17. Februar 2019

Rachegeschichte





„Die Farben des Feuers“ von Pierre Lemaitre ist eine Geschichte um Rache und Betrug verpackt in ein spannendes Sittengemälde und Familienepos zu Beginn der 1930er Jahre in Paris, mit den Vorboten des Zweiten Weltkrieges am Horizont und mit intensivem Blick auf die Entwicklung einer kraftvollen jungen Frau und Mutter. 

Das Oberhaupt der Bankiersfamilie Marcel Péicourt ist tot, und die alleinerbende Tochter Madeleine steht plötzlich an der Spitze des Imperiums, ahnungslos und als Frau in der damaligen Zeit auch ohne Macht und Anerkennung. Sie ist umgeben vom enttäuschten und unterbezahlten Prokurist Gustave Joubert, ihrem verschwenderischen und politisch ambitionierten Onkel Charles Péricourt, ihrem Liebhaber André und ihrem kranken Sohn Paul, der nach einem Fenstersturz zur Beerdigung seines Großvaters neben körperlichen Schäden schlimme Erinnerungen mit sich herumträgt. Neider wollen Madeleines Verderben und treiben sie tatsächlich in den Ruin, aber Madeleine plant für die Zukunft ihres Sohnes einen eiskalten Rachefeldzug, mit dem sie im Schatten von Börsenskandalen und Kriegstreibereien die Habsucht und das Misstrauen ihrer Gegner gekonnt auszunutzen versteht.

Zu Beginn tat ich mich beim Lesen schwer mit der Sprache, die gewollt auf alt gemacht doch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Es passt zur Geschichte, ist zwar nicht schwer zu lesen, aber eben ungewohnt. Auch an die feine Ironie musste ich mich erst gewöhnen, und sie als solche erkennen, da auch das in meinen Augen ein wenig zu gewollt wirkte, nicht so ironisch-leichtfüßig wie erhofft. 
Im Mittelteil zieht sich die Handlung ein wenig, man vermisst den Fortgang von anfangs sich fast überschlagenden Ereignissen, aber im letzten Viertel nimmt die Spannung wieder zu.
Äußerst ansprechend finde ich den historischen Bezug der Figuren, hier vermute ich wirklich gute Recherchearbeit des Autors, die beim Lesen unbemerkt und leichtfüßig daher kommt.


Ich habe das Buch insgesamt gern gelesen, und auch wenn sich in filmischer Abenteuermanier mitunter allzu viele zwielichtige Gestalten und Bösewichter die Klinke in die Hand geben bleibt die Geschichte letztlich dennoch eine nachvollziehbare, von langer Hand geplante Rachegeschichte, die mit viel Spannung erzählt ist und ein interessantes gesellschaftliches Bild des Paris der 1930er Jahre zeichnet.



Pierre Lemaitre
Die Farben des Feuers
aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Roman gebunden
Erscheint am 28.Februar 2019
ISBN 978-3-608-96338-0
€ 25,00 (D)
€ 25,80 (A)




10. Februar 2019

Klischeehaft




Anne Catherine Bomanns Erstling „Agathe“ ist ein schmales Buch, in dem sie eine Geschichte über Freundschaft, neue Wege und Aufbruch erzählt.

Ein Psychiater kurz vor dem Ruhestand, desillusioniert, gefangen in einem langweiligen, äußerst einsamen und komplett durchorganisierten Leben ohne Herausforderungen und eine junge psychisch kranke Frau, die sich unbedingt von ihm behandeln lassen will sind die Zutaten, aus denen die Autorin mit eleganter und klarer fast spröder Sprache ihre kurze Geschichte abspult.
Namenlos, langweilig, schrullig und sozial inkompetent ist der Psychiater, dem Agathe jung und quirlig und aus jahrelanger psychiatrischer Behandlung vorbelastet gegenübergestellt wird. Sie bewirkt einen Wandel in seinem Leben während der Sitzungen, der ihn aus seiner Lethargie löst.

Es ist letztlich ein Wohlfühl-Buch, in dem aus Abwarten, Eintönigkeit und einem unaufgeregtem Leben in Richtung Ruhestand neue Wege geöffnet werden, Freundschaft und Nähe entsteht und das Leben eines alternden Psychiaters wieder Schwung bekommt.

Und genau das ist es, was mich unter anderm an dem Roman stört. Ein für mich absolut grandioser erster Teil, in dem die Langeweile des Psychiateralltags aus den Seiten zu tröpfeln scheint, in dem Agathe und andere Patienten fast störend wirken und man beim Lesen ein ausgezeichnetes Gespür für den schrulligen alten Mann bekommt wandelt sich im zweiten Teil des Buches in ein klischeebelastetes Alles-wird-gut-Buch. Es ist schade um die wirklich hervorragende Art der Autorin, Gefühle für die Charaktere zu wecken, um den stilistisch und erzählerisch gekonnten Ansatz und um die Geschichte selbst.

Verblassen der Figuren, Abgleiten in Positivismus, der für mich nicht nachvollziehbar und glaubhaft wirkt wird dadurch aus einem kleinen feinen und eleganten Gespinst ein Buch, das wie so viele andere Bücher auch eine heile Welt heraufbeschwört, unglaubwürdig und zu schön um wahr zu sein.



Anne Cathrine Bomann
Agathe
Übersetzt von Franziska Hüther
Roman gebunden, 160 Seiten
Erschienen am 28.1.2019
ISBN 978-3-44626191-4
16,00 € (D)
16,50 € (A)