1. September 2019

Master of the Universe





In seinem Buch „Willkommen in Lake Success“ lässt der Autor Gary Shteyngart einen neureichen Hedgefondsmanager auf das arme Amerika prallen, im Greyhound-Bus quer durchs Land im Jahr des Wahlsieges von Donald Trump.

Unsympathisch und tragikomisch ist Barry Cohen, einstmals leuchtender Stern am Hedgefondshimmel, jetzt mit der Finanzaufsicht wegen Insidergeschäften im Nacken auf der Flucht aus seinem augenscheinlich perfektem Manhatten-Leben mit Frau und autistischem Sohn. Mit einem Koffer voller teurer Uhren landet er mitten in der Nacht an einer Greyhoundstation und macht sich auf den Weg zu seiner Jugendliebe aus Collegetagen.
Barry hat in seiner freudlosen Jugend hart daran gearbeitet, mit Menschen umzugehen, mit einstudierten Freundschaftssätzen begibt er sich unter seine Mitmenschen, die er nerdhaft und distanziert eher als Streichelzoo und Projekte denn als gleichberechtigt betrachtet.
Begeisterungsfähig stolpert er durch viele Begegnungen mit dem armen Amerika, ist mittellos, blind für die Gefühle anderer. Und auch wenn es oft den Anschein hat, dass er abstürzt landet Barry immer wieder auf den Füßen. Er sieht sich als Mentor für Junkies und Abgehalfterte, hat große Pläne für junge Drogendealer, die immer als Parallelspur neben der Realität verlaufen.

Vom Sohn eines jüdischen Poolreinigers zum Superreichen und dann im Freien Fall in den Abgrund, kurz davor gestoppt und wieder aufgestiegen ist der turbulente Weg von Barry, die meiste Zeit begleitet vom Ticken seiner teuren Uhrensammlung, bis ihm auch diese letzte Verbindung zu seinem alten Luxus-Leben in einem Greyhound-Bus gestohlen wird. Mit immenser Leutseeligkeit und Naivität scheint Barry durch und in Begebenheiten zu taumeln, manipulativ und mitleiderregend, auf der Suche nach Glück und dem wahren Leben, großherzig im Kleinen und ein wahres Raubtier bei großen schmutzigen Geschäften. Widersprüchlich und zerrissen wie sein Charakter ist auch sein Handeln.

Gary Shteyngart nimmt seine Leser mit auf eine Wahnsinnstour durch Amerika kurz vor Trumps Wahlsieg. Er zeichnet ein Sitten- und Stimmungsgemälde des reichen und armen Amerika im Jahr 2016, bitterböse satirisch, schön und schäbig, oft nur als Blitzlichter am Rand von Barry‘s Greyhound-Tour. 
Man muss sich schon Zeit lassen beim Lesen, sonst übersieht man schnell ein paar Feinheiten, und das ist schwer bei der soghaften Art des Erzählens von Shteyngart.
Und man hat manchmal das Gefühl, dass man genau diesen Menschen lieber nicht begegnen möchte, die Barry trifft. Gary Shteyngart versteht es, den Finger immer wieder in die Wunde zu führen, keine der Figuren taugt wirklich als Sympathieträger, und das ist tatsächlich großartig umgesetzt. Man ist gefesselt, wenn auch manchmal voll Abscheu und Unglauben, doch manchmal voller Empathie für eine bestimmte Handlung Barry‘s. Es ist ein genialer Roman, oft völlig und mit ganzer Absicht überzeichnet, witzig und abgründig, satirisch und bitterböse.
Einzig der Schluß macht mich ein ganz klein wenig unzufrieden, denn Shteyngart versucht den Leser mit Barry zu versöhnen und hat letztlich Mitleid mit ihm. Aber das ist wohl einfach nur Geschmackssache.

Das Buch ist unbedingt lesenswert für alle, die böse augenzwinkernde amerikanische Satiren mögen, so wie ich.


Gary Shteyngart „Willkommen in Lake Success“
Aus denn Englischen von Ingo Herzke
Roman gebunden, 432 Seiten
Erschienen im Penguin Verlag
Am 15. April 2019
ISBN 978-3328600695
Preis 24€

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