6. November 2016

Rezension zu "Golden Boy" von Aravind Adiga


Ein Blick hinter die Kulissen

Der Indische Journalist und Autor Aravind Adiga, der mit seinem Roman "Der weiße Tiger" den renommierten Man Booker Price 2008 gewann, hat in seinem neuesten Buch den Nationalsport Indiens - Cricket - thematisiert. 
Er verknüpft die Heilige Kuh Indiens mit dem gesellschaftskritischen Bild der Gegenwart dieses Landes, das keinesfalls zum schillernden Bollywood passen will. 

Mit satirischer, fast schelmenhafter Erzählart bowlt der Kosmopolit Adiga in schneller Abfolge literarische Bälle auf den Leser, die mich getroffen und betroffen gemacht haben, lachen ließen und mir großes Vergnügen bereitet haben. 

Der Zugang zum Roman ist nicht leicht. 
Als Kontinentaleuropäer hatte ich vor der Lektüre keine Ahnung von Cricket. Und auch in Bezug auf die Gesellschaft im heutigen Indien, insbesondere über den Rummel um den Nationalsport - über die Talentscouts, Wettbetrüger, windigen Geschäftemacher, ehrgeizigen Familien, die ihren Jungen durch Cricket gesellschaftlichen Aufstieg verschaffen wollen, Cricket-Gottheiten und Cricket-Clubs und deren Gepflogenheiten, bin ich nicht gut informiert. 

Doch die Mühe beim Einstieg hat sich sehr gelohnt und ich konnte einen grandiosen Entwicklungsroman über die Jugend der beiden Brüder Manju und Radha verfolgen. 

Indien, so der Autor im Anhang, kennt eigentlich nur zwei Religionen: Kino und Cricket. 
Nach der Lektüre bin ich geneigt, das zu glauben. 
Es gibt geheime Verträge mit Göttern, Hindu-Gottheiten und deren Tempel, in denen für den Erfolg im Cricket gebetet und geopfert wird, fast an Gebete erinnernde Rituale zu Beginn des Auftritts eines Schlagmannes auf der Pitch (der rechteckige innere Bereich eines Cricket-Spielfeldes), Gelübte für die Keuschheit zur Unterdrückung niederer Instinkte als Garant für den Aufstieg als Cricket-Star. 
Der Mythos lockt Jungen zum Aufstieg aus indischen Slums in ein besseres Leben, 
aus Schulmannschaften werden Spieler für die Indische Nationalmannschaft dieses einstigen Sportes der Oberschicht gewählt. 
Young Lions werden zu Cricketlegenden, Jungen aus der Provinz und aus armen Stadtteilen von Mumbai sind die hungrigsten und ehrgeizigsten, werden von Familie und Nachbarn gefördert, gefeiert und verehrt. 

Aravind Adiga erzählt die Geschichte zweier Brüder aus Dahisar, einem Slum in Mumbai, 
die von ihrem ehrgeizigen und verrücktem Vater Mohan Kumar ohne Einhaltung irgendwelcher Schamgrenzen zu Cricket-Schlagmännern herangezüchtet werden und auf dem Weg nach oben sind. 
Auf dem älteren Radha liegen alle Hoffnungen und Wünsche des Vaters und er wird bevorzugt gefördert, der jüngere und talentiertere Manju lernt und trainiert gemeinsam mit seinem Bruder widerspruchslos, eisern und diszipliniert, so dass er selbst mit gebrochenem Daumen auf der Pitch bleibt und Bälle weiterschlägt, als sei nichts gewesen. 
Manju stellt alle Bedürfnisse und Wünsche hintenan und verleugnet seine Persönlichkeit für den Erfolg, als dieser in Form eines windigen Förderers und Ivestors an die Tür klopft. 
Die Verhandlungen über die Finanzierung und Unterstützung von Radha und Manju zwischen Vater, Talentscout und Investor erinnern an einen Viehmarkt. 

Manju bekommt seine Cricket-Laufbahn, aber zu einem hohen Preis. Er gibt seinen Traum vom Studium der Naturwissenschaften auf genau wie er seine homosexuelle Neigung komplett unterdrückt, um Erfolg im Cricket haben zu können. 
Und der ältere Bruder Radha bleibt auf der Strecke, weil er es nicht schafft, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen, auf die schiefe Bahn gerät und nicht wieder zurück finden kann. 

Die beiden Brüder Manju und Radha sind sehr aufmerksam gezeichnete und komplexe Charaktere, die eindrücklich durch die Nebenfiguren unterstrichen werden. Die wichtigste dabei ist Manjus Freund Javed. Er ist fast ein ins Gegenteil gekehrtes Bild des jüngeren Bruders. Javed stammt aus reicher Familie, muss nichts beweisen, steht zu seiner Homosexualität und will auch Manju dazu bringen, sich seinen Neigungen und Wünschen zu stellen.
Er setzt Manju in einer Gesellschaft, in der Homosexualität unter Strafe steht, damit gehörig unter Druck, dem dieser nicht standhält und in den Schoß des Cricket zurück kehrt. 

"Ich kenne eigentlich niemanden, der Cricket schätzt. Ich meine, Lunchpause! Spiele, bei denen Lunchpausen üblich sind, sollte man nicht als Sport bezeichnen." 

Cricket ist zwar das Feld, auf dem der Roman angesiedelt ist, doch es geht um weit mehr als um den Sport. Cricket selbst ist der Schauplatz der Doppelmoral der indischen Gesellschaft, gibt Platz für den Zwist zwischen Tradition und Moderne, für soziale und gesellschaftliche Verbandelungen und Brüche. Aravind Adiga räumt mit Bezug auf das beliebte Spiel auf und hat den Daumen der Kritik tief in der Wunde, zum Beispiel auf Seite 116: 
"...Wissen sie, wir sitzen auf einer Zeitbombe: Weil Mädchen im Mutterleib getötet werden, fehlen unserer Bevölkerung ungefähr zehn Millionen Frauen....... Ich prophezeie ihnen, dass junge indische Männer zunehmend geistesgestört werden, weil sie keine Frauen zum Heiraten finden, und nicht einmal welche, mit denen sie sich paaren können. ...Nur eines kann uns vor diesem geballten bösartigen Hindu-Testosteron schützen: Cricket......". 

Das Buch strotzt von teils sehr zynischen oder schelmischen Lebensweisheiten, die nebenbei und lapidar dargeboten werden, wie auf Seite 54: 
"Rache ist der Kapitalismus der Armen: die Art und Weise, wie sie die ursprüngliche Wunde bewahren, unmittelbare Genugtuung aufschieben, die erste Beleidigung mit neuen Beleidigungen mästen, Bosheit investieren und reinvestieren und auf den perfekten Augenblick warten, um zurückzuschlagen." 

Ich empfehle das Buch allen, die keine Angst vor anspruchsvollen Romanen haben und für konzentriertes Lesen belohnt werden möchten. Auch für Nicht-Sportbegeisterte entpuppt sich das Buch als ein genialer Schmöker, der eine verrückt-tragische Familiengeschichte ohne klassisches happy end gespickt mit viel Kritik an der Indischen Gesellschaft erzählt, ich vergebe fünf Sterne.



Aravind Adiga
"Golden Boy"
Roman, gebunden, 335 Seiten
Aus dem englischen von Claudia Werner
Erschienen am 19.09.2016
ISBN 978-3-406-69803-3
21,95€

Hörbuchbewertung "Die Insel der besonderen Kinder"



Das von Simon Jäger gelesene Hörbuch "Die Insel der besonderen Kinder" ist ein gelungener Auftakt einer fantastischen Grusel-Trilogie nach der Romantrilogie von Ransom Riggs, es ist schaurig schöne Fantasy passend zur Jahreszeit.
Simon Jäger, der als Synchronstimme von Matt Damon oder Josh Hartnet bekannt ist, erweist sich als sehr gelungene Wahl, um die düstere Gruselstimmung in diesem Hörbuch gekonnt zu transportieren.

Jacob hört seit seiner Kindheit von seinem aus Polen stammenden Großvater Geschichten über ein seltsames Kinderheim auf einer Insel, in der besonderen Kinder wohlbehütet und beschützt leben, über Monster auf der Jagd nach diesen Kindern und über die Abenteuer, die der Großvater selbst dort erlebt hat, als er in dem Kinderheim aufwuchs. Als der Großvater stirbt glaubt der nunmehr 15jährige Jacob an einen Mord und meint für einen winzigen Moment, die schrecklichen Monster aus den Geschichten im Unterholz ausmachen zu können. Psychiatrische Behandlung, von Jacobs Eltern angestrengt, um dem Jungen klar zu machen, dass er sich alles nur eingebildet hat, hält Jacob dennoch nicht davon ab, an die Insel der besonderen Kinder zu glauben und sie zu suchen. Ganz allmählich hebt sich der Vorhang für Jacob und für den Hörer gleichermaßen, Mystik und Spannung beherrschen ab da die Geschichte, die Insel existiert genauso wie die Monster, die Jacob dorthin gefolgt sind.

Man begibt sich als Hörer geführt von einem hervorragenden Sprecher in ein Reich aus Fantasie, Mystik, Spannung und Witz, das eine wirklich originelle Geschichte umrahmt. Mir hat besonders der ständige Bezug zur Realität, sowohl im Hinblick auf die Handlung selbst als auch in Hinsicht auf Interpretationsmöglichkeiten für die Monster, die besondere Kinder während des Zweiten Weltkrieges weltweit verfolgten, gefallen. Es ist ein schöner Gedanke, dass ein Zufluchtsort geschaffen werden könnte, den ein Junge auch aus der heutigen Zeit heraus finden kann. Dass dort nicht alles im Frieden lebt macht die Geschichte interessanter. Natürlich gibt es Querulanten und auch neugierige Kinder, die aus der abgeschotteten Blase ausbrechen und die Welt sehen möchten. 

Ich habe das Hörbuch, das erst allmählich seine Schönheit und Spannung preisgibt und dem man aufmerksam folgen sollte, um interessante Kleinigkeiten nicht zu verpassen, sehr genossen und vergebe fünf Sterne für eine unterhaltsame und grandios gelesene Geschichte.


Ransom Riggs "Die Insel der besonderen Kinder"
Lesung mit Simon Jäger
7 Std 8 Min, 1 mp3-CD
DAV Verlag 
Erschienen im November 2016
ISBN 9783862315871
9,99€


1. November 2016

Der Kreis schließt sich



Mit "Die unsterbliche Familie Salz" legt Christopher Kloebele einen anspruchsvollen Familienschmöker vor, der die Zeit vom Ersten Weltkrieg 1914 bis zum Jahr 2015 in Deutschland anhand einer Hoteliersfamilie verfolgt.

Klappentext
Reich an Glanz und voller Schatten ist die Geschichte er außergewöhnlichen Familie Salz - in deren Zentrum das prächtige Hotel Fürstenhof in Leipzig steht. 1914 kauft es der autoritäre Herr Salz; nach einem mysteriösen Tod in der Familie wird seine Tochter, die Schauspielerin Lola, dafür verantwortlich gemacht und aus der Familie verstoßen. Lange wird sie den Fürstenhof nicht mehr betreten-weder während der Flucht mit ihren Kindern durch das Deutsche Reich noch in den 60er Jahren, als das Hotel Staatseigentum der DDR ist und Lola mit ihrer labilen Tochter Aveline in München lebt. Erst Kurt Salz, Lolas Sohn, gelingt es in einem abenteuerlichen Finale, das Hotel gleich nach der Wende 1989 in den Familienbesitz zurückzuholen. Hochbetagt regiert Lola endlich über das Hotel und über eine Familie, die immer noch tief zerrüttet ist - vom Wandel der Zeiten und den Versuchen, der eigenen Geschichte zu entkommen. Der überraschende, höchst faszinierende Roman einer höchst eigenwilligen Familie, in der sich die Schatten einer Generation auf die nächste legen - auch wenn jeder versucht, sein Leben in ein ganz neues Licht zu rücken.

Eine Familiengeschichte voller Licht und Schatten, erzählt von verschiedenen Mitgliedern der Familie und unterteilt in ebensolche Abschnitte, verfolgt im wesentlichen das Leben der Protagonistin Lola Salz, sie ein sehr langes Leben von 1905 bis 2015 lebte. Die Matriarchin der Familie ist geprägt durch ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg, als sie auf sich selbst gestellt kraftvoll und mutig handelt. Aus der Kindheit trägt sie das Schweigen und die Ignoranz des Vaters gegenüber der Mutter mit sich herum und bleibt ebenso stumm ihren Kindern und ihrer Umwelt gegenüber. Sie schafft es nicht, ihren Kindern nach dem Krieg eine gute Mutter zu sein. Ihr Sohn Kurt erkennt erst sehr spät die Wahrheit und ist bis dahin ungewöhnlich eng unter der Fuchtel seiner Mutter. Aveline gleitet ab und versinkt schon als Teenager im Alkohol, so dass sie ihren Sohn Alexander nicht aufziehen kann. Kurt und auch Aveline bekommen letztlich ihr Leben nur durch Flucht weg von Lola in den Griff.

Die verschiedenen Sichtweisen auf die Geschichte ermöglichen ein rundes Bild beim Lesen und verhindern, dass man als Leser durch die Protagonistin Lola vereinnahmt und beeinflusst wird. Der Wechsel der Erzählperspektiven geben der Geschichte Spannung und Dynamik und ermöglichen die Fokussierung auf jeweils ein Familienmitglied, nämlich das jeweils erzählende, auch wenn Lola Salz in jedem der Abschnitte eine entscheidende Rolle spielt. Man erhält dadurch tiefe Einsichten in die einzelnen Charaktere, was den Roman sehr charmant macht.

Fixpunkt des Generationenromanes ist das Hotel Fürstenhof im Zentrum von Leipzig, das Freude, Leid und Begehren für jedes der Familienmitglieder bis 2015 bedeutet, bis es wieder in Familienbesitz fällt.
Ein weiteres Verbindungselement der einzelnen Erzählstränge sind Schatten, sowohl als Scherenschnitte der Mutter von Lola, die sie von jedem Familienmitglied anfertigt und Schatten, in denen sich Dinge verbergen bis hin zu Menschen, die keine Schatten haben. Mystizismus spielt hier ebenso eine Rolle wie die symbolische Bedeutung der Dunkelheit und Boshaftigkeit. Der Kreis schließt sich durch die Schatten, als Tara Jain als jüngstes Familienmitglied genau wie Lola Salz als 9-jährige einen unsichtbaren Freund hat und Schatten in ihrem Leben eine große Rolle spielen.

Ich habe die Lektüre dieses spannenden und sprachlich abwechslungsreichen Buches trotz einiger kleiner Längen sehr genossen, zähle es zu anspruchsvoller Unterhaltung und vergebe vier Sterne dafür.

Der Autor Christopher Kloeble lebt in Berlin und in Dehli, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und erhielt 2008 den Literaturpreis der Jürgen-Pronto-Stiftung für das beste Romandebüt "Unter Einzelgängern". Neben dem Schreiben wirkte er als Gastprofessor in Cambridge und an verschiedenen Universitäten der USA. Er veröffentlichte 2012 den viel gelobten Roman "Meistens alles sehr schnell".

Christopher Kloebe
Die unsterbliche Famile Salz
Roman, gebunden
dtv Literatur
440 Seiten
ISBN 978-3-423-28092-1
22,00€
26.August 2016

4. September 2016

Rezension zu "Secret Fire. Die Entflammten"



Das Buch "Secret Fire. Die Entflammten" ist der erste Teil einer Serie und spannend geschriebenes Fantasy-Jugendbuch mit sympathischen Charakteren, einer in sich schlüssigen Handlung und leicht lesbarer und verständlicher Sprache. Auch wenn es nicht mein bevorzugtes Genre ist hatte mich die Geschichte nach kurzer Zeit durch geschickte geschriebene spannende Verwicklungen und Cliffhanger im Griff

Klappentext
Während die 17jährige Taylor alles daransetzt, ihren Traum - ein Studium in Oxford - wahr zu machen, setzt der 17jährige Sacha alles daran, das Schicksal herauszufordern, indem er sein Leben mit spektakulären Aktionen immer wieder in Gefahr bringt. Weiß er doch, dass er genau an seinem 18. Geburtstag sterben wird und keinen Tag früher. Die pflichtbewusste und etwas brave Taylor und der coole und ziemlich draufgängerische Sacha können nicht unterschiedlicher sein und doch ist ihr Schicksal unwiderruflich miteinander verbunden. Vor etlichen Jahrhunderten hat eine von Taylors Urahninnen Sachas Familie mit einem Fluch belegt, der stets den erstgeborenen Sohn trifft. Sachas Tod wird Chaos und Zerstörung auf die Erde bringen. Ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Gemeinsam versuchen sie alles, um Sachas Leben zu retten, und stellen dabei fest, dass sie nicht nur der Fluch verbindet, sondern auch ihre starken Gefühle füreinander.

Zwei Außenseiter - ein biederes Mädchen mit hochgesteckten Ziel und ein Junge am Rand der Gesellschaft und seines Lebens sind die Hauptcharaktere dieses Romans. Obwohl grundverschieden werden beim Lesen die Gemeinsamkeiten und die Verbindung zwischen den beiden zunächst nebulös, später immer klarer herausgestellt, daraus entspinnt sich eine ungewöhnliche und spannende Geschichte, der man sich als Leser kaum entziehen kann. Die Autorinnen haben wohldosiert und im für mich richtigem Maß Spannungsmomente eingebaut, die aus Zeit- und Ortswechseln, Andeutungen, Cliffhangern und Ahnungen für den Leser bestehen, so dass man beim Lesen davon regelrecht vorangetrieben wird, ohne sich jagen zu lassen.
Eine überschaubare Anzahl von handelnden Charakteren, Rückblicke in die Vergangenheit, die die Geschehnisse erklären, und eine sehr gute Nachvollziehbarkeit der Ereignisse ergeben ein insgesamt sehr gelungenes und gut lesbares Buch, das mich durchaus fesseln konnte.

Natürlich darf man beim Griff zu diesem Buch keine tiefschürfende Lektüre erwarten, sondern eher spannende und teilweise wirklichkeitsferne oder verträumte Unterhaltung mit Heldinnen und Helden, die bestenfalls den Atem aufgrund ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten stocken lassen und sich moralisch-gesellschaftlich korrekt und mitfühlend trotz ihrer Superfähigkeiten verhalten, Familie brauchen und lieben und sich nichts anderes als Normalität wünschen. Genau diese Erwartungen erfüllt der Roman, weshalb ich eine Empfehlung zum Lesen mit vier Sternen gebe.

C.J. Daugherty war vor ihrer erfolgreichen Autorenlaufbahn Gerichtsreporterin. Die international erfolgreiche Serie "Night School" stammt aus ihrer Feder.
Die Co-Autorin Carina Rozenfeld ist eine in Frankreich bekannte Autorin von Fantasyromanen und schreibt seit ihrem 9. Lebensjahr.


C.J. Daugherty, Carina Rozenfeld
Secret Fire. Die Entflammten
Fester Einband, 448 Seiten
Verlag: Oetinger
ISBN 9783789133398
Erschienen August 2016

    2. September 2016

    Rezension zu "Justins Heimkehr" von Bret Anthony Johnston


    Das Buch "Justins Heimkehr" beginnt dort, wo andere Bücher aufhören, nämlich mit der Heimkehr eines Entführungsopfers. Es beschreibt die emotionale Ausnahmesituation innerhalb einer nach außen hin intakten Familie, die zuerst mit der Entführung und später mit der Heimkehr eines ihrer Söhne umgehen muss. Dass der Autor dabei völlig ohne reißerische Effekte, ohne Voyerismus in Nahaufnahme zur Entführung selbst auskommt und dennoch Spannung schafft, macht dieses Buch so aufregend anders verglichen mit Büchern, die sich mit der Thematik Entführung befassen.

    Klappentext
    Mit psychologischem Feingefühl und sehr spannend erzählt Bret Anthony Johnston in seinem Debütroman von einem Familie unter Schock. Vor vier Jahren ist Justin Campbell, damals zwölf Jahre alt, entführt worden. Seine Eltern und sein Bruder, die nie aufgehört haben, nach ihm zu suchen, haben unterschiedliche Wege gefunden, mit diesem Erlebnis umzugehen. Wege, die die Familie eher auseinanderdriften lassen. Da wird Justin wie durch ein Wunder ganz in der Nähe entdeckt und seinem Entführer entwunden - der inzwischen 16-Jährige kehrt in die Familie zurück. Aber ist der Wiedergefundene nicht doch verloren? Und was geschieht mit dem Täter, der vor Gericht gestellt wird und auf "nicht schuldig" plädieren will?
    Bret Anthony Johnston zeigt sich in diesem Roman als hochbegabter, raffinierter und klüger Erzähler, der glaubwürdige und faszinierende Charaktere zeichnen kann und ohne Effekthascherei ins Herz der Dinge vordringt.

    Die Familie, nach außen hin und auf den ersten Blick intakt, muss Zerreißproben bestehen, zunächst die Entführung, bei der die Unfähigkeit der Familienmitglieder zur Kommunikation, zum gemeinsamen tröstlichen Weiterleben und gemeinsamen Hoffen vorherrscht. Vater Eric und seine Frau Laura erfinden für sich Mechanismen, um dem Alltag zu entfliehen und wenig Berührungspunkte zu haben, der jüngere Sohn Griffin versucht ebenso allein seinen Weg zu finden, ohne Elterliche Hilfe. Obwohl alle gemeinsam hoffen und Justin nie aufgeben, obwohl die kleinstädtische Gemeinschaft die Familie in Watte packt und durch hilfsbereite Gesten versucht, die Verzweiflung zu mindern, kann man als Leser dank dem Blick hinter die Fassade das Alleinsein der einzelnen Familienmitglieder deutlich spüren. Sprachlich unterstreicht der Autor dies extrem geschickt, indem kaum Dialoge stattfinden sondern lediglich Gedanken und die Gefühlswelt der zurückgebliebenen Mitglieder der Familie Campbell aufgezeigt wird.

    Nach der erlösenden Nachricht, dass Justin gefunden wurde und er heimkehren kann, löst sich dieser Knoten nicht. Weder Leser noch die Familie erfahren, was Justin in den vier Jahren seiner Entführung zustieß, und das ist für das Buch auch nicht wichtig. Wesentlich ist der Umgang mit der Rückkehr, das Zurückfinden in den Alltag und das Glück, wobei das Handeln der Familie oft sehr aufgesetzt und gestelzt statt glücklich wirkt. Das Unwissen um die Entführung und der auch für den Leser nicht greifbare Charakter Justins schwebt wie eine dunkle Wolke über allem, über der Kommunikation, über der Liebe untereinander, über dem Umgang mit Alltäglichem.

    Extrem zugespitzt wird die Situation dadurch, dass Justins Entführer seine Tat nicht zugibt und zunächst auf Kaution frei kommt. Diesem enormen Druck können die Campbells nicht problemlos standhalten, das zerbrechliche Familienglück steht erneut auf dem Prüfstand.

    Das Buch lebt von subtiler Dramatik mit Cliffhangern an den Kapitelenden, von Verwirrspielen für die Familie und für den Leser, von der feinen und aufwändigen Zeichnung der Charaktere, die sich oft erst beim zweiten Hinsehen wirklich offenbaren, und von der Nachvollziehbarkeit und Authentizität des Geschehens in einer texanischen Kleinstadt. Dass man als Leser keinen Zugriff auf Justins Gedanken sondern nur auf seine Handlungen hat, finde ich ganz besonders gelungen. Man fühlt sich dadurch ein wenig wie ein Mitglied der Familie Campbell, die Justin ebenso wenig verstehen oder mit ihm kommunizieren können.

    Viele kleine Details, teilweise cineastische Beschreibungen, hervorragend transportierte Gefühle, und eine Sprache, bei der jeder Satz passt und keiner zuviel ist, sorgen für ein großartiges und unbedingt empfehlenswertes Leseerlebnis, ich vergebe fünf Sterne für dieses wirklich außergewöhnliche Buch.

    Der Autor Bret Anthony Johnston unterrichtet Fiction Writing an der Harvard University und veröffentlichte bisher einen Erzählband "Corpus Christi" (2004) und schrieb das Drehbuch zum Dokumentarfilm "Waiting for Lightning" (2012). Justins Heimkehr ist sein Roman-Debüt.

    Justins Heimkehr
    Bret Anthony Johnston
    Gebunden, 424 Seiten
    Verlag C.H. Beck
    ISBN 9783406697425
    Erschienen Juli 2016

    28. August 2016

    Rezension zu "Niemand weiß, wie spät es ist" von René Freund



    Das Buch "Niemand weiß, wie spät es ist" bietet Lesevergnügen mit sympathischen Charakteren, einer großartigen und verrückten Reise und erzählt eine Geschichte vom Suchen und Finden auf recht ungewöhnliche, melancholische und oft auch witzige Weise. Es ist kein tiefschürfender und problembehafteter Roman, sondern klug geschriebene Unterhaltungsliteratur, die nicht platt und klischeebehaftet sondern leichtfüßig und modern daherkommt und dennoch sehr sensibel mit dem Thema Verlust und Trauer umgeht.

    Klappentext
    Nora hat ihren Vater verloren. Das wäre schon schlimm genug, doch dann erfährt sie seinen letzten Willen. Sie muss Paris und ihr schönes Leben dort verlassen, um mit der Asche ihres Vaters im Handgepäck und einem pedantischen jungen Notariatsgehilfen, der ihr täglich das nächste Etappenziel mitteilt, eine Wanderung zu unternehmen - durch ein Land, das sie kaum kennt.
    Nora, die lebenslustige Chaotin, und Bernhard, der strenge Asket, folgen zwischen Regengüssen, Wortgefechten und allmählicher Annäherung einem Plan, der ihr Leben auf den Kopf stellen wird. René Freund nimmt seine Leser mit auf eine ungewöhnliche Reise. Was hinter der nächsten Wegbiegung wartet, ist immer wieder überraschend - und schließlich überraschend schön.

    Nora, die Pariser Großstadtamazone, mit dickem roten Kater, verrückten Freunden und einem gemütlichemTagesablauf wirkt auf den ersten Blick zufrieden mit ihrem Leben. Doch der Tod ihres Vaters und insbesondere sein letzter Wille reißen sie völlig aus der Bahn und zwingen sie auf eine Reise, bei der ihr verstorbener Vater manipulativ das Zepter führt und sie zum Nachdenken und zur Änderung ihrer Sichtweise zwingt.

    Als Leser verfolgt man das Geschehen teils amüsiert, teils verständnislos und Kopfschüttelnd, teils mit Tränen in den Augen wegen der Liebe und Melancholie, die besonders in den vom Vater hinterlassenen Briefen zum Ausdruck kommt. Es ist eine wirklich wundervolle Reise auf dem Weg zur letzten Ruhe zum einen und auf dem Weg des Sinnfindens und zurück ins Leben zum anderen. Die beiden Hauptcharaktere Nora und Bernhard nähern sich auf ihrem fast pilgerhaftem Fußweg einander an, öffnen sich, streiten sich und raufen sich letztendlich zusammen, obwohl sie anfangs grundverschieden erscheinen. Nora wächst über sich hinaus und beginnt, Dinge mit veränderter Sichtweise zu sehen.

    Der Stil ist teils von sanfter Melancholie, teils von überschwänglicher Lebensfreude geprägt. Man wird als Leser auf angenehmste Weise hin und hergeschickt zwischen witzig und profanen Situationen und tiefsinnigen, philosophischen und emotionalen Gedanken und Dialogen. Doch alles ist rund, passt sehr gut und liest sich sehr flüssig.

    Jedoch habe ich einen Kritikpunkt an der Umsetzung am Ende des Buches. Hier verliert die Geschichte in meinen Augen ein wenig an Glaubwürdigkeit, die Nachvollziehbarkeit von Noras und Bernhards Handeln geht für mich verloren, als beide mit einer völlig überraschenden Tatsache konfrontiert werden und sehr leichtfüßig darüber hinweggehen.
    Doch das wird aufgewogen von einem wirklich wunderbarem Ende, nach einer Achterbahn der Gefühle trieb mir der letzte Brief von Noras Vater die Tränen in die Augen und ließ mich mit einem dicken Kloß im Hals das Buch zuklappen.

    Ich gebe eine unbedingte Empfehlung für Leser, die gute, überraschende, witzige und emotionale Unterhaltung lieben. Das Buch bewerte ich mit vier Sternen.

    René Freund lebt und arbeitet als Autor und Übersetzer im Almtal. Er studierte Philosophe, Theaterwissenschaft und Völkerkunde, arbeitete als Dramaturg am Theater in Josefstadt und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht.


    Niemand weiß, wie spät es ist
    René Freund
    Fester Einband, 272 Seiten
    Verlag: Zsolnay, Paul
    ISBN 9783552063266
    Erschienen Juli 2016

    Rezension zu "Interview mit einem Mörder" von Bernhard Aichner



    Der vierte Teil der mittlerweile als Kult und Geheimtipp gehandelten Krimiserie um den Totengräber Max Broll ist der erste Band diese Reihe, den ich gelesen habe. Im knappen Stil und mit hohem Tempo wird man auch als Nichtkenner der Serie mitten ins Geschehen katapultiert, eine überschaubare Anzahl von Personen erleichtern die Verfolgung und Konzentration auf die Handlung und deren Hintergründe. Und vor allem: Max Broll ist kein geschiedener, problembehafteter, dem Selbstmord näher und völlig ausgebrannter Ermittler, sondern ein im wesentlichen zufriedener "normaler" Mensch.

    Klappentext
    Ein friedlicher Sommertag, ein Fest auf dem Dorfplatz: Der Ex-Fußballstar Johann Baroni feiert die Eröffnung seines neuen Würstelstandes. Da fällt plötzlich ein Schuss - und Baroni sinkt leblos zu Boden. Totengräber Max Broll ist verzweifelt: Sein bester Freund darf nicht sterben!
    Während Baroni im Krankenhaus um sein Leben kämpft, tut Max alles, um den Schützen zu überführen. Denn er hat gesehen, wer auf Baroni geschossen hat. Doch der vermeintliche Täter entpuppt sich als harmloser Tourist. Es gibt kein Motiv, keine Tatwaffe, keine weiteren Zeugen - die Polizei hält den Mann für unschuldig, niemand schenkt Max Glauben. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich an die Fersen des Mörders zu heften. Eine rasante Verfolgungsjagd beginnt, die Max bis auf ein Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer führt.
    Geniale Dialoge, überraschende Wendungen - auch in seinem vierten Max-Broll-Krimi zieht Bernhard Aichner seine Leser in einen atemberaubenden Sog. Hochspannung bis zur letzten Seite!

    Das Buch hat mich blitzschnell in seinen Bann gezogen, durch knappe Sätze wird enormes Tempo vorgelegt, die oft fast stichpunktartig gegebenen Eckdaten zur Vergangenheit der Figuren schließen auch Neuleser der Serie nicht aus und die Geschichte selbst baut als Mischung aus traditionellem Kriminalroman mit Ermittler, den man als Leser begleitet, und Psychothriller enorme Spannung auf. Dazu ein paar liebenswert schrullige Charaktere wie ein kiffender afrikanischer Dorfpfarrer, ein ehemaliger Fußballstar und Max Broll selbst, der zunächst wie ein Stier losstürmt, später in althergebrachter Manier mit Psychologie und kriminalistischem Geschick dem Täter auf die Schliche kommt und Fallen stellt - und der Krimi ist perfekt.

    Als Leser bewegt man sich an der Seite von Max Broll und teilt seine Verdächtigungen im Hinblick auf Täter und Tathergang, ebenso seine Beobachtungen und Zweifel, gibt sich mit ihm der Obsession hin und versinkt gemeinsam mit ihm fast rettungslos in der aufreibenden Verfolgungsjagd des Verdächtigten und in den Gesprächen mit ihm. Ich finde, das ist enorm clever und sehr gut geschrieben, manipulativen für Max und den Leser gleichermaßen, ständig zweifelnd aber dennoch vorantreibend.

    Die Jagd findet ein fulminantes und für mich unerwartetes Ende im traditionellen Stil, dass der Ermittler die Tat in allen Einzelheiten aufdeckt und dem Publikum zur Schau stellt, wenn auch mit ungewöhnlichen Mitteln und mit einem As im Ärmel. Ein ganz klein wenig zu glatt in Richtung "Ende gut - alles" gut verlief mir die Handlung jedoch ganz am Schluss des Buches, weshalb ich "nur" vier Sterne vergebe, aber dennoch eine unbedingte Leseempfehlung ausspreche für Liebhaber guter Krimilektüre.

    Bernhard Aichner
    Interview mit einem Mörder
    Gebundene Ausgabe
    Haymon Verlag
    ISBN 9783709971338
    Erschienen Juli 2016

    27. August 2016

    Rezension zu "Beijing Baby" von Volker Häring



    Das moderne Peking ohne Klischees, wo das Leben zwischen Tradition in den Hutongs und Moderne in Karaokebars und Touristenrestaurants aufeinandertrifft und verknöcherte, korrupte und Seilschaftbehaftete Politik den Alltag bestimmt, ist neben der Handlung bestimmend für diesen Länderkrimi.

    Klappentext
    Die junge Kommissarin Xiang wurde gerade erst nach Peking versetzt, als sie schon mitten in einem Fall mit höchster politischer Brisanz steckt. Eine bildhübsche Schauspielstudentin liegt tot im Innenhof des Pekinger Theaterinstituts - und sie scheint Beziehungen zu hochrangigen Politikern gehabt zu haben. Xiang Xia nimmt die Ermittlungen auf und schnell wird klar, dass die Spur ins Rotlichtmilieu führt. Doch die Kommissarin scheint gegen Windmühlen zu kämpfen. Und auch ihr altgedienter Kollege Inspektor Wang, dem das traditionelle Leben in den Pekinger Hutongs über alles geht, ist zunächst keine große Unterstützung.
    Mithilfe des deutschen Austauschstudenten Phillip und ihrer gnadenlos modernen Schwester Xiang Mei gelingt es ihr schließlich, tief in das Pekinger Nachtleben einzutauchen.
    Doch niemand hätte ahnen können, welche dunklen Geheimnisse im Schatten dieser schillernden Halbwelt zwischen Karaokebars und Massagesalons lauern...

    Das Buch als eine Mischung aus Reiseführer und Spannungsliteratur liest sich angenehm und flüssig, aber in meinen Augen ist die Mischung als Länderkrimi  aus Reiseliteratur und kriminalistischer Handlung nicht sehr gut gelungen. Der Informationsgehalt zum Kennenlernen von Land und Leuten ist angemessen, interessant und nicht schulmeisterhaft vordergründig dargestellt, doch leider wirkt die Krimihandlung für mich zu nebensächlich und gewollt eingefügt, ist unspannend erzählt und tritt dadurch zu sehr in den Hintergrund des Buches.

    Sympathie bringe ich Inspektor Wang entgegen, diese schrullig gezeichnete Figur bekommt durch ein paar Hintergrundinformationen zu seinem Leben und seinen Vorlieben für mich mehr Körper, wohingegen die Hauptakteurin Xiang Xia, ihre Schwester Xiang Mei und der Deutsche Phillip stereotyp und leblos für mich bleiben. Die Nebencharaktere treten auf und verschwinden wieder, ohne dass ich mich als Leser an sie annähern könnte.
    Außerdem stören mich einige Wiederholungen, zum Beispiel weiß ich nach nach der ersten Erwähnung, dass Inspektor Wang belesen und Peking-Opern-Kenner ist und damit seine junge Vorgesetzte, die eigentlich Literatur studieren wollte, überrascht, und könnte gut auf die mehrfache Erwähnung im ersten Teil des Buches verzichten.

    Im letzten Teil des Buches nimmt die Geschichte etwas Fahrt auf, dennoch wird auch hier Potenzial zum Spannungsaufbau verschenkt, der Leser wird leider nicht bei der Stange gehalten, indem Ortswechsel und Blenden klug ausgebaut und eingesetzt werden. Schade.
    Die Auslösung des Falles am Ende des Buches klärt alle Fragen, gestaltet sich für mich passend zum Buch völlig unspektakulär und schlicht.

    Ich mag sehr gerne kluge Kriminalliteratur, die ohne nägelkauende Spannung auskommt, aber dazu gehören für mich gut gezeichnete Charakter mit interessantem Hintergrund und eine spannende, wenn auch unblutige Handlung, bei der ich entweder Täter, Opfer oder Ermittler begleiten und mitfiebern kann. Leider ist dies in diesem Buch nicht gut umgesetzt, weshalb ich drei Sterne vergebe.

    Peter Häring, freier Journalist aus Berlin und Asien-Radler legt mit diesem Länderkrimi sein Romandebüt vor. Er ist Autor verschiedener Reiseführer zu Asien und China, Sänger und Gitarrist der Band "Alptraum der Roten Kammer", die Chinesische Rockklassiker auf deutschen Bühnen aufführt und organisiert mit seinem Reiseveranstalter "China By Bike" in Südostasien Aktivreisen.


    Volker Häring "Beijing Baby"
    Länderkrimi
    ISBN 9783958891005
    Erschienen im Juni 2016
    Bei CONBOOK Medien
    flexibler Einband, 352 Seiten

    2. August 2016

    Gewonnen!

    Ich hatte letzte Woche Glück bei der Aktion #LOVELYBOX im Leserforum Lovely Books, in dem ich als KrimiElse angemeldet bin.
    In diesem Monat gibt es das Thema "Der Sommer wird spannend", also genau meins.
    Liebevoll verpackt und gefüllt mit tollen Büchern habe ich am Wochenende auspacken dürfen und für euch ein paar Bilder gemacht:


    Wenn ihr wie ich Bücher liebt und gerne Überraschungspakete bekommt, dann ist die Lovelybox vielleicht auch etwas für euch: KLICK
    Es ist wirklich ganz einfach: anmelden und Daumen drücken, Glück haben.
    So, und jetzt freue ich mich auf die Lektüre...

    27. Juli 2016

    Rezension zu "Das Geheimnis des Schneemädchens" von Marc Levy


    Ein skandalöses politisches Komplott, Spannung und viele überraschende Wendungen machen den neuen Roman von Marc Levy "Das Geheimnis des Schneemädchens" aus. Es war mein erster Roman dieses für seine Liebesromane bekannten Autors Buch hat mich positiv überrascht.

    Klappentext
    Im Wrack eines Flugzeugs, das im ewigen Eis des Mont-Blancs gefangen ist, findet Suzie Backer den Beweis dafür, dass ihre Familie zu Unrecht des Hochverrats beschuldigt wurde. Als der Reporter Andrew Stilman ihr begegnet, wittert er nicht nur eine einzigartige Geschichte, sondern er ist auch von dieser geheimnisvollen Frau fasziniert. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, doch dabei wecken sie schlafende Hunde und bringen sich in tödliche Gefahr. Denn ihre Nachforschungen führen sie auf die Spur einer unmöglichen Liebe und eines Mannes, der für ein gewisses „Schneemädchen“ sein Land und alles, woran er glaubte, verriet …

    Mit sehr unkomplizierter Sprache und einer überschaubaren Anzahl von Charakteren schafft es der Autor, sehr viele Spannungsmomente zu erzeugen, indem er für den Leser undurchsichtige Verwicklungen konstruiert. Für zusätzliche Spannung sorgt die unterschiedliche Sichtweise, aus der die Geschichte erzählt wird, hauptsächlich folgt man als Leser der Sicht der beiden Hauptcharaktere Suzie Backer und Andrew Stilman.

    Suzie ist als kraftvoller, willensstarker, sturer Charakter dargestellt, die alles daran setzt, das Geheimnis ihrer Familie zu lüften. Ihr Weg beginnt im ewigen Eis des Mont Blanc, dessen Besteigung durch Suzie der ersten Schritt auf dem Weg zur Wahrheit ist.
    Diese anfänglichen Buchszenen im ewigen Eis des Berges, bei denen Suzie unter Lebensgefahr das verschollene Flugzeugwrack aus den 1960er Jahren sucht, haben mir sehr gut gefallen, zum einen wegen der hervorragenden Beschreibung, zum anderen wegen der subtilen Geschichte, die hier ihren Anfang nimmt.
    Im weiteren Verlauf der Handlung flacht die Geschichte für meinen Geschmack leider zu sehr ab, bedient reichlich Gemeinplätze und malt zu sehr schwarz und weiß. Die anfängliche Subtilität geht immer mehr verloren, obwohl der Spannungsbogen weiter aufgebaut wird.

    Der Journalist Andrew steht mental auf weniger festen Beinen als Suzie, er schlägt sich mit einer alten Liebesgeschichte und mit einem Alkoholproblem herum. Er wittert eine große Story für sich und lässt sich dafür von Suzie in ihren Bann ziehen, begleitet sie bei ihrer Suche nach der Wahrheit und begibt sich gemeinsam mit ihr in Lebensgefahr und stellt sich zugleich seinen eigenen Dämonen aus  der Vergangenheit.

    Trotz des hervorragenden Plots mit einer wahrhaft skandalösen politischen Verschwörung, der vielen Spannungsmomente und der recht gut angelegten Charaktere bleibt das Buch für mich etwas blass. In Bezug auf die Handlung gibt es zwar sehr viele unerwartete und für mich als Leser wirklich überraschende Wendungen, doch die handelnden Personen verhalten sich klischeehaft ohne Ecken und Kanten, was sie leider nicht dreidimensional erscheinen lässt. Dadurch verliert der Roman in meinen Augen viel Potenzial.

    Dennoch ist es ein spannendes Buch, das der französische Autor Marc Levy basierend auf fundierter Recherche geschrieben hat. Ich vergebe dafür drei Sterne.


    € 19,99 [D] € 20,60 [A] |  CHF 26,90* 
    (* empf. VK-Preis)

    Gebundenes Buch mit SchutzumschlagISBN: 978-3-7645-0530-1

    Erschienen: 25.04.2016 

    18. Juli 2016

    Rezension zu "A wie B und C" von Alexandra Kleemann


    Der mit dem Bard Fiction Prize 2016 ausgezeichnete Roman "A wie B und C" stammt aus der Feder der 1986 geborenen Autorin Alexandra Kleemann und ist ihr Roman-Debüt.

    Klappentext:
    A ist eine attraktive junge Frau. B ist ihre Mitbewohnerin, die um jeden Preis so aussehen möchte wie A. C ist der Freund von A und schaut mit ihr am liebsten Haifisch-Dokumentationen oder Pornos. Als A eines Tages verschwindet, ahnen B und C nicht, dass sie sie womöglich nie wiedersehen werden.
    A wie B und erzählt mit scharfem Blick und hintergründigem Humor von unserer Obsession, perfekt zu sein: wie Realityshows, Werbung und abstruse Trends uns in Beschlag nehmen und zu Leibeigenen unseres Körpers machen.

    Mich erinnert das Buch zum einen an eine sehr langsam erzählte Science Fiction - Geschichte, in der die Handlung selbst zugunsten der Charaktere in den Hintergrund tritt. Andererseits ist es eben kein Science Fiction, was den Inhalt des Buches ausmacht, sondern sehr realer, greifbarer und absurd übertriebener Körperkult und seine Auswirkungen auf der einen Seite, die Nichtigkeit und Langweiligkeit des nebeneinander her Existierens zum anderen.
    Daraus resultiert eine sehr seltsame, absurde und eindringliche Geschichte, in der bedeutungslose Handlungen wie das Schälen einer Orange extrem bedeutsam werden, Realityshows tatsächlich die Realität bestimmen und schräger Esskult Ausdruck in einer Kirche der Gemeinsamen Esser findet, die sektenartige Züge aufweist und die die Menschen von der Last, einen Körper zu besitzen, befreien wollen.
    Verwirrt und auf der Suche findet man als Leser dazwischen die Protagonistin A, die ihr Gesicht täglich hinter dicker Schminke versteckt, deren Mitbewohnerin B ihre Identität und ihr Leben okkupiert und deren Freund C sein Leben vor der Glotze mit Dosennahrung verbringt.

    Das Buch ist ein extremer und unbequemer Spiegel, der dem Leser vorgehalten wird, ohne dass wirklich Handlung stattfindet, wodurch es sicherlich stark polarisiert. Das Thema ist verwirrend und um ehrlich zu sein keines, von dem ich gerne lese, denn ich schaue in den Spiegel und finde mich an manchen Stellen wieder. Die Atmosphäre, die das Buch vermittelt, ist düster, bedrückend und letztlich hoffnungslos.
    Das Buch enthält viele merkwürdige Passagen, die die Verwirrung beim Leser auslösen. Dazu gehören zum Beispiel die Werbespots für Kandy Kake, einem synthetischen süßen Snack (der übrigens tatsächlich existiert), in dem ein ausgemergelter Kater verzweifelt immer wieder versucht, einen dieser Kuchen zu ergattern oder auch die Supermarktketten Wally, in denen die gefragtesten Produkte schwer auffindbar sind und zu diesem Zweck Regale auf Schienen ständig umplaziert werden.

    Wesentliches Medium ist ungewöhnlicherweise das Fernsehen, sozialen Netzwerken oder dem Internet kommen keinerlei Bedeutung zu. Damit erfolgt die Beeinflussung nicht durch Kommunikation und Austausch, sondern durch einseitige Manipulation. Ebenso ungewöhnlich ist, dass keine Namen von Personen oder Orten genannt werden.

    Es ist sicher nicht leicht, sich auf das Buch einzulassen und bei der Stange zu bleiben. Mir hat die abgedrehte und sehr ungewöhnliche Idee sowie deren Umsetzung gut gefallen, ich vergebe 4 Sterne dafür.



    Alexandra Kleeman – A wie B und C 
    Roman, Literatur

    Original: You Too Can Have a Body Like Mine
    Aus dem Englischen von Guntrud Argo, Michael Kellner
    Hardcover
    Format: 11,6 x 18,5 cm , 352 Seiten 
    ISBN: 978-3-0369-5734-0 
    21,90 EUR

    Rezension zu "Und damit fing es an" von Rose Tremain



    Freundschaft, Liebe und Einsamkeit in leisen und sehr eindringlichen, poetischen Tönen bestimmen den wunderbaren Roman "Und damit fing es an" der britischen Schriftstellerin Rose Tremain. Erzählt wird die Lebensgeschichte zweier Männer und die verschlungenen Umwege auf der Suche nach dem Glück und dem richtigen Leben.

    Klappentext
    Gustav Perle ist ein zurückhaltender Mann. Er wuchs in den 1940er Jahren allein bei seiner Mutter Emilie in ärmlichen Verhältnissen in schweizerischen Matzlingen auf und schon damals hat er gelernt, nicht zu viel vom Leben zu wollen. Als Anton in seine Klasse kommt, ein Junge aus einer kultivierten jüdischen Familie, hält mit ihm das Schöne in Gustavs Leben Einzug. Anton spielt Klavier, und seine Familie nimmt Gustav sonntags mit zum Eislaufen. Emilie sieht das nicht gerne, lebt sie doch in der Überzeugung, dass die Bereitschaft ihres verstorbenen Mannes, jüdischen Flüchtlingen zu helfen, letztlich ihr gemeinsames Leben ruiniert hat. Doch Anton ist alles, was Gustav braucht, um glücklich zu sein...

    "...du musst wie die Schweiz sein. ... Du musst dich zusammenreißen und mutig und stark sein und dich heraushalten. Dann wirst du die richtige Art Leben führen."

    Der kleine Gustav wird von seiner Mutter Emilie in der winzigen, ärmlichen Wohnung kurz nach Kriegsende in Matzlingen in der Schweiz sehr kurz gehalten. Es mangelt nicht nur an materiellen Dingen, so besitzt Gustav als einziges Spielzeug eine Blecheisenbahn in seinem kalten Zimmer, sondern auch Liebe und Zuneigung durch seine Mutter bleiben ihm verwehrt. Gustav ist sehr bemüht, das richtige Leben zu führen, das den durch ihn nie erfüllbaren Ansprüchen seiner Mutter genügt, jenseits aller Schönheit und allen Vergnügens, genügsam und duldsam, neutral und leise.

    "Du bist vielleicht so weit Mutti, aber ich nicht. Es gibt etwas, von dem ich immer gehofft habe, ich könnte es dir beibringen, und das war, mich zu lieben. Aber es ist mir nie gelungen. Oder?"

    Mit dem jüdischen Jungen Anton, der weinend als neuer Schüler in die Vorschulklasse kommt, tritt mit geballter Macht Emotionalität, Neugier und Schönheit in Gustavs bis dahin tristes und ereignisloses Leben, der er sich vorsichtig und um das Einverständnis seiner mürrischen Mutter Emilie heischend stellt. Anton profitiert von der Bodenständigkeit, Genügsamkeit und Gelassenheit seines neuen Freundes. In einem Urlaub, zu dem Antons Familie Gustav einlädt, knüpfen sie enge Bande, die ihr ganzes Leben halten sollen, obwohl sie beide lange Zeit suchend und unglücklich bleiben.

    Der Roman ist dreigeteilt und berichtet zunächst von der Vorschulzeit der beiden Jungen, blickt im zweiten Teil zurück auf das Leben von Emilie und Erich Perle vor Gustavs Geburt und erzählt im letzten Teil von den beiden Männern Gustav und Anton in der Mitte ihres Lebens in den 1990er Jahren.
    Alle drei Teile bewegen sich auf dem Pfad der Suche der Charaktere und beschäftigen sich mehr oder weniger mit Eventualitäten und was-wäre-wenn - Konstellationen. Das Leben entscheidet letztlich, und obwohl es bei keiner der Figuren wirklich außergewöhnlich verläuft, erzählt die Autorin mit eindringlicher Sprache und viel Sensibilität von immer wieder überraschenden Wendungen, was dem Roman trotz der eher leisen Geschichte viel Spannung verleiht.

    Das Buch ist gefüllt mit eindrucksvollen emotionalen Schilderungen.
    Emilie, die verbitterte und stets unzufriedene Mutter Gustavs und Gustav selbst mit seinen widersprüchlichen Gefühlen leiden beide still und duldsam.
    Gustav hat sehr früh und schmerzlich gelernt, zu tun was nötig ist, um sein Leben wieder ins Lot zu bringen. Später findet er Ruhe beim zeitverschwenderischen Kartenspiel:
    "Beim Zeitverschwenden ändert man das Wesen der Zeit. Das Herz wird beruhigt."
    Sein Freund Anton neigt zu großen Ausbrüchen und lebt seine Emotionalität:
    "Ich will nicht, dass mein Herz beruhigt wird. Ich möchte, dass es vor Freude überfließt."

    Der Roman hat mich sehr bewegt und mitgerissen, ich war beim Lesen mitten im Geschehen, habe mit den Protagonisten ihre Höhen und Tiefen intensiv durchlebt. Besonders gut gefallen haben mir die leisen Töne, die poetische und dennoch einfache Sprache, mit der vieles nicht bis ins letzte Detail beschrieben, sondern oft sehr geschickt angedeutet ist. Wie anderen Rezensenten vor mir hat mich die hervorragende Übersetzung überrascht, ich hatte nie das Gefühl, ein übersetztes Buch zu lesen.
    Von mir bekommt das Buch fünf Sterne und eine unbedingte Empfehlung zum Lesen.

    Die 1943 geborene und in London und Norwich lebende Schriftstellerin Rose Tremain veröffentliche bisher viele Romane und Kurzgeschichten, die mit Preisen geehrt und in etwa 30 Sprachen übersetzt wurden. Sie schrieb auch für Funk, Film und Fernsehen und ihr Roman "Zeit der Sinnlichkeit" wurde 1995 verfilmt.

    Roman, gebunden
    333 Seiten
    D 22,00 €
    A 22,70 €
    CH 31,50 sFr
    Erscheint am 08.08.2016
    ISBN 978-3-458-17684-8

    14. Juli 2016

    Rezension zu "Die Eismacher" von Ernest van der Kwast


    In das Buch "Die Eismacher" von Ernest van der Kwast kann man sich verlieben wie in zartschmelzendes sommerbuntes Eis, es verbindet eine tragikomische italienische Familiengeschichte mit den Traditionen der Eismacherei und der Liebe zur Poesie als höchste Kunst der Literatur, ist sprachgewaltig und voller überraschender, teils skurriler Anekdoten und lässt einen beim Lesen nicht mehr los.

    Inhalt -Klappentext:
    Im Norden Italiens, inmitten der malerischen Dolormiten, liegt das Tal der Eismacher, in dem sich die Einwohner auf die Herstellung von Speiseeis spezialisiert haben. Giuseppe Talamini behauptet gar, die Eiscreme wurde hier erfunden. Und er muss es wissen, schließlich haben sich die Talaminis seit fünf Generationen dieser Handwerkskunst verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie nach Rotterdam über, wo sie ein kleines Eiscafé betreiben. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der älter Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Leben so sehr wie das Eis. Bis ihn eines Tages sein Bruder aufsucht: Luca, der das Eiscafé übernommen hat, ist inzwischen mit Sophia verheiratet, in die beide Brüder einst unsterblich verliebt waren. Und er hat eine ungewöhnliche Bitte...

    Der Erzähler Giovanni und sein Bruder Luca, die beiden Sprößlinge der Eismacherfamilie Talamini, haben ein inniges Verhältnis. Gekoppelt mit vielen Rückblicken bis hin zu ihrem Urgroßvater, dem ersten Eismacher im Tal, begleitet die Geschichte die beiden bis zur ersten großen Liebe völlig unzertrennlichen und eng vertrauten Brüder, die beide in der Kindheit das Handwerk der Eismacherei lernen und lieben. Mit dem Auftauchen von Sophia trennen sich die Wege, der jüngere Luca bekommt das schönste Mädchen des Dorfes und die elterliche Eisdiele, der ältere Bruder Giovanni wird zum Weltreisenden für die Poesie und Literatur.

    Lucas Liebe zum Eis nimmt im Roman genauso viel Raum ein wie die Giovannis Liebe zur Poesie und findet Verbindung in der Liebe der Brüder zu Sophia, die mit großem Feingefühl und dennoch voller Inbrunst beschrieben ist. Wie Planeten ein Gestirn umkreisen beide Jungen die Schöne Sophia, sobald sie im Tal der Eismacher auftaucht, nehmen zunächst gleichermaßen und ohne Eifersucht ihren Raum bei ihr ein. Sophia bleibt das Gestirn der Familie, die die Verbindung der Brüder zwischen neuen und schier unglaublichen Eiscreationen von Luca und wundervollen Poesie-Erlebnissen auf weltweiten Dichterfestivals von Giovanni ist. Man hat beim Lesen das Gefühl, die Familie rückt entweder näher zusammen oder droht zu zerbrechen, wenn Sophia unglücklich ist.

    Neben Geschichten über Marco Polo und ob dieser das Eis aus China mitbrachte oder über die Erfindung der ersten Eiswaffel auf der Weltausstellung in New York erfährt man beim Lesen Hochinteressantes zur Eisherstellung, zu den ersten Eismaschinen, die mit Schnee betrieben wurden, und zum Eistransport per Schiff durch einen findigen Geschäftsmann aus dem kalten Norden Amerikas nach Kalkutta, alles immer irgendwie verbandelt mit dem kleinen Dorf der Eismacher in den Dolormiten und den Einwohnern dort. Das Buch verknüpft so auf unglaublich schöne Weise die Erlebnisse der Eismacherfamilie Talamini mit interessanten und sehr gut recherchierten Hintergrundinformationen. Mit einem Augenzwinkern kann man die Erfindung des Speiseeises und dessen Zubehör den Eismachern aus den Dolormiten zuschreiben, was durch zahlreiche kleine teils witzig-skurrile, teils tragische Geschichten belegt wird.

    Ich habe selten ein so sommerliches und gleichzeitig so poetisches Buch gelesen, das eine Familiengeschichte auf derart sinnliche und lebensbejahende Weise erzählt, so dass ich am Ende traurig war, das Buch zuklappen zu müssen. Für dieses ganz besondere Lesevergnügen vergebe ich fünf Sterne und die Empfehlung, sich beim Lesen entweder in der Nähe einer guten italienischen Gelateria aufzuhalten oder ein köstliches Eis im heimischen Gefrierschrank bereit zu halten.

    Roman, gebunden
    Luchterhand Literaturverlag
    Erschienen am 09.05.2016
    € 19,99
    ISBN 978-3-442-75680-3

    13. Juli 2016

    Rezension zu "Cash Landing - der Preis des Geldes" von James Grippando


    Das Buch "Cash Landing - Der Preis des Geldes" von James Grippando ist die Geschichte von abgehalfterten Kriminellen, denen der große Wurf aufgrund von genial einfachen Ideen gelingt und die sich dann in Ungereimtheiten und Leichtsinnigkeit verstricken, sich selbst damit Fallen stellen, so dass die Ermittler (und auch die Leser) fast Mitleid mit ihnen haben, es ist eine großartige und sehr unterhaltsame Geschichte, die sich auf ungeahnt geniale Weise zum harten Thriller entwickelt.

    Inhalt:
    Nachdem Ruban sein Haus und sein Restaurant unverschuldet an die Bank verliert, beschließt er, das Glück selbst in die Hand zu nehmen: Jeden Tag landen Flugzeuge mit riesigen Mengen Bargeld an Bord auf dem Miami Airport, die für die Federal Reserve Bank bestimmt sind. Zusammen mit seinem nichtsnutzigen Schwager Jeffrey und dessen kleinkriminellen Onkel Pinky stiehlt er sieben Millionen Dollar. Dies ruft nicht nur das FBI auf den Plan. Die Möchtegern-Gangster sehen sich plötzlich mehr und mehr im Fokus von wirklich schweren Jungs - nicht zuletzt dank Jeffreys zunehmender Eskapaden. Während Ruban versucht seinen Schwager im Zaum und ihnen FBI und Verbrecher vom Hals zu halten, muss er erkennen: Die richtigen Probleme fangen mit dem Geld erst an!

    Anfangs ausgestattet mit vielen komödiantischen und herrlich klischeehaften Elementen hat der Hautpakteur und Drahtzieher Ruban alle Sympathien des Lesers auf seiner Seite. Er braucht dringend Geld, um sich und seine Frau aus der Finanzkrise von 2008 zu retten, seit der er nicht einmal mehr Geld für eine Autoreparatur oder ein Schmuckstück für seine Frau zum Geburtstag hat. Der todsichere Coup zum Raub von 7 Millionen Dollar gelingt völlig mühelos, doch damit beginnen die Probleme erst.
    Fast slapstickhaft geht nach dem Coup bedingt durch die Dummheit der Beteiligten so viel schief, dass man als Leser Ruban wirklich wünscht, dass endlich mal etwas positives passiert, doch dass genau dies nicht der Fall ist, macht eben den Reiz des ersten Teiles des Buches aus.
    Gleichzeitig ist der leichte Auftakt die geniale Basis für den Wandel der Geschichte zur Tragigkomödie und noch später zur harten und bösen Thriller, bei dem bis zum Showdown völlig unklar bleibt, ob irgendwer der Hobby-Gangster mit dem Leben aus der Misere herauskommt.

    Im gleichen Zuge, wie sich das Buch durch das Auftauchen von richtig bösen Kriminellen, die in altbekannter Manier denen, die das Kastanien aus dem Feuer geholt haben, die Beute abjagen wollen, immer mehr zum Schwarzen Thriller entwickelt, erfährt man mehr aus Rubans Vergangenheit. Dadurch erscheint er als Charakter nicht mehr ganz so makellos und sympathisch.
    Zunächst hat man den Eindruck, dass Ruban bedingt durch äußere Umstände allein straffällig wurde, mit fortschreitender Handlung taucht jedoch ein background auf, der ein anderes Bild zeichnet.

    Die Ermittler des FBI sind genau wie die bösen Gangster der Bande dicht auf der Spur, doch die erfolgreichen Geldräuber um Ruban machen sich weiter das Leben schwer, zerfleischen sich mittlerweile gegenseitig, bauen durch Gier und Verrat ihre persönliche Hölle weiter aus und spielen damit ihren Gegenspielern in die Hände. Das Lügennetz, das Ruban zum Schutz der Bande ursprünglich schlau erdacht und situationsbedingt weiter gestrickt hat, bekommt immer mehr Löcher, durch die nicht zuletzt seine geliebte Frau Savanna blicken kann.

    Das Buch, beruhend auf einer wahren Begebenheit, weiht den Leser von Beginn an in den Millionencoup ein und verfolgt auf höchst spannende und schlaue Weise die Probleme, die sich für Ruban und seine aus der Not heraus zusammengewürfelte Bande nach dem Überfall ergeben.
    Mit Fast angehaltenem Atem verfolgt man zum einen den Ausgang des Geschehens, das sehr intelligent aufgebaut und erzählt und oft nur durch Verdachtsmomente geprägt ist, die zum Rätseln anregen, zum anderen begleitet man die im Laufe der Geschichte immer mehr nach vorn tretenden FBI-Ermittler und wirft gleichzeitig Blicke in Rubans Vergangenheit.
    Das Ergebnis ist ein für mich rundum gelungenes Buch, das mich nicht zuletzt durch den Aufbau der Story beeindruckt und überrascht hat. Einfach genial, wie anfangs komödiantisches Geplänkel immer tragischer und am Ende zum Thriller wird. Es ist gleichzeitig die Beschreibung eines eindrucksvollen persönlichen und sozialen Dilemmas der Hauptcharakters, der durch Lügen und die daraus resultierenden tragischen Folgen keine Auswege mehr zu haben scheint.
    Ich vergebe fünf Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.

    Erschienen bei Harper Collins
    Broschur
    11.04.2016
    ISBN 978-3959670272
    16,99 €


    12. Juli 2016

    Rezension zu "Winterhonig" von Daniela Ohms



    Die Autorin Daniela Ohms hat mit dem Roman " Winterhonig" eine sehr authentische und fesselnde Liebes- und Familiengeschichte aus dem Blickwinkel der Landbevölkerung mit Fokus auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges verfasst. Sie ließ sich dazu inspirieren von den Erlebnissen ihrer Großmutter, was dem Buch für mich enorme Glaubhaftigkeit verleiht.

    Klappentext
    Paderborner Land 1930er Jahre:
    Das Leben auf dem Bauernhof ist durch die Bestellung der Felder und die Versorgung der Tiere vorgegeben. Verzicht, Disziplin und Gottesfurcht bestimmen den Alltag der jungen Mathilda wie schon den ihrer Vorfahren. Erst der Zweite Weltkrieg ändert alles. Auf einmal müssen sie und ihre Schwestern harte Männerarbeit verrichten, in der Nachbarschaft entstehen neue Feindschaften und bilden sich unerwartete Allianzen. Selbst in ihrem Dorf ist das Klima geprägt von Misstrauen und Entbehrung, selbst hier wird Mathilda Zeugin von Judenverfolgung und schrecklichen Pogromen gegenüber Zigeunern. Aber mit wem kann sie noch darüber sprechen? Mit wem kann sie ihre Angst und ihre Sorgen teilen?
    Karl, die große Liebe ihres Lebens, ist der Einzige, dem sie vertraut. Aber Mathilda weiß nicht, dass er ein gefährliches Geheimnis bewahrt. Als er eines Tages spurlos verschwunden ist, bleibt ihr nur eine einzige Erinnerung an ihn: ein Glas Winterhonig.

    Zu Beginn des Buches kann man als Leser in schöner Langsamkeit Mathilda bei ihrer Entwicklung vom Kind zur jungen Frau über die Schulter schauen. Ihr Leben auf dem Hof ist stark geprägt vom frühen Tod ihrer Mutter und dem entbehrungsreichen und streng katholischem Landleben zusammen mit ihren Geschwistern und dem herben und wortkargem Vater, aber auch von der Liebe zu ihrem Bruder Josef und der Freundschaft und späteren Liebe zu Karl.

    Mit Beginn des zweiten Weltkrieges verfolgt man als Leser teilweise atemlos und erstarrt die damit verbundenen Schrecken, zum einen im dörflichen Paderborner Land, zum anderen als Begleiter eines Reiterbataillons zunächst in Frankreich, später im Russlandfeldzug. Die Stimmung an beiden  Handlungsorten ist geprägt von den für mich auch während des Lesens unfassbaren Schrecken und Grausamkeiten des Krieges. Aus so persönlichen Blickwinkeln wie im vorliegenden Buch beschrieben bekommt dies eine völlig andere Dimension, der Abstand zur Betrachtung fehlt, so dass ich an manchen Stellen völlig paralysiert gelesen habe.
    Die Autorin scheut auch nicht davor zurück, kriegsnahe Themen wie Zwangsarbeit, SS-Zugehörigkeit von Mitgliedern der Dorfgemeinschaft und spätere Reue aufzugreifen und ebenso aus der persönlichen Blickwinkeln zu betrachten. Aufgrund hervorragender Recherchearbeit, durch eindringliche Sprache sowie eine Erzählart nahe an den Charakteren sind auch diese Teile der Geschichte sehr  glaubhaft und klingen lange nach.

    "Allmählich begriff er jedoch,  der Teufel nicht damit zufrieden war, nur auf einer Seite zu stehen. In einem Krieg tummelte sich das Böse auf jeder Seite, und selbst wenn alle Menschen den Krieg verlieren würden, der Teufel würde gewinnen."

    Neben den historisch fundierten Ereignissen während des Krieges und der für mich hochinteressanten Beschreibung des Lebens auf dem Land zu dieser Zeit steht auch die Liebesgeschichte zwischen Karl und Mathilda sehr im Vordergrund des Buches.
    Diese Passagen sind für den Leser kleine oder große Hoffnungsschimmer inmitten all des Leids und Elends, Inseln, auf die man sich retten und verschnaufen kann. Die Liebe ist nicht nur Hoffnung für mich als Leser, sondern auch für die Charaktere Mathilda und Karl, sie sorgt dafür, dass sie nicht an den Umständen zerbrechen, was im Buch in keiner Weise kitschig beschrieben ist.
    Viele Blicke in die Vergangenheit erlauben, das Verhältnis zwischen Karl und Mathilda besser einzuschätzen und lassen die beiden Charaktere dreidimensional und lebendig erscheinen, ohne dabei vom Fokus auf den Erzählstrang abzulenken. Ich fühlte mich beim Lesen mancher Passagen nicht nur als stiller Beobachter, sondern hineinversetzt ins Geschehen.

    Fazit:
    Das Buch halte ich für sehr gelungen und lesbar sowohl mit Interesse für historische Ereignisse und Kriegsverwicklungen während des zweiten Weltkrieges als auch für Liebhaber tiefsinniger Liebes- und Familiengeschichten.
    Eindringlich und sehr fundiert bekommt man den Größenwahn des zweiten Weltkrieges, die Verfolgung von ganzen Völkern und das herbe und entbehrungsreiche Landleben vor Augen geführt, begleitet von einer klug konstruierten Liebesgeschichte. Vier Sterne für ein empfehlenswertes Buch.


    Roman, Hardcover
    Erschienen bei Knaur Verlag
    01.04.2016
    ISBN 978-3-426-65397-5
    19,99 €

    Rezension zu " Der Sommer, in dem wir das Leben neu erfanden" von Fabio Genovesi



    Fabio Genovesi hat einen wunderbaren und ungewöhnlichen Roadtrip zum Lachen und Weinen mit herrlich skurrilen Figuren geschrieben, der den Weg aus der Tragödie hinaus zurück ins Leben zeigt, ohne jemals kitschig zu wirken.

    Inhalt - Klappentext:
    Am liebsten streift die dreizehnjährige Luna am Strand entlang, zwischen den noch verbliebenen Touristen im toskanischen Forte dei Marmi, und sucht nach all den besonderen Dingen, die das Meer ihr anspült. Doch ihr Leben gerät ins Wanken, als ihr Bruder Luca in Frankreich einen Surfunfall hat. Da findet sie am Strand Nachrichten, die offenbar von Luca stammen, und folgt den Spuren. Begleitet wird sie von ihrer schönen, aber hoffnungslos chaotischen Mutter Serena, dem lethargischen Lehrer Sandro, Lunas altklugem Freund Zot und dessen Opa Ferro, der seine Zuneigung gut hinter Garstigkeit zu verstecken weiß. Und zwischen antiken Legenden, Geistern der Vergangenheit und Botschaften des Meeres stolpert die Gruppe auf ihrem Riadtrip auch über die kleinen und großen Wunder des Lebens.

    Man bekommt bei diesem Roman keinen Roadtrip im eigentlichen Sinne geliefert, vielmehr führt das Buch den Leser entlang eines Weges vom Glück ins Unglück und zurück ins Leben, und Geschehnisse unterwegs, die zufällig den "roten Faden" streifen, werden einfach mit erzählt, genau so wie man auf einer Reise Geschichten erzählt bekommt.

    Der Weg beginnt im Glück der bildschönen Serena mit ihren beiden Kindern. Das sind Luca, der das Gestirn ist, um des alles kreist, und Luna, ihrer Albino-Tochter mit Riesensonnenbrille und Kapuzenpulli eine Außenseiterin, die jeden Tag ein Geschenk vom Meer am Strand sammelt und die man anfangs durch verworrenes Gedankenchaos des Teenagers kennenlernt.
    Nach Lucas Unfall erstarrt alles, aus den Zeilen tröpfelt die unendliche Traurigkeit von Serena und Luna:
    "Der Schmerz kam immer noch nicht. Vielleicht war er so riesig, dass er enorm viel Raum brauchte und dein Inneres deshalb erst einmal entleerte...Von da an fühlte es sich wie ein riesiges Loch an, in das alles hineinfällt und sich verliert. Tag und Nacht, das Verstreichen der Stunden, Mittagessen und Abendessen und dieses unnütze Licht zwischen den Lamellen der Fensterläden."

    Die kleine kraftvolle Luna versucht, nach dem Unfall ihres Bruders ihren Weg weiterzugehen und den Alltag aufrecht zu erhalten. Sie muss funktionieren, weil ihre Mütter Serena es nicht tun kann. Begleitet und unterstützt wird sie liebevoll von Zot, dem geborenen Prügelknaben der Schule mit rosa Wollpulli und Altherrenmantel und seinem unfreiwillig komischen verdrehten altklugen Gehabe, der das Zusammensein mit Luna genießt.
    (Gespräch zwischen Luna und Zot)
    "..."Hör mal, du bist mindestens so ein Außenseiter wie ich." "Ich weiß, das ist wahr. Aber ich bin glücklich, mit dir etwas zu unternehmen, das ist der große Unterschied."..."

    Sandro, der Hilfslehrer, wohnt mit 40 Jahren immer noch bei seinen Eltern und ist von völlig verrückten und gleichermaßen auf der Verliererseite stehenden Freunden umgeben. Luca war als sein Lieblingsschüler auch sein Gestirn und er gibt sich die Schuld am Surfunfall in Frankreich. Als Katechet unterrichtet er Luna und Zot, träumt davon, von seinen Schülern angehimmelt zu werden und ist verliebt in Serena. Durch seine Anstrengungen, die eigentlich überhaupt nicht seinem trägen Naturell entsprechen, gibt er Luna Hoffnung und Mut, obwohl aus seiner Sicht alles darauf ausgerichtet ist, Serena zu gewinnen.

    Ferro schließlich, der unsympathische, übellaunige, an der Grenze zur Ekeligkeit machohafte Großvater nimmt Serena und Luna bei sich auf, als sie ihr Haus verlieren und ist seitdem unwillkommenes Anhängsel bei ihren Unternehmungen.

    "So ist der Tod, er kommt und nimmt alles mit. Nein, das stimmt nicht, er nimmt nicht restlos alles mit, der Tod lässt immer irgendetwas da, nur hat, was er übrig lässt, nichts mehr mit dem zu tun, was vorher da war."

    Letztlich funktioniert das Räderwerk der kleinen Gruppe so gut, dass Luna und später Serena zurückfinden aus der Traurigkeit und Mutlosigkeit und ihr Alltag und ihr kleines Glück wieder funktionieren kann. Erzählt wird das auf unglaublich charmante Weise gespickt mit unzähligen kleinen Episoden, die teils in die Vergangenheit, teils zu anderen Personen weisen und alle winzige Puzzleteile in einem großen völlig skurrilem und verrückten Universum sind, dessen Mittelpunkt nach meinem Dafürhalten auf sehr unkitschige Weise das Glück selbst ist.
    So betrachtet macht das Lesen des Buches unglaublichen Spaß, treibt sowohl vom Lachen als auch vom Weinen Tränen in die Augen und bekommt von mir wegen besonderem Lesevergnügen fünf Sterne.




    Erschienen im Insel-Verlag
    D: 16,95 € 
    A: 17,50 €
    CH: 24,50 sFr
    NEU
    Erschienen: 11.04.2016
    Klappenbroschur, 574 Seiten
    ISBN: 978-3-458-17671-8
    Auch als eBook erhältlich

    19. Juni 2016

    Rezension zu "Flavia de Luce - Eine Leiche wirbelt Staub auf" von Alan Bradley




    Ich liebe die Geschichten und Ermittlungen der kleinen altklugen und Sprüche-klopfenden Flavia de Luce, die in ihrem nun schon siebten Abenteuer in Kanada auf gewohnte Manier über eine Leiche stolpert und die Ermittler mühelos in die Tasche steckt sowie die Leser zum spannenden und verwirrenden Rätseln anregt.

    Klappentext:
    Alles Tote kommt von oben! Verbannt – so empfindet Flavia ihr Schicksal, als ihr Vater und ihre Tante Felicity sie auf ein Schiff nach Kanada verfrachten. Dort, in Toronto, soll sie Miss Bodycote’s Female Academy besuchen, das Mädcheninternat, an dem auch schon Flavias Mutter Schülerin war. Noch in ihrer ersten Nacht »in Gefangenschaft « landet ein unerwartetes Geschenk zu Flavias Füßen: eine verkohlte, mumifizierte Leiche, die aus dem Kamin in ihrem Zimmer purzelt – der Beginn einer Reihe von Nachforschungen, bei denen Flavia auf zahlreiche mysteriöse Vorkommnisse in Miss Bodycote’s stößt. Doch wenn es darum geht, Rätsel zu lösen, ist Flavia in ihrem Element ...

    Die intelligente, chemieverliebte, exzentrische 12jährige Flavia de Luce hat mich auch in diesem Band mit ihren verdrehten Gedankengängen und klugen Rückschlüssen verblüfft und begeistert. Auf sich allein gestellt in Kanada und verbannt von ihrem geliebten Buckshaw in Bishop's Lacey verfolgt sie genauso wie ein Terrier ihr Ziel und geht dabei dennoch ungewohnte Wege. Genau wie ich beim Lesen vermisst sie allerdings lieb gewonnene Figuren aus ihrer gewohnten Umgebung und ihrer Familie. Doch an schrägen und undurchsichtigen Charakteren mangelt es auch diesmal nicht, angefangen vom Lehrkörper der Miss Bodycote über Hausmutter, Hausmeister und Dienstpersonal der dortigen Wäscherei bis hin zu den dauerrauchenden Schülerinnen, die zum Teil auf mysteriöse Art verschwinden. Sehr schön old-fashioned platziert in den 1950er Jahren  hat vieles für mich einen besonderen Reiz. Die durchaus hochnäsige britische Flavia manövriert sich filmreif und mit ebensolcher Ausdrucksweise (natürlich orientiert an den 1950er Jahre-Filmen) durch die "neue Welt".

    Flavia ist in Kanada auf sich selbst gestellt, weiß nicht, wer Freund und wer Feind ist, muss Prüfungen bestehen, die sie in keiner Weise durchschaut. Und das alles unter Einhaltung einer absurden Hausordnung, die striktes Lichtverbot nach neun ebenso beinhaltet wie das Verbot des Befragens von Mitschülern über andere Mitschüler. Dass Flavia unter diesen Umständen abendliche und nächtliche chemische Experimente und Personenbefragungen zur Ermittlung des Mörders bewerkstelligen kann grenzt an ein Wunder und ruft bei der Verdrehtheit der Planung und Durchführung beim Lesen viel Vergnügen und Schmunzeln hervor.
    Am Ende - wie sollte es anders sein - steckt sie den ermittelnden Inspektor mit ihren Schlussfolgerungen in die Tasche, ist allen anderen Verschwörern mindestens eine Nasenspitze voraus und löst das Rätsel, ohne den Ruhm dafür einheimsen zu können.

    Mir gefiel das Setting der vorangegangenen Bände und das Wiedersehen mit den einzelnen Figuren bisher sehr gut, dennoch hat auch dieser Band seinen Reiz. Für mich erscheinen die Charaktere der Schulbesatzung von Miss Bodycote aber lediglich als Hintergrundmusik zu Flavia's virtuosem Spiel, was zwar zu ihrem Typus als Einzelgängerin passt, der Geschichte aber leider auch ein wenig der Farbigkeit nimmt.
    Dennoch habe ich mich köstlich amüsiert und mitgefiebert, wer hinter dem Mord steckt, weshalb das Buch von mir fünf Sterne bekommt.




    Alan Bradley
    Flavia de Luce. Eine Leiche wirbelt Staub auf.
    Roman
    Verlag: Penhaligon
    €19,99
    Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
    ISBN 978-3-7645-3112-6

    9. Juni 2016

    Rezension zu Muchachas Band drei von Katherine Pancol



    Der dritte und letzte Teil der Muchachas-Trilogie von Katherine Pancol führt die Erzählungen aus Teil eins und zwei mit einerseits großer Leichtigkeit und andererseits bedrückender und schicksalhafter Atmosphäre fort.

    Klappentext
    Joséphine will endlich erfahren, wer der Mann ist, der sie seit einiger Zeit verfolgt. Weiß er wirklich etwas über ihren geliebten Vater? Ihre Tochter Hortense arbeitet weiter wie besessen an ihrer Karriere und ist bereit, alles für den Erfolg zu geben. Die Gönnerin Elena sinnt weiter auf Rache für eine lang zurückliegende nie verwundene Demütigung. Die hochtalentierte Violinistin Calypso schwelgt zum ersten Mal in der magischen Kraft der Liebe. Stella will sich nicht länger von der Vergangenheit, von den vielen Lügen und Vertuschungen quälen lassen und beschließt, dem ein für allemal ein Ende zu bereiten - mit allen Mitteln. Und auch ihre Mütter Léonie wagt sich langsam zurück in ein Leben ohne Angst.
    Im furiosen dritten Band erzählt Bestsellerautorin Katherine Pancol erneut von ihren Muchachas, die keinen Kampf scheuen, um sich und ihre Liebsten zu schützen, die sich gegenseitig Mut zusprechen, wenn die Hoffnung sie verlässt, die sich miteinander verbünden, wenn der Rest der Welt sich gegen sie stellt, die die Hände träumerisch in den Himmel heben aber mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen - und die immer wieder über sich selbst hinauswachsen, um das Leben, das wahre Leben, doch noch zu fassen zu kriegen.

    Alle bisherigen Geschichten werden im letzten Romanband weiter erzählt, viel Raum nimmt diesmal Stella's schweres Schicksal und das ihrer geschundenen Mutter ein. Man begleitet die hilflose und geprügelte Léonie auf dem steinigen Weg von der angstvollen, verschreckten und kraftlosen Frau zurück an den Beginn eines normalen Lebens. Stella, die wütende und kraftvolle Person, die aus unglaublichem Leid hervorging, steht streckenweise allein gegen eine ganze Stadt voller Lügen und Betrug und muss ihre Mütter Léonie vor weiteren Anschlägen durch den gewalttätigen Vater schützen. Es erzeugt bei mir einerseits große Wut, andererseits viel Bewunderung beim Lesen, von ihren Schicksalsschlägen und von ihrem Kampf zu lesen. Die Figuren dieses Erzählstranges sind glaubhaft und mit viel Tiefe ausgearbeitet, was diesen Teil der Geschichte enorm intensiviert und hohe Spannung erzeugt.

    Hortense und ihre Arbeit auf dem Weg als erfolgreiche Modedesignerin ist Hauptteil eines weiteren Erzählstranges, in dem wiederum Garry als ihr Geliebter und begnadeter Pianist, die Violinistin Calypso und die Geldgeberin Elena verbandelt sind. Hauptaugenmerk ist wieder wie schon in Band zwei die Suche nach dem perfekten Kleidungsstück, mit Variation der Orte New York und Paris. Dieser Teil des Buches um Hortense konnte mich auch im dritten Teil nicht packen. Ich empfinde Hortenses Charakter als flach angelegt, weil ihre Arbeit und nicht ihr Schicksal im Vordergrund steht. Gegenüber Band zwei ergibt sich dabei leider auch wenig Neues.
    Allerdings ist auch Hortense eine der Muchachas, das heißt, sie besitzt die Fähigkeit, ihr Glück ohne männliche Hilfe durch eigene Kraft zu finden.

    Nicht alle in den vorangegangenen Bänden begonnenen Episoden werden bis zum Ende erzählt, manches wird nur angetippt und offen gelassen. Genau das macht die Trilogie jedoch sehr sympathisch, sehr lebensnah betrachtet man einen wichtigen Teil einer Geschichte und bekommt zwar am Rand Kleinigkeiten mit, die sich jedoch nicht vollständig erschließen.

    Fazit:
    Ein gut passender Abschlussband einer leicht und angenehm zu lesenden Trilogie, die einerseits schwerwiegende Themen berührend erzählt, andererseits aber auch gerne in Oberflächlichkeiten und ein wenig Zuckerguss abgleitet.
    Ich vergebe drei Sterne.




    Katherine Pancol
    Muchachas -Nur ein Schritt zum Glück
    Roman Band 3
    Paperback, Klappbroschur

    €14,99
    ISBN 978-3-570-58558-0
    Erschienen bei Randomhouse Verlagsgruppe
    Mai 2016

    Teil zwei als Zwischenspiel der Muchachas-Trilogie von Katherine Pancol




    Der zweite Teil der Muchachas-Trilogie von Katherine Pancol setzt die im ersten Teil begonnenen Geschichten um sechs Frauen, deren Leben teilweise miteinander verbandelt ist, fort und lässt viele Fäden für den dritten Teil offen.

    Klappentext
    Hortense ist wild entschlossen, ihren Weg als Modedesignerin zu gehen, und setzt alles daran, ihr eigenes Label zu gründen. Ihr Freund Garry steht vor seinem ersten großen Konzert, gemeinsam mit der begnadeten Violinistin Calypso, die bei ihren Großeltern aufgewachsen ist und ihre Mütter nie kennengelernt hat. Elena, die ebenso wohlhabende wie geheimnisvolle alte Dame, gibt sich Hortense und Garry gegenüber  als Wohltäterin, verfolgt dabei aber Ihre ganz eigenen Pläne, wie es scheint. Joséphine pendelt zwischen Paris, wo ihre Tochter Zoé Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens durchlebt, und London, wo ihr Geliebter Philippe auf sie wartet, dessen Liebe sie sich immer noch nicht sicher ist. Und Shirley, Joséphines beste Freundin, verliebt sich haltlos in den falschen Mann, und gerät damit in einen schrecklichen Gewissenskonflikt.
    Auch im zweiten Teil der Muchachas-Trilogie erzählt Katherine Pancol auf ihre unvergleichliche Weise von Liebe und Freundschaft, von Wünschen und Sehnsüchten, vom ganz normalen Gefühlschaos ihrer Heldinnen, die mit all ihren Schwächen und Stärken den Leserinnen bereits ans Herz gewachsen sind.

    Wie bereits im Teil zuvor liegt auch hier der Schwerpunkt nicht gleichmäßig auf allen Figuren und deren Weg. Von der mir im ersten Teil sehr nahegehenden Geschichte um Stella, ihre Mutter Léonie und den gewalttätigen und nach außen hin heldenhaften Vater Ray erfährt man in diesem Teil zum Beispiel gar nichts. Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt auf Calypso Muñez, der Violinistin, und Hortense, der Modedesignerin sowie den Personen aus deren Umfeld.

    Calypsos Schicksal ist bewegend, die Rückblicke in ihre schwierige und dramatische Kindheit lebensnah und fesselnd erzählt. Man ist beim Lesen geneigt, diese vor innerer Schönheit strahlende und sehr schüchterne, zweifelnde Person in den Arm zu nehmen. Die Beschreibung ihrer Hingabe zur Musik und zum Violinenspiel birgt große Nähe und Intensität, was mir sehr gefallen hat.
    Die Begleitung von Hortenses Weg hat mich dagegen in keiner Weise mitgerissen, vieles erschien beim Lesen belanglos, fast langweilig. Natürlich ist ihre Figur bewusst als einerseits zielstrebiger und willensstarker, andererseits unsympathischer und egozentrischer Charakter dargestellt, aber nach meinem Geschmack fehlt es dieser Figur einfach an Tiefe. Man erfährt lediglich von ihrer Hingabe zur Mode und ihrer Arbeit auf der Suche nach dem perfekten Kleidermodell und dem passenden Material dazu. Die sie umgebenden Personen sind eigentlich nur Dekoration.
    Hortense nimmt wie schon im ersten Teil der Trilogie einen großräumigen Platz in diesem Band ein, womit die Lektüre für mich viel Intensität und Spannung verloren hat, die durch die Geschichten der anderen Muchachas entsteht.

    Einige im ersten Teil angesprochene Nebencharaktere erhalten im Band zwei erneut Platz, so dass man ein runderes Bild erhält. Manches, wie die Queen zum Beispiel, wird nur ganz kurz angetippt, aus dem Augenwinkel erhascht; solche Passagen erscheinen ein paar Seiten später fast schon unwirklich und nebulös. Diese Randfiguren erfüllen die Geschichten mit buntem Leben und sind wichtig für die Verknüpfung der Muchachas untereinander, die man als Leser auch im Band zwei nicht recht erfassen kann. Das stört aber nicht, im Gegenteil, die Neugier auf den dritten Band bleibt dadurch erhalten.

    Fazit:
    Ein Buch mit Höhen und Tiefen, das für mich eher ein Zwischenspiel von Band eins und drei der Muchachas-Trilogie ist. Ich vergebe drei Sterne und hoffe, im dritten Band wieder von Stella's Schicksal zu lesen.




    Katherine Pancol
    Muchachas - Kopfüber ins Leben
    Roman Band 2

    Paperback, Klappbroschur
    € 14,99
    ISBN 97-3-570-58557-3
    Erschienen bei Randomhouse Verlagsgruppe
    April 2016

    26. April 2016

    Rezension "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben" von Ángeles Doñate





    Das Buch "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben" von Ángeles Doñate ist ein gemütliches, ruhiges Wohlfühlbuch, das neben der Lust am Lesen auch die Lust zur langsamen Kommunikation des Briefeschreibens erweckt.

    Klappentext:
    In dem kleinen spanischen Ort Porvenir zieht der Winter mit einer schlechten Nachricht ein: Das über hundert Jahre alte Postamt soll geschlossen werden. Eine Hiobsbotschaft für Sara, die rothaarige Postbotin und allein erziehende Mutter, die nun nach Madrid versetzt werden soll. Und eine Katastrophe für die achtzigjährige Rosa, die in der sympathischen Frau und ihren drei kleinen Kindern eine Familie gefunden hat. Doch dann hat die alte Dame eine Idee, die alles vielleicht noch retten könnte: Sie schreibt einen Brief, der ihr schon seit Jahrzehnten auf der Seele brennt, und eröffnet damit einen Reigen außergewöhnlicher Briefe, die alle auf dem Postamt von Porvenir landen. An ihrem vierzigsten Geburtstag erhält die vollkommen überraschte Sara neununddreißig Briefe mit Zitaten aus den schönsten Liebesbriefen der Weltliteratur. Der vierzigste Brief aber ist von dem Mann, der sie heimlich liebt...

    "Ungesagte Worte sind wie Anker, die uns an die Tiefe ketten"

    Viele liebenswerte Kleinigkeiten und Detailbeschreibungen machen die Geschichte zu einer Harmonie-Erzählung, in der man sich gerne verlieren möchte. Das Buch strotzt vor berührenden Textstellen, die man sich am liebsten alle aufschreiben möchte, um sie nicht wieder zu verlieren. Bei der Lektüre des Buches kommt man sich als Leser fast so vor, als würde man selbst all die Briefe, die im Buch stehen, erhalten und lesen dürfen und dabei die Geschichten der Schreiber erfahren. Die Briefe rühren am Herz des Lesers, sorgen für ein einhüllendes Gefühl wie durch eine kuschelige Decke. Die Beziehungen der meisten Bewohner des Dorfes Porvenir untereinander ist geprägt von Behaglichkeit, Wohlwollen und Vorsicht im Umgang miteinander, wovon auch die meist der Briefe zeugen. Die wenigen Ausnahmen an eckigen Charakteren finden am Ende der Geschichte auch ihren Platz in der Gemeinschaft des Dorfes oder zumindest in ihrem eigenem Leben.
    Da auch noch zwei Liebesgeschichten in der Rahmenhandlung des Buches eine Rolle spielen, und eine Chilenin, die zwecks Versorgung ihrer Familie gezwungen ist, in Porvenir zu arbeiten und ihre Kinder deshalb nicht aufwachsen sehen kann, ein kleines Stück Glück durch Akzeptanz und etwas Zuwendung erfährt, geht dem Leser am Ende des Buches das Herz vollends auf.

    Doch genau dies ist auch meine Kritik am Buch. Ich mag durchaus Harmoniebücher und halte es für wichtig, als Gegenpol zum Elend und Leid zu zeigen, wie schön Glück und friedliches Zusammenleben sein kann, was dieses Buch versucht. Doch hier wirkt das auf mich nicht überzeugend genug, vieles läuft zu glatt, zu kampflos. Die Dinge fügen sich fast von allein zum Guten, was mir hier einfach zu unrealistisch und auch am Ende des Buches zu viel ist und damit die Geschichte leider zu platt und anspruchslos wirken lässt.

    Ich gebe dennoch eine Leseempfehlung mit drei Sternen, sofern man es als einhüllendes, Geborgenheit vermittelndes und gut zwischendurch zu lesendes nicht allzu anspruchsvolles Werk betrachtet. Manchmal bedarf es einer märchenhaften Geschichte, und nicht zuletzt die Anregung zum Briefe schreiben, die mich auch erreicht hat, hat doch etwas sehr schönes.




    Ángeles Doñate
    "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben"
    Fester Einband, 420 Seiten
    ISBN 978-3-8517-9341-3
    Verlag Thiele & Brandstätter
    Erstausgabe Februar 2016