2. September 2016

Rezension zu "Justins Heimkehr" von Bret Anthony Johnston


Das Buch "Justins Heimkehr" beginnt dort, wo andere Bücher aufhören, nämlich mit der Heimkehr eines Entführungsopfers. Es beschreibt die emotionale Ausnahmesituation innerhalb einer nach außen hin intakten Familie, die zuerst mit der Entführung und später mit der Heimkehr eines ihrer Söhne umgehen muss. Dass der Autor dabei völlig ohne reißerische Effekte, ohne Voyerismus in Nahaufnahme zur Entführung selbst auskommt und dennoch Spannung schafft, macht dieses Buch so aufregend anders verglichen mit Büchern, die sich mit der Thematik Entführung befassen.

Klappentext
Mit psychologischem Feingefühl und sehr spannend erzählt Bret Anthony Johnston in seinem Debütroman von einem Familie unter Schock. Vor vier Jahren ist Justin Campbell, damals zwölf Jahre alt, entführt worden. Seine Eltern und sein Bruder, die nie aufgehört haben, nach ihm zu suchen, haben unterschiedliche Wege gefunden, mit diesem Erlebnis umzugehen. Wege, die die Familie eher auseinanderdriften lassen. Da wird Justin wie durch ein Wunder ganz in der Nähe entdeckt und seinem Entführer entwunden - der inzwischen 16-Jährige kehrt in die Familie zurück. Aber ist der Wiedergefundene nicht doch verloren? Und was geschieht mit dem Täter, der vor Gericht gestellt wird und auf "nicht schuldig" plädieren will?
Bret Anthony Johnston zeigt sich in diesem Roman als hochbegabter, raffinierter und klüger Erzähler, der glaubwürdige und faszinierende Charaktere zeichnen kann und ohne Effekthascherei ins Herz der Dinge vordringt.

Die Familie, nach außen hin und auf den ersten Blick intakt, muss Zerreißproben bestehen, zunächst die Entführung, bei der die Unfähigkeit der Familienmitglieder zur Kommunikation, zum gemeinsamen tröstlichen Weiterleben und gemeinsamen Hoffen vorherrscht. Vater Eric und seine Frau Laura erfinden für sich Mechanismen, um dem Alltag zu entfliehen und wenig Berührungspunkte zu haben, der jüngere Sohn Griffin versucht ebenso allein seinen Weg zu finden, ohne Elterliche Hilfe. Obwohl alle gemeinsam hoffen und Justin nie aufgeben, obwohl die kleinstädtische Gemeinschaft die Familie in Watte packt und durch hilfsbereite Gesten versucht, die Verzweiflung zu mindern, kann man als Leser dank dem Blick hinter die Fassade das Alleinsein der einzelnen Familienmitglieder deutlich spüren. Sprachlich unterstreicht der Autor dies extrem geschickt, indem kaum Dialoge stattfinden sondern lediglich Gedanken und die Gefühlswelt der zurückgebliebenen Mitglieder der Familie Campbell aufgezeigt wird.

Nach der erlösenden Nachricht, dass Justin gefunden wurde und er heimkehren kann, löst sich dieser Knoten nicht. Weder Leser noch die Familie erfahren, was Justin in den vier Jahren seiner Entführung zustieß, und das ist für das Buch auch nicht wichtig. Wesentlich ist der Umgang mit der Rückkehr, das Zurückfinden in den Alltag und das Glück, wobei das Handeln der Familie oft sehr aufgesetzt und gestelzt statt glücklich wirkt. Das Unwissen um die Entführung und der auch für den Leser nicht greifbare Charakter Justins schwebt wie eine dunkle Wolke über allem, über der Kommunikation, über der Liebe untereinander, über dem Umgang mit Alltäglichem.

Extrem zugespitzt wird die Situation dadurch, dass Justins Entführer seine Tat nicht zugibt und zunächst auf Kaution frei kommt. Diesem enormen Druck können die Campbells nicht problemlos standhalten, das zerbrechliche Familienglück steht erneut auf dem Prüfstand.

Das Buch lebt von subtiler Dramatik mit Cliffhangern an den Kapitelenden, von Verwirrspielen für die Familie und für den Leser, von der feinen und aufwändigen Zeichnung der Charaktere, die sich oft erst beim zweiten Hinsehen wirklich offenbaren, und von der Nachvollziehbarkeit und Authentizität des Geschehens in einer texanischen Kleinstadt. Dass man als Leser keinen Zugriff auf Justins Gedanken sondern nur auf seine Handlungen hat, finde ich ganz besonders gelungen. Man fühlt sich dadurch ein wenig wie ein Mitglied der Familie Campbell, die Justin ebenso wenig verstehen oder mit ihm kommunizieren können.

Viele kleine Details, teilweise cineastische Beschreibungen, hervorragend transportierte Gefühle, und eine Sprache, bei der jeder Satz passt und keiner zuviel ist, sorgen für ein großartiges und unbedingt empfehlenswertes Leseerlebnis, ich vergebe fünf Sterne für dieses wirklich außergewöhnliche Buch.

Der Autor Bret Anthony Johnston unterrichtet Fiction Writing an der Harvard University und veröffentlichte bisher einen Erzählband "Corpus Christi" (2004) und schrieb das Drehbuch zum Dokumentarfilm "Waiting for Lightning" (2012). Justins Heimkehr ist sein Roman-Debüt.

Justins Heimkehr
Bret Anthony Johnston
Gebunden, 424 Seiten
Verlag C.H. Beck
ISBN 9783406697425
Erschienen Juli 2016

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