11. Januar 2019

Grandioses Buch







Der Roman „Stella“ von Takis Würger erzählt die tragische Liebesgeschichte des Schweizers Friedrich und der jüdischen Denunziantin Stella im Berlin von 1942. Es ist eine spannende, erschreckende und fast unglaubliche Geschichte, ein dunkles Kapitel deutscher Vergangenheit über ein Opfer, das zur Täterin wird und über einen jungen Schweizer, der sich in einer Fantasiewelt der Wirklichkeit zu entziehen versucht, immer mit dem Privileg der Flucht durch seinen Pass im Hinterkopf.

1942 kommt Friedrich, ein stiller junger Schweizer, nach Berlin und trifft an der Kunstschule Kristin. Mit ihr beginnt ein aufregender nächtlicher Weg durch Berlins Jazzclubszene. Der Krieg scheint weit weg zu sein im luxuriösen Hotel am Potsdamer Platz, wo es bei Bombenalarm Champagner und Geigenmusik im Keller gibt. Doch alles ändert sich für Friedrich, als Kristin eines Morgens zerschunden ins Hotel kommt und gesteht, sie sei Jüdin, heiße Stella und sei von der Gestapo zu einem Pakt zur Denunziation versteckter Juden gezwungen worden, um ihre Eltern vor den Todeslagern der SS zu retten.

Takis Würger spielt in dem Roman mit einer wahren Geschichte, nämlich der von Stella Goldschlag, der jüdischen Kollaborateurin, die Hunderte Juden aufspürte und an die Gestapo verriet und damit den Vernichtungslagern auslieferte. Stella Goldschlag lebte von 1922 bis 1994.

Es ist ein Zwiespalt und ein wackeliger Pfad, auf den man vom Autor als Leser geschickt wird. Einerseits ist Verrat auf den ersten heutigen Blick natürlich tabu und verurteilungswürdig, aber Takis Würger gelingt das große Kunststück, beim Leser Verständnis für Stellas Situation und ihr Verhalten zu wecken, indem er Ihre menschliche Seite zeigt und sie selbst auch als Opfer der Nazis vorführt. Zum einen möchte man sie unbedingt verurteilen, weil sie lieber deutsch als jüdisch sein möchte, weil sie versucht, sich an das herrschende System anzupassen, und natürlich weil sie andere Juden verrät. Andererseits stellt sich die Frage, ob Stella jemals wirklich eine Wahl hatte und ob man sie überhaupt verurteilen und schuldig sprechen darf, wenn sie Juden aufspürt, um die Haut ihrer Eltern zu retten.

Verzweifelt, voller Melancholie und Sehnsucht, aber auch ausschweifend und obsessiv sind die Facetten, in denen sich Stella dem Leser zeigt. Friedrich ist ihr vom ersten Moment an verfallen, und man versteht ihn. Seine Suche ist die nach dem Leben, ein Versuch des Ausbruchs aus dem Goldenen Käfig in der Schweiz. Naiv und aufgeregt auf der Spur von Verbotenem bewegt er sich wie in einer Twilight-Zone zur Realität, privilegiert und abgeschottet im Luxushotel und im nächtlichen Berliner Untergrund, gleichzeitig voller Wahn und abhängig von einer Frau, die ihn nahezu handlungsunfähig macht.


Es ist eine Geschichte der Grautöne, man bekommt vom Autor allerdings heftige Lektionen zur Realität und Objektivität durch eingeschobene Verhörprotokolle realer Prozessakten, in denen sich schwarz und weiß klar abzeichnen. Und gerade deshalb ist es trotz der Grauzeichnung eine sehr moralische Geschichte, die fesselnd, eindringlich und aufrüttelnd ist und mich voller Nachdenklichkeit zurück gelassen hat. Großer Applaus von mir dafür, verbunden mit einer dringenden Empfehlung zur Lektüre diese famosen Buches.



Stella Bonn Takis Würger
Roman, gebunden
Erschienen im Hanser Verlag
11.Januar 2019
ISBN 9783446259935
Preis 22 €