13. Januar 2021

wer bin ich und woher komme ich? (Gastrezension renee)

 

 


 

 

Ein wirklich interessantes Buch. Es werden mehrere Geschichten in diesem Buch erzählt. Einigen Lesern waren es zu viele Geschichten, dem kann ich aber nicht zustimmen, ich fand diese Mischung äußerst interessant und ich denke auch gerade dadurch bekommt das Buch auch seine besondere Aura/seinen so besonderen Charme. Um welche Geschichten geht es: Die Restauratorin Helen möchte sich in Jerewan den Geheimnissen armenischer Buchbindekunst widmen, gleichzeitig spürt sie aber auch den eigenen Wurzeln in Armenien und den ehemaligen armenischen Gebieten der Türkei nach und sucht nach Informationen für den Völkermord an den Armeniern und ebenso ist sie auch auf einer Suche nach sich selbst. Weiterhin wird noch eine Geschichte zweier Kinder in der Zeit des Völkermords erzählt, die über die Familienbibel wieder ihre Verbindung ins Jetzt hat. Insgesamt hat mich dieses Buch sehr neugierig gemacht, neugierig auf Armenien, neugierig auf den gesamten Kaukasus. Er ist schließlich auch eine der Wiegen der europäischen Kultur, Standort einer sehr interessanten und eigenen Kultur. Die alten Griechen reisten schließlich schon in den Kaukasus, nur waren sie nicht auf der Suche nach Löwen, sondern eher nach Schafen, bzw. nach deren veränderten Resten.

"Hier sind Löwen." Was für ein Titel! Hic sunt leones schrieb man in vergangenen Zeiten auf unbekannte Gebiete der Welt. Und in diese unbekannten Gebiete reist die Protagonistin des Buches, einerseits landschaftlich, in die armenischen Gebiete, um ihren eigenen familiären Wurzeln nachzuspüren, eine fremde Welt zu erkunden, eine schöne/interessante/melancholische Welt, von der ich sehr gern noch mehr erfahren hätte und andererseits reist sie auch in sich selbst, denkt über familiäre Geschehnisse nach und ebenso kreisen ihre Gedanken um sie selbst, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Hat mir sehr gefallen diese Reise.

"Hier sind Löwen" ist das vierte Buch aus der Feder von Katerina Poladjan und ich bin sehr auf das gespannt, was die Autorin noch so kann.

Lesenswerte Geschichte und das vierte Buch von der Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises für mich. Unbedingt lesen!

 

 

Hier sind Löwen von Katerina Poladjan 
Roman gebunden, 288 Seiten
erschienen bei S. Fischer
am 26. Juni 2019
ISBN 978-3103973815
Preis 22 €

 

 

 

 


Etwas sentimentale Lebensbilder einer Frau, die garantiert mehr war (Gastrezension renee)

 


 

 

Hier habe ich gestern ein Buch gelesen, welches mich nicht so ganz begeistern konnte. Es erhält aber trotzdem eine höhere Bewertung, weil es spannend geschrieben ist und eine interessante Geschichte beleuchtet, zumindest wenn man sich darauf einlässt. Aber eigentlich wäre eine 3,5 Sterne Bewertung hier besser gewesen.

Allerdings lässt mich dieses Buch auch etwas fragend zurück. Um ein perfekter biographischer Roman zu sein, fehlt hier noch einiges, so lässt dieses Buch auch einiges für den hier geschilderten Teil aus Lees Leben wichtige unbeschrieben und dies finde ich nicht gut. Warum zum Beispiel wird sie Kriegsreporterin und was passierte nach der Zeit mit Man Ray bis zu ihrer Zeit als Kriegsreporterin? Und auch so ist die Person Lee Miller in meinen Augen nicht immer nachvollziehbar dargestellt. Klar, wir sind im Leben nicht immer gleich, manche unserer Entscheidungen passen nicht immer zusammen. Und gerade in der Liebe sind wir öfters Bücher mit sieben Siegeln. Aber die 1907 in Poughkeepsie in den USA geborene Lee Miller reist 1929 mit 22 Jahren in ein fremdes und fremdsprachiges Land, um dort zu leben und zu arbeiten. Dass allein verrät in meinen Augen schon eine gewisse Kraft und Stärke, die ich hier in diesem Buch, gerade in der Art und Weise wie die Liebesbeziehung mit Man Ray und gewisse damit einhergehende Entscheidungen beschrieben werden, nicht finden kann. Hier entsteht eher eine Art von Weibchen. Gut, Lee Miller bricht dann irgendwann aus diesem Schema aus, aber zusammenpassend wirkt dies alles in meinen Augen nicht. Aber dies ist eher ein subjektiver Eindruck von mir.

Die Autorin kann aber schreiben und bringt in ihrem Buch in lebendigen Bildern fraglos eine interessante Zeit zum Erscheinen, interessante Fakten zum Thema Fotografie werden vermittelt und im Großen und Ganzen habe ich dieses Buch sehr gern gelesen. Aber ich würde dieses Buch eher als ein unterhaltendes Buch, als ein hochwertig literarisches einstufen. Vielleicht wird diese Sichtweise auch durch eine gewisse Abneigung zu manchem hier geschildertem Verhalten von Lee Miller befeuert. Aber man darf auch nicht vergessen, vieles ist hier fraglos Fiktion und vielleicht habe ich mehr die Kämpferin erwartet, zumindest erschien mir dies plausibel. Aber wer ist schon immer eine Kämpferin? Manchmal lässt man sich auch einfach fallen. Nun gut. 

Andererseits haben mir hier ebenso wichtige Fakten aus Lee Millers Leben gefehlt. Ein biographischer Roman mit deutlich weniger Augenmerk auf Man Ray hätte mir hier besser gefallen. So lange war die Zeit Lee Millers mit Man Ray nicht, dass sie so prägend gewesen sein kann. Auch die hier vermittelten Aspekte zur Solarisation sind Fiktion, es ist nicht gesichert, dass es diesen Diebstahl gegeben hat. Die Zeit zwischen beiden kann auch anders gelaufen sein, vielleicht sogar ebenbürtiger. Das wissen schließlich nur die beiden Beteiligten. Denn wir dürfen hier nicht vergessen, jeder Blick auf Liebende hat auch mit der Person zu tun, die blickt.

Dass ihre Arbeit als Kriegsreporterin nicht spurlos an ihr vorbeigegangen ist, ist plausibel und historisch belegt. Und auch dieses für Lee Miller so wichtige Themas wird nur umrissen. Wie hat sie danach gelebt? Wie kam sie zu Roland Penrose? Auch hier hätte noch ganz anders gearbeitet werden können. Schade!

 
 
Die Zeit des Lichts von Whitney Sharer
Roman gebunden, 392 Seiten
erschienen bei Klett-Cotta
am 26. Oktober 2019
ISBN 978-3608963403
Preis 22 €

ein deutscher Untertan (Gastrezension von renee)

 

 


 

Das ist ein Buch, mit dem ich nicht so richtig warm geworden bin. Einmal gibt es wieder diese kühle und empathiearme Art des Schreibens, die mir immer wieder missfällt. Und zum anderen gibt es einen etwas gewöhnungsbedürftigen Hauptcharakter, Josef Klein. Dieser Mensch kommt in den 1920ern in die USA, sucht sich eine Arbeit, kommt mehr schlecht als recht über die Runden, die einzigen Höhepunkte in seinem unbedeutenden Leben ist das Amateurfunken und die Treffen mit Lauren. Diese Frau teilt sein Interesse am Funken. Aber nicht nur mit Lauren kommt er in Kontakt durch seine Leidenschaft. In den 1940ern kommt Josef oder Joe Klein mit spionierenden, nationalsozialistischen Deutschen in Kontakt und arbeitet schließlich für sie. Einerseits fragt er sich schon ob sein Handeln richtig ist, andererseits ist er recht wankelmütig in der Entscheidungsfindung, ist er ein Untertan. Man merkt ihm seine Sozialisation an, seine Schwierigkeiten mit der Einordnung von richtigem und falschem Verhalten machen ihn in meinen Augen nicht zu einem Sympathieträger, dennoch symbolisiert er sicher auch einen recht großen Teil der deutschen Bevölkerung. Erst durch fremdes Zutun wird Josef zu Entscheidungen gezwungen. Entscheidungen, die einen Kontakt zum FBI bedingen, zu einem Aufenthalt im Gefängnis führen, ihn wieder zu seinem Bruder Carl nach Deutschland bringen und weitere Abgründe aufbrechen lassen. Dennoch ringt Josef weiter mit seinen Entscheidungen und folgt schließlich seinen, in den 1940ern gefundenen "Freunden" nach Costa Rica, wo er als Jose Klein agiert. Dieses gesamte Konglomerat macht mir Josef Klein nicht gerade sympathisch, aber auch sein Umgang mit seiner Umgebung ist in keiner Form für mich nachvollziehbar und/oder zufriedenstellend. Vom geschichtlichen Aspekt ist "Der Empfänger" ein wichtiges und informatives Buch, war ich doch beim Thema deutsche Spionage im 2. Weltkrieg in den USA eher nicht so bewandert. Letztendlich erreichen konnte mich die Schreibe von Ulla Lenze nicht so richtig, das Personal war in meinen Augen eher unbefriedigend, einzig die Thematik war interessant. Schade!
 
 
 
Der Empfänger von Ulla Lenze
Roman gebunden, 302 Seiten
erschienen bei KLett-Cotta
am 22. Februa 2020
ISBN 978-3608964639
Preis 20 €

Einblicke (Gastrezension renee)

 

 


 

 Hier kommt ein Highlight! Ich kann nur sagen: ich bin begeistert! Nicht von Anfang an. Was anfänglich wirkt, wie das nicht so aufeinander abgestimmte und sehr ruhige Erzählen von Lebensgeschichten von deutschsprachigen Menschen aus Rumänien und ihrem Umfeld, wandelt sich nach und nach zu einem intensiven Bericht, der immer mehr an Intensität zunimmt und mich schließlich lodernd zurücklässt. Vollkommen nachvollziehbar für mich ist dieses Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2020 gelandet. Doch verblüfft hier nicht nur die Intensität des Geschilderten, auch die Art des Beschriebenen, diese Tiefe und Schönheit in der Sprache besticht ungemein. Ein wunderbares Buch! Nach diesem eher ruhigen und gesetzten Beginn  hätte ich niemals vermutet, dass mich dieses dünne Büchlein so anzünden könnte. Obwohl ich thematisch sicher schon so etwas hätte ahnen können. Zeitlich ist dieses Buch von der tiefen sozialistischen Zeit Rumäniens unter dem Regime des Ceaușescu-Regimes bis ins Jetzt einzuordnen. Die deutschsprachigen Personen sind den Banater Schwaben zuzuordnen und man erfährt viel aus dem Westen Rumäniens. Man gewinnt Einblicke in das Wesen der Diktatur. Und man bekommt vermittelt, was eine Flucht und auch irgendwie eine Fremdheit, trotz des gleichen Volkes und der gleichen Sprache,  bedeutet. Denn das lange Leben in der Ferne hat ja auch Folgen. Ende des 17. Jahrhunderts wanderten die Banater Schwaben in Rumänien ein und erfuhren kulturell ja auch eine Veränderung. Ein lehrreiches Büchlein und ein äußerst interessantes Büchlein. Und ein Büchlein, was genau das mit mir gemacht hat, was ich mir wünsche. Es hat mich tief berührt!!!
 
 
 
 
Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff
Roman gebunden, 216 Seiten
erschienen bei Klett-Cotta
am 24. August 2020
ISBN 978-3608983265
Preis 20 €
 
 
 

Landei geht auf Wanderschaft (Gastrezension renee)

 

 


 


 Dieses Buch wird als "Sensation" (Cosmopolitan) oder als "Ein glorreiches, vielschichtiges, emotional scharfsinniges Fest der Weiblichkeit" (The Guardian) beworben. Inhaltlich klang es nicht schlecht und da ich vor einiger Zeit von der gleichen Autorin "Eat Pray Love" gelesen hatte und es mir gefallen hatte, dachte ich, her mit dem Teil. Mal sehen. Doch sensationell oder als ein scharfsinniges Fest der Weiblichkeit kommt mir dieses Buch so gar nicht vor. Gut, es geht um das nicht alltägliche Leben in den Vierzigern in einem Theater in New York. Klingt an und für sich nicht schlecht. Und daraus hätte man auch etwas machen können. Aber hier winkt schon einmal keine sensationelle Grundidee. Naives Landei wandert in die Großstadt und ist entzückt und fängt an zu leben, recht promiskuitiv zu leben. Jippieh!?!? Doch auch aus so einer etwas platten Idee kann man etwas zaubern. So ist das Personal des Theaters in New York wieder ganz bezaubernd. Und die Sprache einer Elizabeth Gilbert rettet das Buch natürlich auch, ein Glück kommt diese nicht platt um die Ecke. Was mich wieder vollkommen entsetzt hat, war der Fakt, dass das naive Landei sich nach einer etwas unglücklichen Misere wieder auf das sichere Land zurückbegibt. Gut könnte man sagen, junges naives Ding und andere Zeiten halt. Aber für ein feministisches Konzept/Buch, sollte es einen anderen Handlungsstrang geben, einen deutlich stärkeren Handlungsstrang. Nach diesem Fauxpas glätten sich die Wogen und das Landei begibt sich durch einen glücklichen Zufall wieder nach New York, nicht durch ein eigenes Intervenieren wohlgemerkt und die Geschichte nimmt wieder etwas Fahrt auf. So ist die Zeit des Krieges in New York und die Weiterentwicklung der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg ganz gut getroffen. Auch recht spannend ist dieses Buch geschrieben. Aber die Figur des Landeis und ich werden wohl keine Freunde, obwohl diese Person älter und reifer wird. Aber wenn man mich schlussendlich fragt, was ich aus diesem Buch ziehe, kann ich leider nur sagen, eine nette Unterhaltung. Eine Sommerunterhaltung mit einem Buch, dass es in meinen Augen leider verpasst hat, ein feministisches Werk zu werden. Sehr schade! Wo ich von einer Elizabeth Gilbert eigentlich ein deutlich besseres Buch mit einer überzeugenderen Hauptperson erwartet hätte! Aber so ist das mit den Erwartungshaltungen. 
 
 
 
City of Girls von Elisabeth Gilbert
Roman Broschiert, 496 Seiten
erschienen bei S. Fischer
am 27. Mai 2020
ISBN 978-31000024763
Preis 16,99 €

Wie Glaubensfanatiker ticken (Gastrezension von renee)

 

 


 

Nickolas Butler kann wirklich gut und sehr berührend schreiben. Dieser Blick auf das Empfinden eines Großvaters gelingt ihm richtig gut/ausnehmend gut. Ein Großvater, der zusehen muss, wie seine Tochter und sein Enkel in die Fänge von Glaubensfanatikern geraten. Ein empathischer und berührender Blick. Wobei die Charaktere des Großvaters Lyle und seines Freundes Hoot die am deutlichsten heraus gearbeiteten sind. Eine gut gemachte Geschichte. Ja. Definitiv. Aber es hätte mich sehr gefreut, wenn die gesamte Familie so heraus gearbeitet gewesen wäre. Besonders interessiert hätte mich hier der Charakter der Shiloh. der Tochter von Lyle. Der Hauptaspekt des Buches soll der Blick der Angehörigen oder des Umfelds sein, dass zuschaut/zuschauen muss. Ja. Klar. Runder wäre es aber in meinen Augen gewesen, wenn auch die Mutter des Jungen besser ausgeleuchtet gewesen wäre. Ist der Junge doch die Hauptfigur in dieser Handlung. Mutter Shiloh und ihr Sohn Isaak geraten in die Fänge von Steven, dem charismatischen Leiter der Glaubensgemeinschaft des Bundes der Flusstäler. Steven bemerkt schnell seine Wirkung auf Shiloh und benutzt diese, um an den Sohn Isaak zu gelangen. Steven steht einer Glaubensgemeinschaft vor, die Heilen durch Handauflegen als einen Anziehungspunkt für zahlungskräftige Gläubige benutzt und Isaak soll der neue Handaufleger werden. Denn Kinder ziehen magisch an und kindliche Heiler noch viel mehr. Die Rolle des kranken Freundes Hoot gewinnt auch dadurch noch an Bedeutung und zeigt noch weitere Blickwinkel. Lyle und Peg Hovde versuchen alles um die Bindung zu ihrer Tochter nicht zu verlieren und alles mündet schließlich in einem entscheidenden Finale.


Die Anmerkung des Verfassers am Ende berührt noch einmal sehr, denn es ist zwar ein Roman, aber wir alle wissen, dass es solche Menschenfänger wirklich gibt. Wir alle hoffen, dass ihnen das Handwerk gelegt wird. Aber ich denke es wird immer Menschen geben, die ihnen aufsitzen, wie Shiloh und es wird auch immer Menschen geben, die kämpfen, wie Lyle.


Aber richtig angeknipst hat mich "Ein wenig Glaube" dann doch nicht. "Die Herzen der Männer" empfand ich etwas besser als "Ein wenig Glaube". 4 Sterne gibt es dennoch von mir.

 
 
Ein wenig Glaube von Nickolas Butler
Roman broschiert, 382 Seiten
erschienen bei Klett-Cotta
am 22. Februar 2020 
ISBN 978-3608964349
Preis 16 €

Ein Blick auf das Altern (Gastrezension von renee)

 


 

 

Hier habe ich innerhalb von einem Tag ein Büchlein (166 Seiten) gelesen, welches es aber wieder in sich hat. Es wurde von einer richtig guten, jetzt wahrscheinlich zu einer Lieblingsautorin werdenden französischen Schriftstellerin, von Delphine de Vigan geschrieben. Denn diese Autorin fasziniert mich in ihrer Art zu schreiben und ebenso in ihrer Art zu beobachten. Aus ihr wäre meiner Meinung nach eine sehr gute Psychologin geworden, sie beobachtet die Menschen und ihr Tun in einer wunderbaren Akribie und dröselt ihr Handeln und Empfinden in meinen Augen perfekt auf. Aber ich bin natürlich nicht böse, dass sie schlussendlich in der schreibenden Zunft gelandet ist, denn so haben viele andere ebenso Begeisterte und ich etwas von ihr.


Dieses Buch beinhaltet einen empathischen Blick auf das Altern und das Vergessen, ein Buch, dass ich jeder Pflegenden dringend empfehlen möchte! Aber nicht nur jede Pflegende wird hier lernen und begeistert sein, jeder von uns ist hier angesprochen. Denn wir haben alle alternde Angehörige und an uns selbst wird das Altern auch nicht vorbei gehen, natürlich nur, wenn wir Glück haben. Delphine de Vigan blickt hier auf die alt gewordene Michèle Seld, kurz Michka, die mit den Verlusten, die das Alter mit sich bringt, klarkommen muss. Diese alte Dame wächst einem ans Herz! Ebenso zu Wort kommen Marie, die Ziehtochter Michkas und Jerome, der Logopäde Michkas. Es entsteht ein absolut liebevoller und einfühlsamer Blick auf das Altern, auf eine Zeit der Verluste. Dieser Blick kommt von verschiedenen Seiten, etwas was diesem Buch und dem Leser richtig gut tut. Man gerät selbst ins Sinnieren. Denn das Altern ist ja etwas, was uns allen passiert und uns auch umgibt. "Dankbarkeiten" ist ebenso ein Buch, was eine gewisse Hilfe bietet, bei diesem doch angstmachenden Thema. 


Das ist etwas, was diese Ausnahmeautorin absolut treffend kann, sezierend beobachten und empathisch schreiben. Dieses Buch trifft den Leser und genau das macht auch gute Bücher aus. Sie treffen dich und machen etwas mit dir. Schon bei ihrem anderen, von mir gelesenen Buch, "Das Lächeln meiner Mutter" fiel mir ihre großartige und sehr nahe gehende Art zu schreiben auf und auch hier landete die Autorin einen Volltreffer bei mir. Und auch für "Dankbarkeiten" bekommt diese Ausnahmeautorin 5 strahlend schöne Sterne und einen tosenden Applaus von mir!


Dankbarkeiten von Delphine deVignan
Roman gebunden, 176 Seiten
erschienen bei DuMont Buchverlag GmbH & Co KG
am 17. April 2020
ISBN 978-3832181123
Preis 20 €

Ein etwas trivialer Blick auf die Psychiatrie des späten 19. Jahrhunderts (Gastrezension von renee)

 




Dieses Buch lässt mich etwas enttäuscht zurück. Hatte ich doch inhaltlich deutlich mehr erwartet. Durch einen recht großen Sog macht Victoria Mas aber in ihrer Geschichte wieder einiges gut. Trotzdem, das hätte deutlich gehaltvoller/intensiver sein können/sein müssen.

In "Die Tanzenden" wird ein Blick in die berühmtberüchtigte Salpetrière in Paris Ende des 19. Jahrhunderts geworfen, eine Anstalt für psychisch kranke Frauen, einerseits könnte so eine Geschichte eine gewaltige werden, andererseits tut sie das aber nicht. Eher ist dieser Blick ein recht trivialer mit recht viel Schwarz-Weiß-Zeichnung. Ich bin generell keine Freundin von zu viel Schwarz-Weiß-Denken und hier in dieser Geschichte, in der damaligen Psychiatrie verbietet sich solch ein Gehabe auf jeden Fall. Die bösen Ärzte und die armen Insassen. Hhmm. Das regt mich schon etwas auf! Ich will einfach nicht glauben, dass jeder damalige Arzt ein Monstrum gewesen ist, genauso wenig, wie jede Patientin eine Heilige war. Grauzeichnungen und ein besserer Aufbau der Charaktere hätten dem Buch sicher gut getan. 


Die geschichtlichen Informationen zur Salpetrière in Paris fand ich allerdings wieder absolut informativ und auch bedrückend. Diese Grausamkeit ist furchtbar! Ich frage mich wie manche Menschen so sein können. Aber wenn man ehrlich ist, so haben psychiatrisch Erkrankte auch heute keinen leichten Stand, denn Rufmord ist auch nichts Schönes. Und für viele sind psychiatrisch Erkrankte nicht positiv besetzt. Obwohl solche Erkrankungen jeden treffen können. Aber das scheint manchen immer noch nicht bewusst zu sein. Leider!


Nun werdet ihr euch wahrscheinlich wundern, denn das Buch hat ja trotzdem 4 Sterne von mir bekommen. Die Art der Zeichnung der Geschichte wäre mir 3 Sterne wert gewesen, aber die Spannung und der wirklich große Sog haben mich begeistert, trotz der genannten Kritikpunkte hat Victoria Mas eine spannende Geschichte geschrieben, die man nicht wieder weglegen kann und die gut unterhält und deswegen bekommt das Buch auch 4 Sterne von mir. 


Die Tanzenden von Viktoria Mas
Roman gebunden, 240 Seiten
erschienen bei Piper Verlag
am 6. Juli 2020
ISBN 978-3492070140
Preis 20 €

Abnabelung (Gastrezension von renee)

 

 


 

 "Im Bauch der Königin" ist ein Buch mit einem interessanten Aufbau, Vorder- und Rückseite des Buches sind vollkommen identisch, von beiden Seiten könnte dieses Buch begonnen werden zu lesen, nur das Lesebändchen gibt dann einen gewissen Hinweis, wenn man das so sagen kann. Denn eigentlich sind beide Geschichten auch irgendwie autark. Die beiden Teile könnten als ein weiblicher und ein männlicher Blick gedeutet werden, die Charaktere treten teilweise in beiden Teilen auf, nur die jeweilige Geschichte und die Gestaltung der Charaktere sind unterschiedlich. In einer wunderschönen bildhaften und blumigen Sprache beschreibt Karosh Taha hier die Lebenssituation kurdischer Einwanderer in Deutschland, dieses Buch ist ein Blick auf eine andere Kultur, ein Blick auf Entwurzelte, ein Blick auf zwei Generationen, eine in eine Coming of age Story verpackte Gesellschaftskritik. Dadurch, dass in diesem Buch Jugendliche erzählen, sind die verschiedenen Thematiken aus einer jugendlichen Sicht formuliert, wären definitiv noch ausbaufähig. Aber diesen Ausbau erhalten die Jugendlichen ja erst mit den weiteren erlebten Jahren. Und von daher ist die Geschichte eine interessante, denn diese Jugendlichen haben schon einiges erlebt, aber genauso steht ihnen noch vieles bevor. Dieser Blick der Jugendlichen beinhaltet einen Blick auf ihre eigene Generation und auch auf die Generation ihrer Eltern. Und in diesem Blick liegt eine Gesellschaftskritik, die man einerseits auf die Situation der Migranten in Deutschland beziehen kann, andererseits werden aber auch gewisse Tendenzen in der eigenen, kurdischen Kultur angeprangert. Dies finde ich interessant gewählt, öffnen sich doch jüngere Generationen mehr den anderen Kulturen und verändern doch damit auch die eigene Kultur entsprechend und ebenso betrachten sie die eigene Kultur aus anderen, kritischeren Augen. Ebenso interessant ist es die Buchteile in einen weiblichen und einen männlichen Blick aufzubauen. Haben doch geschlechtsspezifische Blicke eine ganz eigene Bedeutung, hier in der Kultur der Kurden, wie auch in unserer westlichen Welt. Ebenso interessant gewählt ist auch der Titel des Buches, im Bauch der Königin, einerseits wird hier der Königin/der Weiblichkeit eine Bedeutung gegeben, die sie früher einmal hatte und irgendwann wieder haben wird und andererseits könnte man den Titel als eine Form der Abnabelung begreifen. Besonders gefallen hat mir auch, dass im Buch auf das Geschichten erzählen Bezug genommen wird und hier im Besonderen auf die Figur der Scheherazade und damit wieder auf eine starke weibliche Rolle/eine starke Weiblichkeit. Denn auch Amal in der ersten Geschichte ist ein starker weiblicher Charakter und ebenso auch die Figur der Shahira. Denn obwohl selbstbestimmte Frauen in der kurdischen Gesellschaft ein nicht so leichtes Leben hatten/haben, heißt das ja nicht, dass dies für immer so bleiben wird. Das Einzige, was mich an diesem Buch gestört hat, war, dass ich beim Lesen wenig bis gar keine Nähe zu den Protagonisten aufbauen konnte, aber dies ist für mich auch in der Gestaltung als Coming of age Geschichte begründet, hier fällt mir das Nähe aufbauen etwas schwerer. 
 
 
 
 
Im Bauch der Königin von Karosh Taha
Roman gebunden, 250 Seiten
erschienen bei DuMont Buchverlag GmbH & Co KG
am 29. April 2020
ISBN 978-3832183943
Preis 22 €

Ein Tropenparadies ?!?!?! (Gastrezension von renee)

 


 

 

Die Handlung dieses Buches spielt sich in den 80ern in Trinidad ab und beschreibt das Leben einer sozial niedrig gestellten indischen Familie aus Tiparo (Talparo?), einer Kleinstadt auf Trinidad. Was mich etwas verwundert hat. Ich wusste noch nichts von einer indischen Bevölkerung auf Trinidad, einer Insel, die vor Venezuelas Küste liegt. Ich wusste nur von einer indischen Bevölkerung in Suriname. Dann ist diese indische Familie noch recht bildungsfern. Das Leben dieser Familie und ihres Umfeldes/ihrer indischen Großfamilie zu schildern gelingt Claire Adam ganz gut, wenn auch anfänglich etwas langatmig, bevor der Leser immer mehr in ein Grauen hineingezogen wird, dem niemand mehr entkommen kann. Immer mehr verstört dieser Blick auf die Großfamilie, deren Zusammenhalt eh nicht besonders stark war, aber durch ein monströses Geschehen vollkommen auseinanderbricht. Wobei dies aber auch etwas verwundert. Denn diese indische Großfamilie wirkt nicht wie eine solche, es fehlt der Zusammenhalt und die Großfamilie wirkt nicht, als ob sie an einem Strang ziehen würde. Der Teil der Familie, der hier im Vordergrund steht, Clyde Deyalsingh, der Vater und Joy, seine Frau und deren Zwillingssöhne Peter und Paul, lebt ärmlich und bildungsfern, zumindest die Eltern, die Kinder gehen auf die Schule, wobei Peter eine Koryphäe zu sein scheint und ein teures Studium anstrebt. Sie bekommen etwas finanzielle Hilfe von Joys Onkel Vishnu Ramcharan, einem Arzt und etwas Hilfe im Haushalt von Joys Mutter Mousey Ramcharan. Vishnu verhilft Clyde auch zu einem besser bezahlten Job. Der restliche Teil der Familie kommt zwar immer wieder zu Besuch, besonders innig oder besonders indisch wirkt aber ihr Miteinander nicht. Da gibt es Joys großen Bruder Philip, ein Anwalt mit seiner englischen Frau Marylin und deren Tochter Anna. Und ebenso gibt es Joys Bruder Romesh, ein Transporteur mit dubiosen Kontakten ins Drogenmillieu und dessen Frau Rachel und deren Sohn Sayeed. Beide haben größere Häuser als die Deyalsinghs, erstere in der Hauptstadt Port of Spain, letztere ebenso in Tiparo. Obwohl beide Familien sozial bessergestellt sind, beäugen beide neidisch Vishnus Taten. Ein weiterer Punkt, der am Gefüge der Familie Deyalsingh nagt, ist der Umstand, dass es bei der Geburt der Zwillinge Probleme gegeben hat. Bei Peter, dem ersten Kind lief alles gut, aber bei Paul gab es Komplikationen, ein Sauerstoffmangel bei der Geburt. Etwas, was Paul in den Augen der Familie Deyalsingh und auch der Großfamilie zu einem Behinderten und Zurückgebliebenen macht. Doch ist Paul das wirklich? Dann passieren den Deyalsinghs mehrere Unglücke, an deren Ende ein Raubüberfall und daran anschließend eine Entführung und Lösegelderpressung stattfindet. Paul wurde entführt und Clyde trifft Entscheidungen, schwerwiegende Entscheidungen. Das Geschehen stellt eine Frage nach der Schuld in den Vordergrund, die aber nicht beantwortet werden kann. Und auch dadurch wird dieses Buch zu einer anklagenden Gesellschaftskritik. Trinidad scheint kein erstrebenswerter Ort zu sein. Auch wenn die Kulisse malerisch anmuten möchte. 
 
 
 
Goldkind von Claire Adam
Roman gebunden, 272 Seiten
erschienen bei Hoffmann und Campe Verlag
am 4. Januar 2020
ISBN 978-33455005981
Preis 23 €

Identität und Zugehörigkeit (Gastrezension renee)

 

 


 

 In diesem Buch befasst sich die US-amerikanische und afroamerikanische Autorin Brit Bennett mit Fragen der Zugehörigkeit und der Identität, beschäftigt sich in einer höchst interessanten Weise mit dem Rassismus und der Diskriminierung, lässt ihre Charaktere aber auch über ihre Wurzeln nachdenken. Diese Familiengeschichte ist keinesfalls eine durchschnittliche Familiengeschichte, sondern weiß interessante Fragen zu stellen und außergewöhnliche Szenarien zu entwickeln. Wir befinden uns im fiktiven Ort Mallard in Louisiana, wo es afroamerikanische Familien hingezogen hat, die recht hellhäutig sind, als Weiße durchgehen können. Diese grenzen sich selbst von den dunkleren Afroamerikanern ab, werden aber auch selbst von diesen misstrauisch beäugt. Eine interessante Art der Betrachtung von Diskriminierungen wie ich finde. Die Zwillingsschwestern Stella und Desiree lösen sich von diesem Mallard, gehen nach New Orleans und suchen sich neue Wege und nehmen den Leser mit auf eine sehr interessante Reise. Brit Bennett lässt in ihrem Buch "Die verschwindende Hälfte" interessante und außergewöhnliche Charaktere auftreten und lässt das Thema Identität nicht nur durch schwarzamerikanisches Personal beleuchten, sondern lässt auch geschickt Genderfragen einfließen. Auch dieser Punkt hat mir sehr gefallen! Ein wirklich wunderbares Buch!!! Love it!!! Und wieder eine Autorin mehr, deren Werk ich genauestens beobachten werde! Nicht umsonst zählt sie in den USA zu den wichtigsten jungen literarischen Stimmen!!!
 
 
 
Die verschwindende Hälfte von Brit Bennett 
Roman gebunden 416 Seiten 
erschienen im Rowohlt Buchverlag
am 15 September 2020
ISBN 978-3498001599
Preis 22 € 

Gewalt und Hass und deren Auflösung (Gastrezension renee)

 


 

 

Hier kommt ein Highlight! "Apeirogon" ist ein Blick auf den Nahost-Konflikt, auf Palästina/Israel, auf die Palästinenser/die Israelis, auf die Menschen/die Betroffenen, auf den Kreislauf der Gewalt, auf die Schürer der Gewalt und auf Lösungen aus diesem Konflikt. Dabei lässt der Autor reales Geschehen und Fiktion zusammenfließen. Colum McCann begegnet zwei Männern, einem Palästinenser und einem Israeli, die durch eine Verlusterfahrung miteinander verbunden sind. Er verarbeitet mit deren Zustimmung ihre Geschichte zu diesem Roman, der etwas eigenwillig geschrieben ist, fast artikelartig ist die Schreibe zu nennen, thematisch immer wieder von Thema zu Thema springend, mal befindet man sich bei den beiden Männern, mal springt man wieder ganz woanders hin, immer wieder kehrt die Handlung zu schon behandelten Themen zurück, schon dadurch ist das Geschriebene auch zusammenhängend, aber auch sonst findet alles nach und nach zusammen. Ein ungemein lehrreiches und interessantes Buch, dessen Aufbau für mich bisher einzigartig ist, eben ein Apeirogon, einer Figur mit einer unendlichen Menge Seiten. Und dennoch berührt diese Figur/oder dieses Buch und zeigt Bekanntes und auch Neues auf. Dabei hat der Autor durch seine irische Herkunft einen besonderen Blick auf diese politisch befeuerte Gewalt und besonders auf ihre Opfer! Ein Buch, welches meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt ausgezeichnet worden ist! Ein Meisterwerk!!! Chapeau!!!

 
 
 
Apeirogon von Colum McCann
Roman gebunden, 608 Seiten
erschienen im Rowohlt Buchverlag
am 21. Juli 2020
ISBN 978-3498045333
Preis 25 €

Rückblicke (Gastrezension renee)

 


 Ein wirklich kurzweiliges Lesevergnügen ist "Goldene Jahre". Doch verstehe ich die Nominierung für den Deutschen Buchpreis hier nicht. In diesem Buch blicken die schweizerischen Kioskbetreiberinnen Margrit und Rosa-Maria auf ihre 50, nein 51 (:-)) Jahre Kioskbetrieb mit Zapfsäule in einem kleinen Ort und schildern ihre Erlebnisse mit den Kunden, wie auch ihre Sichten auf Land, Leute, Daten, Geschehnisse, Politik, Soziales und das Klima. Alles in allem ist dieses Buch sehr erfrischend, humorvoll und geistreich. Denn die beiden Damen und ihre Sichten sind zauberhaft. Aber ein Kandidat für den Deutschen Buchpreis ?!?! Dieses Buch ist in meinen Augen kluges Geplänkel. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Ich vermisse hier aber eine flüssige und ausgefeilte Geschichte mit einer Aussage. Wobei es ja Aussagen gibt. Aber mir gefällt einfach die Gesamtgestaltung des Buches in Verbindung zur Nominierung nicht. Dieses Buch ist "nur" die Unterhaltung zweier älterer Damen über ihre letzten Jahre, die wirklich ganz nett ist, durchaus. Aber geht so etwas als Roman durch, der dazu noch für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde? Das entzieht sich leider meinem Verständnis. Bitte nicht falsch verstehen. Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen. Und auch für gut befunden. 4 Sterne sind ja auch eine sehr gute Bewertung von mir. Ich verstehe nur die Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises nicht. Denn ich denke hier hätte es deutlich bessere Kandidaten gegeben. "Metropol" zum Beispiel, um nur einen zu nennen. Schade!

 

Goldene Jahre von Arno Camenisch
Roman, gebunden 100 Seiten
Verlag Urs Engeler
erschienen am 22.April 2020
ISBN 978-3906050362
Preis  19 €