehr genossen, von dieser starken Frau, die sich unter die Fittiche ihrer Faszination für den großen Hemingway begibt, zu lesen und ihren Weg zurück in die Unabhängigkeit zu verfolgen. Martha Gellhorn ist eine beeindruckende Persönlichkeit, und diesem Ruf wird die Autorin auf dem kurzen Lebensabschnitt, den das Buch umfasst, mehr als gerecht. 





Paula McLain „Hemingway & ich“
Roman gebunden, 448 Seiten
Erschienen im Aufbau-Verlag
Oktober 2018
ISBN 978-3-351037451
24,00 €

2. Oktober 2018

Episch und sehr amerikanisch



Die Pulitzerpreisträgerin Jennifer Egan hat mit ihrem neuesten Roman „Manhattan Beach“ ein vielschichtiges, spannendes und sehr amerikanisches Buch geschrieben, das Familiengeschichte, Frauenschicksal und ein Sittengemälde New Yorks in den 30er und 40er Jahren in sich vereint und sich locker wegliest. Wer allerdings höchsten Anspruch erwartet, wird enttäuscht werden, allerdings ist ihr Stil gewohnt gekonnt, ihre Recherchearbeit zum Buch äußerst gründlich und die fast episch zu nennende Geschichte verknüpft Wahrheit und Fiktion so geschickt, dass ein Buch vorliegt, bei dem das Lesen großes Vergnügen bereitet.

Im Mittelpunkt der in den 1930er und 1940er Jahren spielenden Geschichte steht die junge Anna Kerrigan, die für Kriegszwecke in der Marinewerft arbeitet. Ihre Mutter kümmert sich um die schwerstbehinderte Schwester Lydia, ihr Vater Eddie ist verschwunden. Annas Leben ändert sich, als sie einen Taucher beim Übungsgang beobachtet, sie kämpft mutig und sehr entschlossen darum, Marinetaucherin zu werden. Und sie trifft Dexter Styles, Verbrecher, Nachtclubbesitzer und Syndikatsmitglied. Für ihn hatte ihr Vater Eddie gearbeitet, bevor er verschwand.
Anna ist als Frauenfigur gezeichnet, die in einer Männerwelt ihren Weg sucht und eisern verfolgt. Sie hat es dabei nicht leicht und muss viele Rückschläge hinnehmen, die immer mit Vorurteilen ihrer Vorgesetzten zu tun haben, nie mit ihren mangelnden Fähigkeiten, denn alle Herausforderungen des Taucherberufes meistert sie gekonnt.
Jennifer Egan schreibt mit der Geschichte der Marinetaucherin Anna eine eindringliche Hommage an Frauen, die in Männerberufen bestehen, sich ihren Weg erkämpfen müssen. Sie taucht dazu in die Vergangenheit eintaucht und ergänzt diese durch Fiktion. Denn in der Realität gab es zu dieser Zeit nie Frauen, die als Taucherinnen in der Marine waren. 

Ein großer Teil der Handlung spielt im Gangstermilieu, Anna ist auf der Suche nach ihrem Vater Eddie, und der Erzählstrang über ihn verfolgt seine Kindheit im Heim zu zwielichtigen Geschäften im Gewerkschafts- und Mafia-Umfeld.
Gekonnt verbindet die Autorin die verschiedenen Ebenen des Buches, allerdings erfordert das Lesen große Aufmerksamkeit, denn die Szenenwechsel und Übergänge bewegen sich hart an der Grenze des „Zuviel“, da die Autorin auch öfters Trips in die Vergangenheit und zurück einbaut.

Ich habe diesen ungewöhnlichen Roman sehr gerne gelesen, und auch wenn der Stoff für mehr als ein Buch gereicht hätte schaffte Jennifer Egan es die ganze Zeit, mich zu fesseln und zu beeindrucken. Völlig zu recht wurde ihr Buch mit Erscheinen in den USA von der Presse gefeiert und stand auf der New York Times-Bestsellerliste.





Jennifer Egan
Manhattan Beach
Roman, gebunden
496 Seiten, S.Fischer Verlag
Erschienen August 2018
ISBN 978-3-103973587
22 Euro