26. April 2016

Rezension "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben" von Ángeles Doñate





Das Buch "Der schönste Grund, Briefe zu schreiben" von Ángeles Doñate ist ein gemütliches, ruhiges Wohlfühlbuch, das neben der Lust am Lesen auch die Lust zur langsamen Kommunikation des Briefeschreibens erweckt.

Klappentext:
In dem kleinen spanischen Ort Porvenir zieht der Winter mit einer schlechten Nachricht ein: Das über hundert Jahre alte Postamt soll geschlossen werden. Eine Hiobsbotschaft für Sara, die rothaarige Postbotin und allein erziehende Mutter, die nun nach Madrid versetzt werden soll. Und eine Katastrophe für die achtzigjährige Rosa, die in der sympathischen Frau und ihren drei kleinen Kindern eine Familie gefunden hat. Doch dann hat die alte Dame eine Idee, die alles vielleicht noch retten könnte: Sie schreibt einen Brief, der ihr schon seit Jahrzehnten auf der Seele brennt, und eröffnet damit einen Reigen außergewöhnlicher Briefe, die alle auf dem Postamt von Porvenir landen. An ihrem vierzigsten Geburtstag erhält die vollkommen überraschte Sara neununddreißig Briefe mit Zitaten aus den schönsten Liebesbriefen der Weltliteratur. Der vierzigste Brief aber ist von dem Mann, der sie heimlich liebt...

"Ungesagte Worte sind wie Anker, die uns an die Tiefe ketten"

Viele liebenswerte Kleinigkeiten und Detailbeschreibungen machen die Geschichte zu einer Harmonie-Erzählung, in der man sich gerne verlieren möchte. Das Buch strotzt vor berührenden Textstellen, die man sich am liebsten alle aufschreiben möchte, um sie nicht wieder zu verlieren. Bei der Lektüre des Buches kommt man sich als Leser fast so vor, als würde man selbst all die Briefe, die im Buch stehen, erhalten und lesen dürfen und dabei die Geschichten der Schreiber erfahren. Die Briefe rühren am Herz des Lesers, sorgen für ein einhüllendes Gefühl wie durch eine kuschelige Decke. Die Beziehungen der meisten Bewohner des Dorfes Porvenir untereinander ist geprägt von Behaglichkeit, Wohlwollen und Vorsicht im Umgang miteinander, wovon auch die meist der Briefe zeugen. Die wenigen Ausnahmen an eckigen Charakteren finden am Ende der Geschichte auch ihren Platz in der Gemeinschaft des Dorfes oder zumindest in ihrem eigenem Leben.
Da auch noch zwei Liebesgeschichten in der Rahmenhandlung des Buches eine Rolle spielen, und eine Chilenin, die zwecks Versorgung ihrer Familie gezwungen ist, in Porvenir zu arbeiten und ihre Kinder deshalb nicht aufwachsen sehen kann, ein kleines Stück Glück durch Akzeptanz und etwas Zuwendung erfährt, geht dem Leser am Ende des Buches das Herz vollends auf.

Doch genau dies ist auch meine Kritik am Buch. Ich mag durchaus Harmoniebücher und halte es für wichtig, als Gegenpol zum Elend und Leid zu zeigen, wie schön Glück und friedliches Zusammenleben sein kann, was dieses Buch versucht. Doch hier wirkt das auf mich nicht überzeugend genug, vieles läuft zu glatt, zu kampflos. Die Dinge fügen sich fast von allein zum Guten, was mir hier einfach zu unrealistisch und auch am Ende des Buches zu viel ist und damit die Geschichte leider zu platt und anspruchslos wirken lässt.

Ich gebe dennoch eine Leseempfehlung mit drei Sternen, sofern man es als einhüllendes, Geborgenheit vermittelndes und gut zwischendurch zu lesendes nicht allzu anspruchsvolles Werk betrachtet. Manchmal bedarf es einer märchenhaften Geschichte, und nicht zuletzt die Anregung zum Briefe schreiben, die mich auch erreicht hat, hat doch etwas sehr schönes.




Ángeles Doñate
"Der schönste Grund, Briefe zu schreiben"
Fester Einband, 420 Seiten
ISBN 978-3-8517-9341-3
Verlag Thiele & Brandstätter
Erstausgabe Februar 2016

    Rezension zu "Der Edelsteingarten" von Susanne Ayoub




    Die Autorin Susanne Ayoub, aufgewachsen bis zu ihrem sechsten Lebensjahr im Irak und heute in Wien lebend, hat in ihrem Buch "Der Edelsteingarten" die ungewöhnliche Liebes- und Lebens-Geschichte ihrer Eltern als Vorlage für das Buch gewählt.

    Klappentext:
    Der Weihnachtsabend 1955 beginnt für Laura wie so viele andere mit Streit im Elternhaus. Doch dann erscheint ein unerwarteter Besuch: Younis, ein junger Mann aus Bagdad. Und alles wird mit einem Schlag anders. Noch ehe das Jahr zu Ende ist, sind Laura und Younis ein Paar.
    Laura verlässt Wien, ihre Eltern, ihre Freunde und folgt Younis nach Bagdad. Im Edelsteingarten aus dem Gilgamesh-Epos sind die Bäume, die Blätter und Früchte aus kostbarem Gestein, es gibt keine Dornen, nur Kristalle, keine Finsternis, nur Sonnenschein. Märchenhaft wie dieses Bild erscheint Laura der Weg in ihr neues Leben. Die Welt des Orients mit seinen Farben, Düften und Klängen zieht sie sofort in ihren Bann. Doch jenseits der prunkvollen Bagdad-Villen, in denen die Wohlhabenden abgeschieden leben, endet die Idylle.
    Das tödliche Attentat auf die Königsfamilie stürzt die irakische Monarchie. Allein zu Hause mit ihrer kleinen Tochter erlebt Laura den Ausbruch des Bürgerkrieges im Land. Nichts bleibt, wie es war. Auch Younis wird ein anderer. Er führt ein zweites Leben, von dem Laura nichts erfahren darf. Sie erkennt, dass sie einen Fremden geheiratet hat.

    Das Buch strotzt vor Bildern, die das Bagdad der 50er und 60er Jahre und dessen Schönheit vor dem Auge des Lesers entstehen lassen. Fast kann man Laura auf dem Markt sehen, riecht und schmeckt die Köstlichkeiten selbst. Ebenso der Alltag in der Familie und das Leben in der orientalischen Stadt ist für den Leser sehr gut und nachvollziehbar transportiert worden.

    Doch komplett unverständlich und teilweise sogar störend ist für mich das Handeln der Protagonistin. Völlig unwissend und naiv folgt Laura nach sehr kurzer Zeit einem ihr total Unbekanntem in ein fremdes Land und ist ihm und seiner Familie dort ausgeliefert. Selbst bei ihrem Übertritt zum Islam und der damit verbundenen Abgabe ihrer Rechte kommen ihr nicht wirklich Zweifel. Mir erscheint diese Situation auch in Anbetracht der Zeit extrem, zumal Laura bis dahin durchaus in der Lage war, für sich selbst finanziell zu sorgen und sich in Wien in keine Abhängigkeiten begeben hat.
    Ihr Ehemann Younis schließt sie im wesentlichen aus seinem Leben und seinen Beziehungen zu Familie und Freunden aus, was jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, zu Gefühlsausbrüchen führt oder Laura dazu veranlasst, ihr Schicksal und das ihrer Tochter in die Hand zu nehmen. Dadurch erscheint die Figur und ihre Geschichte für mich sehr blass, unglaubwürdig und effekthaschend konstruiert.
    Dabei ist das Buch durchaus sehr spannend zu lesen, aber eben leider mit Distanz durch den Leser wo ein Mitfiebern mit den Charakteren wünschenswert gewesen wäre.

    Die Handlung spielt vor dem Hintergrund der Irakischen Revolution zum Sturz von König Faisal II. 1958 und dem Militärputsch im Februar 1963 mit dem Sturz der Regierung und der Hinrichtung von General Abdul Karim Quassem. Auf diese Ereignisse bezogene politische Verfolgungen und
    Inhaftierungen, Aufstände im kurdischen Gebiet, Aburteilung von königstreuen Irakern nach der Revolution durch das Revolutionsgericht aber auch die Erwähnung und Einordnung der putschenden Baath-Partei-Anhänger 1963 machen das Setting des Romanes sehr interessant.
    All das wird jedoch nie zum Vordergrund der Geschichte um Laura und Younis sondern bildet deren ereignisreichen Hintergrund.

    Fazit:
    Ein Drei-Sterne-Buch über eine ungewöhnliche, sehr unterhaltsame aber in meinen Augen leider nicht  wirklich mitreißende Geschichte im revolutionären Bagdad.



    Susanne Ayoub "Der Edelsteingarten"
    Roman, 400 Seiten
    Februar 2016
    ISBN 978-3-7844-3391-2
    Verlag Langenmüller

    Rezension zu "Des Tauchers leere Kleider" von Vendela Vida




    KLAPPENTEXT
    Eine Amerikanerin reist überstürzt nach Casablanca. Der Grund für ihre Reise ist unklar. Kaum in ihrem Hotel angekommen, wird sie ausgeraubt. Die Polizei und die Hoteldirektion versuchen scheinbar, den Dieb zu fassen, haben sich aber eigentlich gegen die Amerikanerin verschworen. Auf der Polizeiwache wird ihr der Rucksack einer fremden Frau ausgehändigt, deren Identität sie gezwungenermaßen annimmt. Vorübergehend, wie sie denkt, bis sich alles aufgeklärt hat. Doch einmal von der Last des eigenen Ich befreit, beginnt sie, Freude daran zu empfinden, sich von der Frau, die sie einmal war, immer mehr zu entfremden. Bis sie eine berühmte Hollywood-Schauspielerin kennen lernt und einen Schritt zu weit geht.
    "Des Tauchers leere Kleider" erzählt das Abenteuer einer Frau, die allen Grund zur Flucht hat – einer Frau, die sich in eine fremde Landschaft begibt, um zu vergessen, und dabei zum ersten Mal zu sich selbst findet. Mit Anklängen von Alfred Hitchcock und Patricia Highsmith: ein Roman voller extravaganter Vergnügungen.

    Das Buch spielt mit Identität und Identitätsverlust und unserer Abhängigkeit oder Unabhängigkeit davon. Der Ansatz ist sehr interessant, dass eine dem Leser unbekannte Frau in einem fremden Land ihrer persönlichen Gegenstände und durch eine Reihe von Zufällen und Verstrickungen auch ihrer Identität beraubt wird, ohne straflose und glaubhafte Möglichkeit, diese wiederzuerlangen.
    Man fühlt sich beim Lesen nahe bei der jungen Frau, deren Namen und Identität man nicht kennt, fiebert anfangs mit ihr durch die Verwicklungen, an denen sie selbst teilweise schuld ist, die sich zum Teil auch zufällig ergeben. Nähe wird dadurch aufgebaut, dass die Protagonistin dem Leser sehr vertraulich von ihren Erlebnissen berichtet, indem sie diese nicht in der Ich-Form, sondern in der Du-Form erzählt, so wie man es vielleicht gegenüber einem engen Freund tun würde oder vielleicht auch im Selbstgespräch. Dadurch wird der Leser in die Handlung einbezogen, und auch wenn nicht immer klar ist, ob die Vorgänge tatsächlich so geschehen oder der verdrehten Wahrnehmung der Frau entspringen entspringen fiebert man anfangs um den Fortgang der Ereignisse.

    Doch leider ist genau dies auch das große Manko des Romanes. Die Geschichte wendet sich zwar nach rechts und links, aber die ausschließliche Zwiesprache der Protagonistin mit sich selbst bzw. mit dem Leser verhindert den interessanten Wechsel von Blickwinkeln ebenso wie Berichte aus der Vergangenheit und den Aufbau weiterer Charaktere. Auch die Erzählerin selbst ist nicht greifbar und wirkt blass. Dadurch verliert der Roman leider sehr viel Boden, schafft großen Abstand zum Leser, der sich im Laufe der Zeit mehr und mehr ausgeschlossen fühlt und das Geschehen nur noch wie durch ein Fernglas betrachtet, weil irgendwie alles auf Anfang steht. Das Buch wirkt trotz interessanten Ansatzes leider nur oberflächlich, obwohl man aus Neugier immer weiter liest und irgendwann abrupt zum Ende kommt.

    Positiv zu werten ist für mich die Kulisse des Romans, Marokko und insbesondere Cassablanca erwachen durch die Augen der unbekannten Erzählerin zum Leben. Die Stadt wirkt bedrohlich und feindlich auf die unbekannte Frau und auf den Leser, man spürt sie Gefahr wie in einem guten Film, insbesondere am Beginn des Romanes.

    Fazit:
    Eine sehr interessante Grundidee der Erzählweise, die jedoch im Laufe des Romanes zu oberflächlich wirkt und verschiedene Sichtweisen und andere Betrachtungen verhindert. 3 Sterne

    Die Autorin Vendela Vida ist eine der Herausgeberinnen des Believer Magazine. Sie lebt mit ihrem Ehemann Dave Eggers in San Francisco und hat bisher vier Romane veröffentlicht.



    Vendela Vida "Des Tauchers leere Kleider"
    Übersetzt von Monika Baark
    Gebunden mit Schutzumschlag, 252 Seiten
    ISBN 978-3-351-03629-4
    Aufbau Verlag, Februar 2016
    19,95 €

    25. April 2016

    Rezension zu "V5N6 - Tödliches Fieber" von Louise Welsh




    Das kluge Endzeitszenario "V5N6" der Autorin Louise Welsh ist eine sehr spannende Mischung aus Seuchenthriller und medizinischem Krimi, das in London angesiedelt ist und den ersten Teil einer Trilogie darstellt.
    Menschlich-soziale Aspekte stehen gegenüber nägelkauender Spannung im Vordergrund, und dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist das Buch für mich ein Pageturner.

    Klappentext:
    Oberflächlich betrachtet hatten die drei Amokläufe in London in diesem heißen Sommer nichts mit den späteren Ereignissen zu tun, aber für Stevie Flint waren sie wie ein Menetekel für das, was noch kommen sollte. Als ihr Freund sie versetzt und sie ihre Sachen aus seiner Wohnung holen will, findet sie ihn tot in seinem Bett. Kurz danach wird sie krank. Hohes Fieber, Erbrechen, Schüttelfrost. Als sie nach Tagen wieder mühsam auf die Beine kommt, hört sie, dass sich in London ein tödliches Virus verbreitet: Am 'Schwitzfieber' sterben die Leute in wenigen Tagen, die Krankenhäuser und Leichenhallen sind bereits überfüllt. Stevie Flint kümmert das nicht, sie hat eine eigene Mission. Auch wenn es in einer Stadt voller Toter nicht nach einem Mord aussieht: Sie ist überzeugt, dass der Tod ihres Freundes Dr. Simon Sharkey weder auf das Virus noch auf Selbstmord zurückzuführen ist und macht sich auf die Suche nach seinem Mörder. Diese wird für sie zu einem Wettlauf gegen den Tod, der mitten ins Herz einer sterbenden Stadt führt. Ein Thriller, der uns an die Zerbrechlichkeit unserer Zivilisation erinnert.

    Das besondere am Roman von Louise Welsh ist, dass es sich weder dem Genre Thriller noch dem Genre Endzeithorror mit allen den beiden Richtungen anhaftenden Klischees und Plattheiten zuordnen lässt und dennoch mit dem Spannungsbogen sehr erfolgreich und gekonnt umgeht. Natürlich finden sich typische Elemente aus Dystopie-Literatur, wie leergefegte Straßen, menschliche Verrohung, Genusssucht, abgeriegelte Bereiche von reichen Gegenden und städtisches verrohtes Chaos, doch diese Bilder sind lediglich Handlungshintergrund für ein sehr gekonnt konstruiertes kriminalistisches und soziales Drama. Ebenso fehlen die typischen Thriller-Brutalitäten, vielmehr spielen zwischenmenschliche Töne und der Tod eines Einzelnen und dessen Aufklärung in einer dem Untergang geweihten Stadt mit all seiner Wichtigkeit für die Protagonistin die wesentliche Rolle.
    Das macht das Buch für mich sehr lesenswert.

    Erschreckend nahe ist man der Geschichte und der Protagonistin Stevie beim Lesen durch aktuelle Epidemien wie Ebola oder Zika oder durch das Wiederaufflammen in Vergessenheit geratener mittelalterlicher Krankheiten und die Verwüstung, die diese Seuchen hinterlassen. Gemeinsam mit Stevie kann man durch die für dieses Genre teilweise ungewöhnlich poetische Sprache selbst dem Untergang und der Apokalypse Schönheit abgewinnen, die menschliche Verrohung bleibt am Ende auf der Strecke und zurückgelassen wird man als Leser mit melancholischer Stimmung, schwankend zwischen Niedergeschlagenheit und vorsichtiger Hoffnung.

    Ich gebe eine klare Leseempfehlung mit 4 Sternen für Liebhaber von Dystopien und auch für Leser von klug konstruierten Thrillern und freue mich auf die weiteren Bände.





    Louise Welsh "V5N6 Tödliches Fieber"
    352 Seiten, Hardcover
    ISBN 978-3-95614-090-7
    Erschienen im Kunstmann-Verlag
    Februar 2016

    Rezension zu "Rotwein für drei alte Damen oder Warum starb der junge Koch?" von Minna Lindgren




    Klappentext:
    Die aufgeweckten, sehr agilen Witwen Siiri, Irma und Anna-Liisa sind Nachbarinnen in der Seniorenresidenz 'Abendhain'. Die rüstigen Damen, alle Mitte 90, verbringen den Tag mit Kartenspielen und zu viel Rotwein. Um keine Osterhäschen basteln zu müssen, lassen sie sich gerne von der Straßenbahn kreuz und quer durch Helsinki fahren. Die fröhliche Routine endet mit einem Todesfall, doch hat es nicht etwa einen der greisen Mitbewohner dahingerafft, sondern Tero, den jungen Koch. Mit diesem Unglück beginnt eine ganze Reihe zwielichtiger Vorfälle, die das Leben der drei Freundinnen kräftig durchschütteln und alles, was als sicher galt, über den Haufen werfen. Welches böse Spiel treibt die Oberschwester, und hat die Heimleiterin tatsächlich keine Ahnung, was in 'Abendhain' vor sich geht?
    Ein Buch über beste Freundinnen, die trotz ihres hohen Alters weder ihren Humor noch ihren Sinn für das, was im Leben zählt, verlieren und einfach nur wollen, dass man sie für voll nimmt.

    Ich mag Bücher mit sperrigen Charakteren, die sich in kein Schema pressen lassen. Ich mag Krimis und Krimikomödien, bei denen alte Damen und Herren die Hauptrolle spielen, ich sie bei ihren Ermittlungen begleiten kann und auch ein paar Alltagserlebnisse erfahre. Ich mag verdrehte Geschichten mit skurrilen Verwicklungen und lautem und leisem Humor, den ich mit einem lachendem und einem weinenden Auge lese. Ich mag auch überspitzte Beschreibungen und Situationen, die humorvoll anprangern.

    All diese Dinge hat die Autorin in ihr Buch gepackt und in meinen Augen zu viel gewollt.
    Zu Beginn des Buches ist der Unterhaltungswert hoch durch die kriminalistischen Verwicklungen und der Witz und Humor, mit dem der Alltag in der Seniorenresidenz beschrieben wird, oft mit einem lachendem und einem weinenden Auge. Drei Freundinnen im Altenheim, in dem erschreckende Zustände herrschen und die Bewohner darauf angewiesen sind, sich selbst oder sich gegenseitig zu helfen, dazu ein toter junger Koch bieten eine gute Ausgangssituation für einen skurril-witziges Buch.

    Doch leider schlägt diese Situation recht schnell in Langatmigkeit um.
    Die Charaktere sind nicht greifbar, der Todesfall wird nur sporadisch verfolgt und am Ende ganz fallengelassen, ohne dass es eine für mich zufriedenstellende Lösung gibt, die Geschichte verzettelt sich in Alltagssituationen und in neuen Charakteren. Der anfangs sehr gut zu den Situationen passende naiv - trockene Humor im Erzählstil hat im Laufe der Zeit leider auch seinen Reiz verloren und die immer mehr in den Vordergrund tretende schwarz/weiß - Malerei bezüglich der netten (wenn auch oftmals verdrehten) Bewohner und des bösen Pflegepersonals und der geldgierigen Verwandtschaft hat mich zum Ende des Buches fast genervt.

    Schade, das Buch begann für mich vielversprechend und die Grundidee hätte zu einem witzigen und unterhaltsamen Roman führen können. Ich vergebe 2,5 Sterne, die ich aufrunde auf 3 Sterne.



    Minna Lindgren
    "Rotwein für drei alte Damen oder Warum starb der Junge Koch?"
    Paperback, 288 Seiten
    ISBN 978-3-462-04724-0
    Erschienen im KiWi-Verlag
    März 2016

    20. April 2016

    Rezension zu " Im Himmel gibt es Coca Cola" von Christina Nichol




    Warten auf Elektrizität, Warten auf Demokratie als Ablösung der Schewadnadse-Regierung, Warten auf das seit sechs Monaten ausstehende Gehalt, Warten auf den richtigen Moment zur Umsetzung einer der vielen zündenden Geschäftsideen - das tut der Protagonist Slims Achmed Makaschwili gemeinsam mit seinen Freunden und Familienangehörigen in Georgien im Jahr 2003.

    Der Roman beschreibt den Alltag der Personen im Umkreis des Protagonisten Slims, dem Seerechtsanwalt aus Batumi am Schwarzen Meer mit vielen Vorwärts- und Rückwärts-Sprüngen und eingestreuten Geschichten und Gedichten, die der georgische Mentalität und Tradition mit einem lachendem und einem weinenden Auge entsprechen. Man treibt als Leser gemeinsam mit den Figuren durch den Tag, und wartet irgendwann ebenfalls auf die Elektrizität und auf bessere Zeiten. Die Situationen sind oft sehr komisch und auf skurril-witzige Art geschrieben, doch dahinter stehen die Schwierigkeiten der Menschen, sich das Nötigste des Alltages zu beschaffen.

    Slims schreibt Briefe über seine und die georgische Alltagssituation an Hillary Clinton, mit der Bitte um Verständnis und Hilfe. Er überschüttet seine ungewöhnliche Ansprechpartnerin dabei auf naiv-kindliche Art mit Skurrilitäten und Situationen, die in westlichen Ländern einfach unvorstellbar sind. Natürlich bekommt er von ihr keine Antwort, doch eines Tages passiert das Unfassbare: Slims bekommt eine Einladung zur Schulung nach Kalifornien. Ob er sich dort zurechtfindet, den amerikanischen Traum träumt oder zurückkehrt mag ich hier nicht verraten.

    Für mich sind die georgischen Menschen, von denen im Roman erzählt wird, liebenswert, naiv und verrückt, abergläubisch, melancholisch, hoffnungsvoll, erfinderisch und verschwenderisch. Jeder Mann scheint einen Gereralplan zur Gründung eines Unternehmens mit sich herumzutragen und handelt gleichzeitig wie ein Krimineller, und das gehört zur Normalität.
    Im krassen Gegensatz dazu stellt die Autorin die amerikanische Lebensweise mit organisiertem gemeinsamen Handeln, Teambildungsmaßnahmen, Rechtssinn und einem inneren Polizisten sowie Bioladenkost und sozialer Verantwortung und vor allem ständig vorhandener Elektrizität dar, dabei kommt jedoch der ausgeträumte "Amerikanische Traum" nicht unbedingt besser weg als das verrückte georgische Durcheinander.

    Der Sprachstil der Autorin ist ungewöhnlich, so dass man sich als Leser fallen lassen sollte. Comic-hafte Bilder und Episoden sowie Zeitsprünge in beide Richtungen prägen das Geschehen. Es ist zwar ein Handlungsfaden zu erkennen, der jedoch nicht das Wesen dieses Buches ausmacht.
    Der Humor prangert an und ist sarkastisch, oft sogar zynisch. Ich bin mir beim Lesen des Buches immer sehr bewusst gewesen, und das wird durch den Schreibstil auch vermittelt, dass es für die Menschen in Georgien nicht nur lustig war und ist, in einem derart niedergewirtschaftetem Land unter Korruptionsherrschaft leben zu müssen.
    Schön und authentisch fand ich es, dass ich als Leser durch Slims und seine Freunde einen liebevoll-satirischen Blick auf die Georgier und ihre Lebensart vermittelt bekommen habe und dass die Anprangerung der herrschenden Zustände nicht plakativ und mit laut schallendem Gelächter gemacht wird sondern mit leisem teils bitterem Kichern.

    Zitat von Seite 414
    "Wenn jemand falsches Geld druckt, braucht er es doch offensichtlich"
    Zitat von Seite 423
    "Um ein Land zu zerstören, brauchst du keine Bombe abzuwerfen. Du musst nur den Preis der Wassermelone verdreifachen."

    Gestört haben mich beim Lesen des Romans jedoch ein paar Längen in der Geschichte, die in meinen Augen nur Wiederholungen von Geschehnissen sind und das ewige Warten auf Elektrizität und bessere Zeiten für mich als Leser in Wartestellung zu intensiv verdeutlichen, weshalb ich bei der Bewertung einen Punkt abziehe.

    Fazit:
    Lesenswerte Satire zur georgischen Mentalität und über ein Land im Wandel



    Christina Nichol
    Im Himmel gibt es Coca Cola
    ISBN 978-3-86648-234-0
    Roman
    Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
    448 Seiten
    Erschienen im Mare Verlag
    Februar 2016

    19. April 2016

    Rezension zu "Muchachas. Tanz in den Tag" von Katherine Pancol



    Das Cover des Buches "Muchachas - Tanz in den Tag" der französischen Schriftstellerin Katherine Pancol und auch der Buchtitel selbst suggerierten mir eine verspielte, leichte und vielleicht auch etwas zuckerige Frauengeschichte. Ich habe das Buch gelesen, weil der Inhalt dieser Erwartung überhaupt nicht entspricht, sondern sich vor dem Leser nach anfänglichem snobistischem Geplänkel und Liebesproblemen eine düstere, problembeladene Frauengeschichte aufrollt, die mich sehr bedrückt und wütend zurückgelassen hat.

    Klappentext:
    Die junge, selbstbewusste Hortense versucht sich in der Modewelt von New York einen Namen zu machen. Die Erfolgsautorin Joséphine wird in der Liebe wie im Beruf von quälenden Selbstzweifeln heimgesucht. Ihre Tochter, die sechzehnjährige Zoé, erlebt ihre erste große Liebe. Die unscheinbare, aber begnadete Violinistin Calypso erblüht, sobald sie auf der Bühne steht. Zuzon hat ihr ganzes Leben als Dienstmädchen gearbeitet und nie geheiratet. Die warmherzige Julie wartet immer noch auf den Richtigen. Léonie leidet seit Jahren unter der Gewalttätigkeit ihres Mannes und droht daran zu zerbrechen. Und da ist Stella, die ihren kleinen Sohn auf einem Bauernhof allein großzieht, auf einem Schrottplatz arbeitet und nichts von dem dunklen Geheimnis ihrer Herkunft ahnt. Jede dieser Muchachas ("junge Frauen" auf spanisch) hat Ihre ganz eigene Geschichte, ihre Leben könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines aber haben diese starken Frauen, deren Wege sich immer wieder kreuzen, gemeinsam: Egal, was passiert, sie lassen sich nicht unterkriegen, nehmen das Leben jeden Tag erneut in Angriff - in der Hoffnung, dass auch für sie das Glück möglich ist. Meisterhaft webt Katherine Pancol ein dichtes Romangeflecht, dessen Sogwirkung sich keine Leserin entziehen kann.

    Die Autorin erzählt zwar von all den unterschiedlichen Frauen, doch das Hauptaugenmerk in diesem ersten Teil der Trilogie liegt auf der Geschichte um Stella, ihrer Mutter Léonie und ihrer Freundin Julie. Dieser Teil des Buches gefällt mir sehr, die Geschichte ist aufreibend, fesselnd und bedrückend, die Ungerechtigkeit und Gewalt gegen Frauen hat mich beim Lesen wütend gemacht.
    Doch das Buch beginnt mit einer episodenhaften Erzählung zur versnobten Hortense in New York, die zwar stellenweise witzig ist, aber meinen Geschmack in keiner Weise trifft. Im Anschluss daran erfährt der Leser etwas über die Liebesgeschichte der zurückhaltenden und introvertierten Joséphine, die sich zwar durch die vielen Rückblenden interessant lesen lässt, jedoch für mich in keiner Weise zum Rest des Buches passt. Dann macht die Autorin in meinen Augen einen ziemlichen Schnitt im Stil. Die Figuren um Hortense und Joséphine sind für mich wie Staffelstabträger, episodenhaft kommt öfters ein anderer Charakter zu Wort, was der Lektüre Leichtigkeit und dennoch eine gewisse Spannung verleiht. Keine tiefschürfenden Verwicklungen, nur das Antippen von Handlungen in Vergangenheit und Gegenwart, wobei der Leser ab und zu einen Aha-Effekt wegen der Begegnungen einzelner Charaktere hat und Zusammenhänge herstellt.
    Im letzten Teil, bei Stella's Geschichte, schürft die Autorin tief, fördert Details aus Gegenwart und Vergangenheit zutage, die bedrückend sind und mir beim Lesen Enge verursacht haben. Es gibt kein Aufatmen durch Zwischenspiele, man wird ziemlich schonungslos mit der schlimmen Familiengeschichte von Stella und ihrer Mutter Léonie konfrontiert. Bei Lesen dieser Seiten verschwanden für mich die anderen Erzählstränge einfach aus dem Blickwinkel, waren nicht mal mehr schmückendes Beiwerk, so geballt, detailliert und eindringlich sind die Beschreibung der ganz persönlichen familiären Hölle von Stella und Léonie.

    Die Charaktere aller Episoden und Erzählstränge sind für mich gut greifbar und sehr gut ausgearbeitet, auch wenn einige Details für mich verborgen blieben. Das liegt zum einen daran, dass Katherine Pancol Figuren aus einer früheren mir unbekannten Buchserie aufgreift und in diesem Buch weiter verfolgt, zum anderen ist das Buch selbst der Auftakt einer Trilogie und es bleibt zu erwarten, dass es in den beiden Folgebänden mehr Informationen geben wird.

    Was mich an dem Buch sehr gestört hat ist das abrupte Ende. Mitten in der Erzählung abgebrochen hatte ich das Gefühl, es wurden einfach ein paar Seiten vergessen. Mir ist klar, dass es bei einer Trilogie wichtig ist, den Leser mit einem Cliffhanger  bei der Stange zu halten, aber ein solcher ist es nicht, sondern ein grob geführter Schnitt.

    Fazit:
    Ein solides 3-Sterne Buch, das für mich stilistisch zwiegespalten ist, dessen zweiter Teil mich packen und überzeugen konnte, leider geschmälert durch den krasse Abbruch am Ende des Buches.



    € 14,99 [D] € 15,50 [A] |  CHF 20,50* 
    (* empf. VK-Preis)

    Paperback, KlappenbroschurISBN: 978-3-570-58556-6

    Erschienen: 08.03.2016 
    bei carl's books

    11. April 2016

    Rezension zu E.D.E.N. von Mike Engel



    Mike Engel "E.D.E.N."
    Roman, 468 Seiten
    ISBN 978-1522873105
    Erschienen bei Independent Publishing
    Februar 2016


    Der Autor Autor Mike Engel verpackt in seinem Buch E.D.E.N. philosophische, wissenschaftliche, mystische und religiöse Betrachtungen in die Geschichte eines Suchenden.

    Klappentext:
    Mystik. Spannung. Liebe. Gibt es Gott oder ist er eine Erfindung des Gehirns? Das ist hier die Frage. Der lebensmüde Bauingenieur Stoller begegnet kurz vor seinem geplanten Selbstmord der Liebe auf den ersten Blick und hat wenig später ein mystisches Erlebnis, das sein Leben auf den Kopf stellt. Stoller muss herausfinden, was er erlebt hat: Ist er im Gefühlsrausch verrückt geworden oder tatsächlich auserwählt? Wahn oder Wahrheit? „Vom Himmel sah er blendend weißes Licht, rein und überirdisch. Aus diesem Himmelslicht lösten sich sphärische Gebilde, weiß umhüllte Engelswesen formten sich und flossen im geistigen Strom heran. Fürchte dich nicht.“ Ein Atheist sucht Gewissheit, eine Pianistin Liebe, ein Neurologe den Gottes-Algorithmus. Und der Teufel?

    Das Buch stellt eine Herausforderung in verschiedener Hinsicht dar. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesthema einschließlich verschiedener philosophischer und mythologischer Ansätze dazu gepaart mit wissenschaftlichen Erläuterungen zum Thema Neurologie und Gehirnforschung sowie Beeinflussung des Gehirns durch modulierte Hochfrequenzstrahlung erschlägt den Leser fast. Dazu kommt, dass es schwierig bis unmöglich ist, die Charaktere zu greifen, weil wenig Handlung besteht und die Hintergrundinformationen zum Protagonisten und den anderen Handelnden sehr sporadisch und oft schlecht nachvollziehbar gestreut werden. Es gibt zwar einen verfolgbaren Handlungsstrang in der Geschichte, aber als Leser läuft man leicht Gefahr, diesen in ewigen Auseinandersetzungen mit Wissen zu verlieren, zumal nicht wirklich viel passiert.
    Letzteres stört eigentlich nicht so sehr, zumal es für mich zumindest nichts ungewöhnliches oder störendes ist, Wissen, Suche und philosophische Betrachtungen in eine Rahmenhandlung verpackt zu erleben. Äußerst negativ bewerte ich dies jedoch, wenn die Vermittlung wie im vorliegenden Buch in den meisten Fällen durch Reflexion von Internetrecherchen passiert. Ich schaue sozusagen dem Protagonisten über die Schulter, während er im Netz liest und lese mit, und das ist für mich als Leser langweilig.

    Die Sprache selbst ist solide und angenehm zu lesen, angemessen für ein Buch, das mit vielen Erläuterungen gespickt ist. Mir fehlt jedoch bei witzigen oder emotional aufwühlenden Situationen der Transport dieser Gefühle oder der Skurrilität gewisser Umstände durch rhetorische Gewandtheit, was das Buch insgesamt leider sehr platt wirken lässt.

    Es ist schade, dass eine wirklich gute Grundidee in weiten Teilen des Buches in eine langweilige Dokumentation von Recherchen abgleitet. Da nützt auch am Ende die Faustsche Erleuchtung des Protagonisten und das Auflösen der zart gesponnenen Liebesgeschichte nichts mehr, da ich als Leser zu diesem Zeitpunkt ehrlich gesagt das Interesse an der Geschichte weitestgehend verloren hatte. Ich vergebe 1,5 Sterne, aufgerundet auf zwei Sterne für eine sprachlich solide Geschichte und die gute Grundidee.

    Zum Autor:
    Mike Engel lebt in Berlin, hat Soziologie studiert und mehr als 300 Drehbücher für 20 TV-Reihen geschrieben. Im Emons-Verlag erschien 2015 sein Kriminalroman "Alt mit Schuss" (zusammen mit Michael Naseband).

    10. April 2016

    Rezension "Never Say Anything" von Michael Lüders



    Der Autor Michael Lüders, Verfasser des Sachbuches "Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet" gilt als Nahost-Experte und lebt als Politik- und Wirtschaftsberater, Publizist und Autor in Berlin. Der vorliegende Thriller "Never Say Anything" ist sein erster Roman, rein fiktiv und wohl dennoch angelehnt an seine publizistischen und journalistischen Erfahrungen.

    Klappentext
    Die Journalistin Sophie Schelling hat sich auf eine ganz normale Dienstreise eingestellt. Doch manchmal ist man zur falschen Zeit am falschen Ort: Sophie sieht etwas, das sie nie hätte sehen dürfen. Immer tiefer verstrickt sie sich in das Netz eines übermächtigen Gegners, bis ihre Suche nach der Wahrheit zu einem blutigen Kampf ums Überleben wird.
    Der Bestsellerautor Michael Lüders führt den Leser auf die dunkle Seite der Macht und stellt seine Heldin vor eine Gewissensfrage: Wie weit bist du bereit zu gehen, um die Wahrheit herauszufinden? Würdest du dafür deine Zukunft aufs Spiel setzen? Oder vergisst du lieber, was du erlebt und erfahren hast? Dieser Thriller ist eine höchst aktuelle Auseinandersetzung mit Geheimdiensten und entfesselter Moral. Erzählt aus der Sicht einer mutigen Frau, die ihren Beruf als Journalistin ernster nimmt als ihr guttut. Der Inhalt ist fiktiv, doch Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind unvermeidlich.

    Der Thriller beginnt spannend und vielversprechend in Marakesch, von wo aus die deutsche Journalistin Sophie Schelling gemeinsam mit ihrem Marokkanischen Kollegen Hassan Maliki in das   Dorf Gourrama im Süden des Landes reist, um eine Himmelstreppe mitten in der Wüste zu besuchen. Dort wird sie überraschend Zeugin und einzige Überlebende eines grausamen Massakers durch das amerikanische Militär. Angeschossen verdankt sie ihr Leben Unbekannten, die sie in das Atlasgebirge bringen und gesund pflegen.
    Das Blutbad wird offiziell Al-Qaida zugeschrieben, doch für Sophie steht fest, dass die Amerikaner dahinter stecken, und sie hat Beweise dafür, was letztendlich zur Verfolgung durch diverse amerikanische Geheimdienste und Bedrohung ihres Lebens führt.

    Letzteres umfasst den Hauptteil der Handlung des Buches, der Kampf Sophies für Gerechtigkeit und die Bedrohung ihres Lebens und Verunglimpfung ihrer Person.
    Der Autor betreibt dabei zum einen eine fast unerträgliche Schwarz/Weiß-Malerei in Bezug darauf, dass die ehrliche, menschenfreundliche Einzelkämpferin Sophie als extrem (Todes)mutige Frau mit Gewissen dargestellt und der amerikanische Geheimdienst CIA, die NSA, Homeland Security und wer noch alles beteiligt ist ganz eindeutig in die Ecke der unmenschlichen, gewissenlosen und skrupellosen Teufel geschoben werden; andererseits steht man als Leser weit außerhalb des Geschehens, weil die Charaktere (insbesondere Sophie) zwar handeln, aber nicht mitreißen. Sie bleiben blass und ohne Tiefe.

    Auch Spannung will nicht recht aufkommen, dazu fehlt es dem Thriller an Überraschungen. Mit Beginn des Kampfes gegen die Geheimdienste dreht sich alles nur noch darum, wer auf welche Art kurzzeitig die Oberhand gewinnt und ob Sophie überlebt oder nicht. Die Fronten sind klar und ich als Leser verfolge lediglich den Krieg, was mir ehrlich gesagt zu langweilig war.
    Und schließlich erwarte ich von einem Politthriller, der diesen Namen verdient, nicht nur das Anprangern und Berichten von Vorfällen, sondern hätte auch gerne Hintergrundinformationen dazu, die nicht nur daraus bestehen, dass eine Weltmacht versucht alles an sich zu reißen. Es gibt einige gute Ansätze dazu, die aber leider nicht verfolgt werden und im Sande verlaufen. So liest sich das Ganze für mich dann leider nur wie geschickt gestaltete Verschwörungsliteratur, bei der ich mir zusätzlich im Laufe der Zeit leicht genervt die Frage stelle, ob die Protagonistin nun überleben wird oder nicht.

    Fazit:
    Ein guter und vielversprechender Start gleitet leider ab in eine schwarz/weiß-Geschichte ohne wirklichen Tiefgang und ohne Überraschungen. Ich vergebe 3 Sterne.



    Lüders, Michael

    Never Say Anything

    Thriller

    3. Auflage 2016. 367 S.: Klappenbroschur
    Erschienen: 10.02.2016

    6. April 2016

    Rezension zu "Die Birken wissen's noch" von Lars Mytting




    Der Norweger Lars Mytting hat mit "Die Birken wissen's noch" eine tragische Geschichte über Familie, Liebe, Trauer und Verlust geschrieben, die beim Lesen viele Überraschungen bereit hält, zu Tränen rührt und dennoch teilweise karg und unnahbar wie die Landschaft des Settings wirkt.

    Klappentext:
    Auf einem entlegenen Bergbauernhof im norwegischen Gudbrandstal wächst Edvard mit seinem wortkargen Großvater Sverre auf. An seine Mutter hat er nur eine vage Erinnerung – an einen Duft, ein Gefühl von Wärme, einen blauen Rock. Denn die Eltern sind ums Leben gekommen, als Edvard drei Jahre alt war. Um ihren Tod wird ein Geheimnis gemacht, und auch um den Ort, an dem sie starben.
    Zu diesem Geheimnis gehört auch das Schicksal Einars, des Bruders des Großvaters. Edvard weiß nur, dass er ein Meistertischler war und als junger Mann zur Ausbildung nach Paris ging. Dass er seine Werkstatt mitsamt dem Wald von Flammenbirken zurückließ. Dass für den Großvater ein Sarg geliefert wurde, lange vor dessen Tod – ein Stück Kunsttischlerei, wie es noch nie jemand gesehen hat –, und dass Einar womöglich gar nicht tot ist, wie es der Großvater behauptete.
    Als dieser gestorben ist, macht Edvard sich auf die Suche nach dem Geheimnis seiner Familie. Es wird eine lange Reise, an deren Ende er mehr als ein Geheimnis kennt.
    Die Geschichte einer verzweifelten Suche nach der Mutter, dem Vater, den eigenen Wurzeln – und einer Reise, die die Waise Edvard durch fremde Länder führt und deren Familiengeschichte ein ganzes Jahrhundert umfasst: das Jahrhundert der großen Tragödien.

    Edvards Geschichte und die Geschichte seiner Familie wird auf faszinierende Art und Weise erzählt. Nicht chronologisch, sondern mit dem Ende, dem Tod des Großvaters Sverre beginnend sucht Edvard nach seinen Wurzeln und seiner Identität, findet im Nachlass des Großvaters Anhaltspunkte für eine andere Wahrheit als die ihm bisher bekannte, bekommt Hinweise vom alten Dorfpfarrer und begibt sich schließlich auf eine Suche, bei der für ihn das Ende völlig offen ist. Anhaltspunkte hat er sehr wenige, doch der ursprüngliche Faden ergibt im Laufe von Edvards Reise ein feines Gespinst an Verbindungen, die ihn zu immer neuen Geheimnissen führen. Mit unerschütterlicher Geduld und Gleichmut trotzt er Widrigkeiten und wird am Ende belohnt, mit Wissen, Liebe und Klarheit.

    Durch den Sprachstil der Geschichte und durch den Umgang mit Situationen und Verwicklungen während seiner Reise spürt man beim Lesen Edvards Charakter als geduldiger, gleichmütiger aber auch stur sein Ziel verfolgender Nordländer, der sich von ein paar Widrigkeiten nicht abbringen lässt. Die Liebesgeschichte mit der jungen Britin Gwen von den Shetlandinseln, deren Familie auf rätselhafte Weise mit Edvards Familiengeheimnis verknüpft ist, entwickelt sich zunächst sehr gemächlich, zurückhaltend und überlegt, wie unter Rivalen, immer mit Blick auf das große Ziel der Suche nach des Rätsels Lösung, teils auch genau wegen dieser, so hat man den Eindruck. Doch im weiteren Verlauf entgleitet die Überlegenheit im Handeln sowohl Gwen als auch Edvard und sie verlieren beide an Boden, reiben sich aneinander auf.

    Eine große Rolle im Buch spielen die beiden Weltkriege, insbesondere das Kriegsgeschehen in Frankreich in einem im Ersten Weltkrieg hart umkämpften Waldstück nahe Authuille, in dem später auch Edvards Eltern umkamen. Mit viel Respekt und Eindringlichkeit verknüpft der Autor die Geschichte mit dem Kriegsgeschehen, sucht relevante Orte und Gräberstätten auf und spürt Stimmungen nach, vermittelt einen nachhaltigen Eindruck von den Grausamkeiten des Giftgaseinsatzes in diesem Krieg.

    Der Stil des Autors ist eindringlich und ruhig. Dem Leser wird Zeit gelassen, sich umzuschauen und die Landschaft zu genießen, wie den Flammenbirkenwald oder die baumlose Kargheit der Shetlandinseln, Details gemeinsam mit dem Protagonisten zu entdecken und Zusammenhänge zu entschlüsseln. Dennoch entsteht auf großartige Weise Spannung und man möchte nicht aufhören, dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen.
    Ich war traurig, als ich die letzte Zeile las, weil mir das Buch so gut gefallen hat. Die Geschichte und deren Auflösung hat mich sehr beeindruckt, und ich gebe eine unbedingte Leseempfehlung mit 5 Sternen.


    Erschienen im März 2016
    Insel-Verlag
    gebunden 516 Seiten
    ISBN 978-3-458-17673-2
    24,95€