28. März 2019

Verstörend Faszinierend




Unangenehm, ein bisschen sperrig, gespickt von trutzig-teutonischer Lyrik, verwirrend und für mich nicht durchgängig witzig ist die Satire „Zornfried“ von Jörg-Uwe Albig über den Journalisten Jan Bröck, der sich bei Recherchen zum Dichterfürsten Storm-Linné der Neuen Rechten zu verlieren droht. 
Nichts der im Buch erdachten Orte und Personen ist real, man könnte beim Lesen des Namens Zornfried mit seinem Burgherrn von Schierling zwar an Götz Kubitschek und das Rittergut Schnellroda denken. Doch vermutlich ist sowohl Burgname ein spielerischer Hinweis ebenso wie der Dichtername Storm Linné, zusammengesetzt aus Theodor Storm und Carl von Linné, dem aus Schweden stammenden Begründer der Klassifizierung von Pflanzen, was nach Aussage des Autors Albig irgendwie zur Rechten passen würde - Einteilung, Klassifizierung in Rassen. Namentlich ebenso symbolträchtig erscheint mir Freiherr von Schierling, Burgherr von Zornfried, namensgebend hier die giftigste Pflanze Deutschlands und alte Tötungsmethode - der Schierlingsbecher. Dazu gesellen sich mit Freya, Burglinde oder Teutonia als austauschbare Töchter von Schierlings und seiner Ehefrau Brigitte. 
Ergänzt wird die illustre Gesellschaft von Computer-verspeckten Möchtegern-Kämpfern, die im Burghof brüllen und sich schlagen, sich bei einer Antifa-Demo vor den Mauern der Burg gemeinsam mit den Burgbewohnern und reichlich Sekt auf dem Burgturm verschanzen, fröhlich ihre Unerreichbarkeit als Sieg feiernd, von Juristen, Studienräten, Burschenschaftlern, und böse-genialen Filmemachern die sich regelmäßig zur Tafelrunde und Gedichtrezitation Storm-Linnés versammeln.
Dazwischen bewegen sich der Journalist Jan Brock und die Journalistin Jenny Zerwien von der Konkurrenz auf ihrer Reportagereise wie zwei Fremdkörper inmitten all des Deutschtums, beide Gefahr laufend, die Orientierung zu verlieren inmitten all der Teutonik, abstoßend und zugleich faszinierend  weihevollen Waldgängen, Kampfesproben. Für Jan Brock drohen sich die Grenzen zwischen Beobachtung aus Abstand und dem Willen nach Teilnahme und Zugehörigkeit zu verwischen, doch in seinem allabendlichen Rückweg zum Gasthaus im nahegelegenen Wuthen verschafft er sich mit (ebenso erdachter) Musik von Shit Tsunami oder Braineaters wieder seine Erdung.
Mehrere Tage begleitet Brock als freier Journalist den Burgherrn von Schierling auf dessen Einladung, nachdem er einen kruden Verriss der Lyrik von Storm-Linné verfasste, um einen intensiveren Eindruck vom schwülstig teutonisch-weihevollen Dichter Storm Linné zu erhaschen, mit angeborener Neugier und getreu seinem Motto, dass man über alles, was es gibt, schreiben muss, getreu seinen Vorbildern im Gonzo-Journalismus, die mit Rockern kifften und prügelten, um über sie zu berichten. Im Geiste ein solcher Rebell stolpert er dennoch in die Fallstricke, die seit Jahren von der Rechten ausgelegt werden, nämlich Publicity um jeden Preis zu bekommen. Er beginnt an den rechten Ritualen teilzunehmen, unbemerkt nickend, auf dem Burgturm heimlich am Sekt nippend, immer in der Hoffnung, dass es nicht gesehen und bemerkt wird...und er verschafft den Rechtsintelektuellen Vordenkern zumindest zeitweise genau das, was sie wollen.


Richtig unheimlich und gruselig, markig-romantisch und erdig-blutig ist die kleingeschriebene Lyrik, die Jörg-Uwe Albig für den Roman schuf:

„Und wenn auch brunst-geschmeiß und vieh die kirchen fluten
Wenn hass aufs eigne schrill von den altären klingt 
Wenn üble priester mann und mann vermählen 
Und grauser chor der massen herrschaft singt
So bleibt uns doch der größte dom von allen 
Wo wahrhaft frommer sang durch kuppeln hallt
Wo licht durch säulen bricht und grüne ornamente 
So bleibt uns doch der ewig deutsche wald“

Zum Glück umgibt diese mystifizierenden Gedichte mit perfektem Versmaß und Rhythmus eine bitterböse Satire, andernfalls könnten sie durchaus aus der Ultra-rechten Ecke stammen. 
Und natürlich ist der Roman trotz aller satirischen Persiflage auf die Homestories aus Schnellroda von einer entscheidenden Grundfrage geprägt: Wie weit darf journalistische Neugier gehen? 

Ich fand es nicht ausschließlich witzig, was ich gelesen habe. Aber gelesen werden muss dieses Buch meiner Meinung nach. An hellen Sonnentagen und weit weg vom Wald.



Zornfried von Jörg-Uwe Albig
Roman gebunden, 208 Seiten
Verlag: Klett-Cotta
Erschienen am 28.02.2019
ISBN 9783608964257
Preis 20€

13. März 2019

Unterhaltsamer Mix aus Fakten und Fiktion




Der zweite Roman des Autors Graham Moore ist eine Hommage an Arthur Conan Doyle und seinen berühmten Detektiv Sherlock Holmes, ein gelungenen Mix aus Fakten und Fiktion. Moore war schon mit seinem ersten Roman um die Erfindung der Elektrizität durch Thomas Edison sehr erfolgreich und bewies bereits da, dass er neben guten Drehbüchern auch spannende Historien gut recherchiert in Romane umsetzen kann. Dies ist ihm bei dem nunmehr vorliegenden Buch „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ sehr gelungen.

Der Autor Arthur Conan Doyle begibt sich auf Mörderjagd: im Stil seiner Romanfigur Sherlock Hommes, die er zuvor in einem Roman sterben ließ weil er ihrer überdrüssig war, versucht er in den Straßen des viktorianischen London zusammen mit seinem Freund Bram Stoker (der Autor von „Dracula“) den Mörder eines „leichten Mädchens“ zu finden und gelangt dabei in finstere und zwielichtige Verstrickungen.
Einhundert Jahre danach wird der Sherlockianer Harold in einen mysteriösen Mord-Fall verwickelt, bei dem es um das verschollene Tagebuch des von ihm verehrten Autors Arthur Conan Doyle und um einige berühmte Fälle von Sherlock Holmes geht.

Graham Moore spielt geschickt mit Fakten und Fiktion, sowohl in der Vergangenheit als auch im Gegenwartsplot. Abwechselnd und wie bei einem komplizierten Puzzle ergeben sich die Zusammenhänge um den leicht arroganten und etwas kauzigen Schriftsteller Doyle, der sich wie sein berühmter Detektiv mit der Dummheit der Scotland Yard-Beamten herumschlägt und mit verärgerten Lesern seiner Romane zu tun hat, und um den tölpelhaften und eher unbedarften Harold, der bei den Ermittlungen liebenswert, wenn auch oft ungeschickt, voranschreitet und sich selbst übertrifft. 
Mit feinem Witz, spannend und mit großer Lust an Fabulieren bietet Graham Moore dem Leser seine Geschichte dar, die nicht tiefsinnig, aber dafür durchaus unterhaltsam ist.

Mir gefiel der historische Bezug zu realen Figuren und die Krimigeschichte ganz ausgezeichnet, etwas weniger spannend fand ich hingegen den Gegenwartsteil, weshalb ich einen Stern in der Bewertung abziehe. Doch lesenswerte Unterhaltung ist das Buch auf jeden Fall.



Graham Moore
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete
Roman Hardcover, 480 Seiten
Erschienen im Eichborn Verlag
Februar 2019
ISBN 978-3-8479-0038-2
Preis 22 €

10. März 2019

Sprachgewaltige Melancholie





Düster und melancholisch ist Lars Myttings neues Buch „Die Glocke im See“, das Auftakt einer Norwegischen Familiengeschichte ist. Historisches und Mystisches gepaart mit einem Sittengemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts in einem abgelegenen Tal ergeben eine höchst interessante Mischung.

Im Winter 1880 ist es in der uralten Stabkirche von Butangen für die Gemeinde zu eng und so kalt, dass eine alte Frau beim Neujahrsgottesdienst erfriert. Daher verkauft der junge Pastor Kai Schweigaard die Kirche, wie so viele andere Norwegische Gemeinden auch, mitsamt allen Inventars. Dazu gehören auch zwei Glocken, die ein Vorfahr der seit gut 400 Jahren ortsansässigen Familie Hekne einst der Gemeinde spendete, und in die damals nicht nur das komplette Tafelsilber der Familie mit gegossen wurde, sondern um die sich mystische Legenden von zwei Zwillingsmädchen und ihrer Mutter ranken. Die Glocken läuten angeblich von selbst bei Gefahr für die Gemeinde, und haben dank des Silbers einen außergewöhnlichen Klang. Der Junge Pfarrer, kein Anhänger alter Bräuche und Mythen, stößt auf Widerstand, als der Verkauf der Kirche bekannt wird, besonders bei Astrid, der stolzen ältesten Tochter vom Hekne-Hof. Ein junger Architekt aus Dresden reist im Auftrag des Sächsischen Königshofes nach Butangen, um Zeichnungen der Kirche anzufertigen und ihren Abbau dort zu organisieren und den Transport nach Deutschland zu überwachen. Astrid verliebt sich in Gerhard, fühlt sich aber auch zu Kai Schweigaard hingezogen und versucht gleichzeitig, die Glocken für die Gemeinde zu retten.

Lars Mytting erzählt in unglaublich bildhafter Sprache vom Leben im ausgehenden 19.Jahrhundert, von am Hang klebenden kargen Höfen, von Kälte, Hunger und Armut und der extremen Rückständigkeit. Die Christianisierung war im damaligen Norwegen zwar weit fortgeschritten, Pastoren hatten ihren festen Platz, aber der Aberglaube und die mystischen Schaudergeschichten beherrschten das ländliche Leben. Im Roman wird genau das durch die Person des fortschrittlichen Pfarrers Kai transportiert, der versucht gegen alte Bräche anzukämpfen und dabei wenig Verbündete findet. Astrid stellt eine der wenigen in Butangen dar, die klar und fortschrittlich unkompliziert denkt und aufgeschlossene Ansichten hat, sehr untypisch für eine Frau der damaligen Zeit ihre Meinung äußert. Dennoch ist sie in den Legenden und Bräuchen ihres Umfeldes verwurzelt und sträubt sich gegen das Karrieretum, das Kai verkörpert.

Höchst interessant finden sich im Buch viele Details zur Geschichte der Stabkirchen, von denen tatsächlich viele verkauft, abgebaut und andernorts wieder aufgebaut wurden. Der damit verbundene schale Beigeschmack des Deutschtums zwecks Bewahrung und Hochhaltung germanischer Wurzeln im Norden, das sicherlich der Auslöser für die damalige Euphorie für die alten Stabkirchen gewesen ist, wird hervorragend und gänzlich ohne den oft so störend erhobenen Zeigefinger serviert. 
Es war mir übrigens beim Lesen ein großes Vergnügen, mich mit einzelnen im Roman erwähnten alten Norwegischen Kirchen näher zu befassen.

Diese großartige, spannende, von Melancholie und Mystik überstäubte Geschichte, die mir im Hinblick auf das alte Norwegen tiefe Einblicke gab, mit feinsinnigem Humor und sehr bildhafter Sprache geschrieben, kann ich nur empfehlen zu lesen. Weise und traurig, gewebt wie ein Teppich der sagenhaften Hekne-Schwestern, ist das Unglück und die Tragik gerade noch auszuhalten, durchzogen von glücklichen Momenten. Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Teil.


Lars Mytting
Die Glocke im See
Roman, Hardcover, 482 Seiten
Erschienen im Januar 2018
Verlag: Insel
ISBN 978-3-458-17763-0

Preis 24,00 €



9. März 2019

Dystopisch




Der Autor John Lancaster schrieb seinen fünften, diesmal dystopischen Roman „Die Mauer“. Es geht um Abgrenzung und Ausgrenzung von Klimaflüchtlingen, Bedrohungen von außen und aus den eigenen Reihen, Schuldfragen der vorangegangenen Generationen in einem offenbar totalitäten System. 

Der junge Joseph Kavanagh tritt seinen zweijährigen Dienst als Verteidiger der Mauer an. Er findet seinen Platz innerhalb seiner Einheit in soldatischer Manier, als Balanceakt zwischen Befehlskette und Gehorsam, Kameradschaft und der engeren Verbindung zu einer jungen Frau namens Hifa muss er agieren, während Trainingseinsätzen wird er auf den Ernstfall eines Angriffs durch die Anderen vorbereitet. Denn der Gegner ist äußerst gefährlich, da die Anderen nichts zu verlieren haben. Und der Preis ist hoch, wenn er versagt: Kavanagh wird verstoßen und selbst aufs Meer geschickt, wird selbst zum Anderen.

Kavanagh beschäftigt sich zu Beginn des Romans mit diesem monströsen Bauwerk Mauer, seiner Kälte, seiner Größe, seiner Ödnis und Langeweile. Zunächst ist nicht klar, wo die Mauer steht, es könnte jeder beliebige Befestigungswall sein, verbunden mit der unendlichen Langeweile und Kälte, die mit dem 12-stündigen Starren auf Meer innerhalb einer Schicht zwangsläufig aufkommt. Man denkt unwillkürlich an „Game of Thrones“ von George R.R.Martin, an Franz Kafka „Das Schloß“ oder sogar auch an den Römischen Limes oder die Berliner Mauer. Flach, knapp und kalt ist die hier Sprache gehalten, offenbar gewollt platt, wenige kalte Wörter werden zu Bildern oder zum Haiku angeordnet, und vermitteln dadurch sehr eindringlich ein Gefühl für die Kälte, die den Tod auf der Mauer bedeuten kann, für die Sinnlosigkeit und und die Geringschätzung der Menschlichkeit. Dieser Beginn ist übrigens für mich der beste Teil am ganzen Buch.

John Lancaster hat ein Buch geschrieben, das zum einen dystopisch ist, zum anderen eine ziemlich konkrete Vorlage für die Zukunft zeigen soll mit Blick auf momentane populistische und nationalistische Bewegungen. Haltungen statt Handlungen stehen im Vordergrund, konzeptionelle Fragen spielen eine große Rolle, wie übrigens in vielen berühmten Dystopien, weniger der Hintergrund und das Hinterfragen. Doch genau das stört mich auch am Buch. Es entwickelt sich zwar im Verlauf der Handlung zu einem durchaus spannenden Abenteuerroman, sofern man Abenteuer mit Armee-Hintergrund und Heldentum mag, aber die Charaktere sind mir viel zu blaß, zu wenig mit inneren Konflikten beschäftigt, die die Situationen zwangsläufig verlangen. Die Geschichte selbst ist zudem bar jeder Hintergrundinformation. Man liest wie ein Blinder und bekommt keinerlei Hinweise darauf, was den „Wandel“ bewirkte, worin die Schuld der vorangegangenen Generation besteht, ob sie überhaupt besteht oder ob dies nur ein jugendliches Rebellieren gegen die Eltern ist.
Natürlich könnte man als Leser Parallelen ziehen zur aktuellen klimatischen und politischen Situation, zur Zunahme der Abschottung gegenüber Flüchtlingen, zum sorglosen Umgang mit der globalen Erwärmung, aus der sich viele denkbare Katastrophen ergeben könnten, aber das Buch regt mich nicht dazu an, sondern ich habe das Gefühl, ich soll unbedingt blind bezüglich des großen Überblicks bleiben. Und das gefällt mir leider gar nicht.

Dem Buch wird große Aktualität bescheinigt, die für mich so nicht gut nachvollziehbar ist. Denn aktuell wird es erst durch die Besprechungen oder durch den Verlag mit Hinweisen auf Brexitdiskussionen, Abschottung und Klimawandel, mögliche apokalyptische Wandlungen, die angepasstes Handeln erfordern sollen, weniger durch die Handlung und die Geschichte selbst. 
Soll ich aus dem Buch apokalyptische Vorstellungen einer möglichen Zukunft herauslesen und angstvoll mein Handeln anpassen? Ähnliche Dystopien totalitärer Systeme wie die vorliegende wurden bereits im vergangenen Jahrhundert geschrieben, im übrigen besser als hier mit sich konsequent durch die Geschichte ziehender Kälte, und die mich dadurch mehr bewegt haben.


John Lanchester „Die Mauer“
Roman, Hardcover, 348 Seiten
Erschienen am 31.1.2019
Verlag Klett-Cotta
ISBN 978-3-608963915

Preis 24 € 

Heilkraft der Natur





Bienen als Lebensretter? Bei der Autorin Meredith May funktioniert das sehr gut in ihrem autobiografischen Memoir-Buch „Der Honigbus“. Es ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das aus einer zersplitterten Ehe und Familie stammend sich den Bienen ihres Großvaters zuwenden kann und sich letztlich dabei selbst findet.

Meredith muss mit fünf Jahren miterleben, wie die Ehe ihrer Eltern zerstört wird. Ihre Mutter zieht sich vor ihr zurück, Meredith findet beim Großvater Unterschlupf und Liebe. Meredith lernt bei ihm viel über Bienen, über ihre Verhaltensweisen, über ihre Gemeinschaft und nicht zuletzt üb3 die Imkerei. Im Laufe der Geschichte und ihrer Entwicklung vermag sie aus dem Wissen um die Bienenvölker Trost und Kraft zu schöpfen, sie beruft sich auf deren Vertrauen und Loyalität zueinander, aus dem die Stärke eines Volkes entsteht. Das hilft Meredith, die Einsamkeit durch den von Bienen vorgelebten Gemeinschaftsgeist zu überwinden, sie macht sich die Geduld der Bienen zueigen und so werden die Bienen zu Rettern für das geschundene Mädchen.

Das Buch der Journalistin und Bienenzüchterin Meredith May ist mit großem Können, viel Empathie für ihre Figuren und in klarer und dennoch sehr bildlicher Sprache geschrieben. Es ist ein sehr gelungener Mix aus Autobiografie, Sachbuch und Roman, den ich gern gelesen habe, bei dem ich mit der Protagonistin gelitten und mich auch für sie gefreut habe und der mir zugleich einen guten Einblick in die Welt der Bienen und des Imkerns gab. Das Buch ist sehr empfehlenswert als interessante und spannende Unterhaltungslektüre, mit einer hoffnungsvollen und berührenden Hommage an die Natur und an die Bienen.





Meredith May ist Imkerin in fünfter Generation. In ihrem Memoir »Honigbus« erzählt sie von den Lebenslektionen, die sie von den Bienen ihres Großvaters in Big Sur lernte und die für sie die Rettung aus einer schwierigen Kindheit bedeuteten.
May ist eine preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie schreibt für den »San Francisco Chronicle« und gewann den PEN USA Literary Award for Journalism und wurde für den Pulitzer Preis nominiert. Sie lebt in der San Francisco Bay Area und hält dort den letzten Bienenstock ihres inzwischen verstorbenen Großvaters. »Der Honigbus« wird in elf Sprachen übersetzt.

(Quelle: Verlagsseite S.Fischer Verlag)



Meredith May „Der Honigbus“
Roman, Hardcover, 320 Seiten
Erscheinungstermin 13.03.2019
S.Fischer Verlag
ISBN 978-3-103973822

Preis € (D) 22,00 | (A) 22,70

3. März 2019

Schräge und mitreißende Familiengeschichte

Quelle: randomhouse.de

Eine sprachliche Wundertüte ist der neue Roman von Markus Zusak „Nichts weniger als ein Wunder“, mit einer Geschichte über fünf Brüder, die den viel zu frühen Verlust ihrer Mutter verkraften mussten und sich allein durch Leben schlagen, zusammen stehen obwohl es auf den ersten Blick nach Zersplitterung und ewigen Jungskämpfen aussieht. 
Gegen den Strich und ungewohnte Konzentration abfordernd ist die Sprache, zerpflückt und zersprungen, danach neu und sehr poetisch zusammengesetzt bildet sie eine Einheit mit und zu der Geschichte der raufbeinigen Dunbar-Brüder, die ebenfalls zersplittert scheinen und sich neu zusammenfügen müssen.

Als die Dunbar-Jungs noch viel zu klein dafür sind müssen sie ihre Mutter Penelope beim Sterben begleiten. Der Vater Michael unterscheidet sich in seiner Hilflosigkeit nicht wirklich von seinen Söhnen, die Familie lebt monatelang im Ausnahmezustand mit „diesem Sterbekram“ ihrer Mutter. Sie rücken zusammen, nah an Penelope, die Jungs schwänzen Schule um bei ihr am Bett zu sein, raufen, streiten und lieben sich.
Der älteste Sohn Matthew erzählt die Geschichte um die Erinnerungen, tippt sie oft zunächst nur an, um sich dann wieder zurückzuziehen und später mit voller Wucht anzusprechen, und was ihm und seine Brüder schmerzt tut auch beim Lesen entsetzlich weh. Die Geschichte pendelt zwischen der Vergangenheit von Penelope und von Michael, des Kennenlernens und der Liebe von Penelope und Michael, dem Sterben der Mutter und der Gegenwart, in der Clay dem Vater beim Bau einer Brücke hilft, hin und her. Unsagbar viele Kleinode an Erinnerungssplittern prägen in allen Zeiten das Bild einer versehrten Familie, die auf völlig verrückte Weise mit Schmerz umgeht, jeder der Brüder auf seine Weise, und dennoch mehr auszuhalten vermag als man ihr zunächst zutraut.

Man braucht Zeit, um in die Geschichte hinein zu finden, die anfangs aus vielen Fäden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, gewoben ist. Es scheint so, als wolle Zusak in ersten Teil zunächst das Durchhaltevermögen seiner Leser testen, bevor er sie im zweiten Kapitel an der Hand nimmt und durch sein Gespinst führt, und es entwickelt sich ein großer Sog, zwar immer noch mit vielen Anfangen ohne Ende, doch auch mit dem klaren Gefühl, dass sich am Ende alles irgendwie fügen wird. Und dies ist kein leeres Versprechen des Autors an den Leser, denn am Ende ergibt wirklich alles einen Sinn.
Und auch wenn es zunächst nicht so wirkt ist das Buch „Nichts weniger als ein Wunder“ ein zwar lange Zeit rätselhaftes und fast verwunschenes, aber eben auch sehr tröstliches und hoffnungsvolles Buch, das eine großartige, fesselnde Geschichte erzählt, völlig ohne Pathos, Gemeinplätze vermeidend, und eben gerade dadurch äußerst berührend, nachhallend und glaubhaft. Es lohnt sich, den verwirrenden und episodenhaften Beginn des Buches durchzustehen, sich an die fast märchenhafte, symbolträchtige Sprache zu gewöhnen, denn dann eröffnet sich ein wirklich gelungener, Roman, soghaft und voller Licht, in dem in einer leidgeprüften und scheinbar absolut kaputten Familie großartige Liebe und Zusammenhalt bestehen bleibt.

Fazit
Auch wenn ich mir zu Beginn eine etwas weniger poetische Sprache und einen leichteren Zugang gewünscht hätte, ergibt am Ende alles einen Sinn, bewundernswert fügt sich jedes noch so kleine Teilchen ins große Ganze und dieses wirklich bewegende Buch kann ich nur empfehlen.
Denn: letztlich muss alles so sein, und eine kürzere, unkompliziertere Geschichte hätte ich im Nachhinein betrachtet nicht gerne lesen wollen.



Markus Zusak
Nichts weniger als ein Wunder
Roman, gebunden, 640 Seiten
Erschienen im Limes Verlag am 4. Februar 2019
ISBN 978-3-809027065

Preis 22€ (D)