22. März 2016

Rezension zu "Der Ort, an dem die Reise endet" von Yvonne Adhiambo Owuor




Das Buch "Der Ort, an dem die Reise endet" der afrikanischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor ist ein atemberaubendes, brutales, sprachgewaltiges, wütendes, mutiges und moralisches Buch über eine höchst tragische Familiengeschichte im Rahmen der Machtkämpfe in einem zerrissenem Land, das sich dem Leser nicht leicht erschließt und hohe Konzentration beim Lesen erfordert.

Klappentext
Kenia 2007. Odidi Oganda, ein hochtalentierter Student, wird in den Straßen Nairobis erschossen. Seine Schwester Ajany kehrt aus Brasilien zurück, um mit ihrem Vater seinen Leichnam nach Hause zu überführen. Doch die Heimkehr auf die verfallene Farm im Norden des  Landes hält keinen Trost für sie breit. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, die der Mord heraufbeschworen hat und die die Familie im Griff halten: an die koloniale Gewaltherrschaft und die blutigen Auseinandersetzungen nach der Unabhängigkeit. Ajanys Mutter flieht von Wut und Trauer erfüllt in die Wildnis. Und ihr Vater muss sich einer brutalen Wahrheit stellen. Doch im Moment größter Verzweiflung entsteht auch etwas Neues: Eine Liebe - oder zumindest eine Verbindung - nimmt ihren Anfang.

"Kenias offizielle Sprachen: Englisch, Swahili und Schweigen."

Die kenianische Autorin nimmt den Leser mit auf eine atemlose Reise durch die jüngere Kenianische Geschichte vom zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 2007, jagd vorbei am Mau-Mau-Krieg in den 50er Jahren bis zur Unabhängigkeit, bebildert brutal und eindringlich Massenverfolgung und Vertreibung ganzer ethnischer Gruppen nach Vertreibung der Kolonialmacht, malt Bilder von Korruption im ganz großen Stil ebenso wie wirtschaftliche Probleme, Betrügereien und alte Seilschaften mit den ehemaligen Kolonialherren.
Die Protagonisten der Geschichte, die Mitglieder der Kenianischen Familie Oganda und die nach dem zweiten Weltkrieg nach Kenia ausgewanderten Briten der Familie Bolton balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und völliger Niedergeschlagenheit. Sie alle umgeben sich mit unausgesprochenen Geheimnissen, an denen sie schwer zu tragen haben und fast zerbrechen.

Owuor treibt die bruchstückhafte und durch viele Rückblicke und verschiedene Zeitebenen geprägte Geschichte in einem für mich völlig ungewöhnlichen, fast atemlosen Stil voran. Schneller Episodenwechsel, virtuose, bildhafte, eindringliche Sprache mit vielen poetischen und metaphorischen Andeutungen, kraftvolle Bilder der Verzweiflung, aber auch des Glückes schaffen einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.
Dies erfordert allerdings auch hohe Konzentration beim Lesen, sowohl in Bezug auf Verfolgung der Handlung als auch hinsichtlich des historischen Hintergrundes. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich während der Lektüre sehr oft Wikipedia hinsichtlich bestimmter Ereignisse bemüht habe.

Für mich hat das Buch den erschreckenden Alltag des Lebens zwischen Gewalt, Korruption, Verzweiflung und Zerrissenheit sehr greifbar gemacht. Ich betrachte es als sehr moralisches und poetisches Buch, dem man nicht anmerkt, dass es ein Debütroman ist.
Ich vergebe vier Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.


Yvonne Adhiambo Owuor
Der Ort, an dem die Reise endet
Roman
512 Seiten, gebunden mit farbigem Vorsatz und Lesebändchen
Erschienen im Dumont-Verlag März 2016
ISBN 978-3-8321-9820-6