25. August 2019

Wendezeit - Nostalgie





Warmherzig und humorvoll, leichtfüßig und mit einem Augenzwinkern erzählt Gregor Sander in seinem Roman „Alles richtig gemacht“ die Geschichte einer Männerfreundschaft rund um die Wendezeit.

Thomas und Daniel lernen sich auf dem Schulhof in Rostock kennen, und trotz oder wegen ihrer Gegensätzlichkeit werden sie Freunde. Thomas der Sohn einer kleinbürgerlichen Familie, deren Drogeriegeschäft zwar die DDR, nicht aber die Wende überlebt, fühlt sich zum raubeinigen furchtlosen Daniel hingezogen, dessen Mutter ihn nach einer Affäre mit ihrem verheirateten Chefarzt allein aufzog. Als Teenager kurz nach der Wende wohnen sie zusammen im heruntergekommenen Hafenviertel in Rostock, nostalgisch und frei unter dem Dach. Thomas beginnt nach der Armeezeit eine Ausbildung in Handel. Daniel lernt Koch, hat aber in Rostock keine Chance mehr zu arbeiten und zieht nach einem Zusammenstoß mit Neonazis nach Berlin. Einsamkeit in Rostock, die auch seine Freundin Kerstin nicht ändert, folgt er Daniel.
Berlin in der 1990ern zeigt den Freunden ungeahnte Möglichkeiten. Thomas bewegt sich in die konventionelle Richtung und studiert, Daniel tanzt mit Drogen und kleinkriminellen Machenschaften auf dem Vulkan. Ihre Wege trennen bei einer Irland-Reise die sie gemeinsam mit Thomas Freundin Kerstin und deren Freundin Manne, unternehmen. Daniel beschließt zu bleiben.
Jahre später taucht Daniel bei Thomas wieder auf, als dieser ein bürgerliches schmerbäuchiges Leben als Partner in einer Rechtsanwaltskanzlei in Berlin Moabit führt, das gerade aus den Fugen zu geraten droht. Seine Frau Stephanie hat ihn mit den beiden Töchtern nach einem Streit verlassen und er versteckt sich trinkend und rauchend eine Woche krank in seinem Haus in Berlin, der ehemaligen Libyschen Botschaft der DDR, bis ihn seine Kanzleipartnerin zurückpfeift. 
Genau zu diesem Zeitpunkt taucht Daniel wieder auf, und man begleitet ab diesem Zeitpunkt den nunmehr fast 50jährigen Thomas in der Gegenwart eine Woche lang durch seine Tage, angefüllt mit rückblickenden Kapiteln dazwischen, die die Geschichte von Thomas und Daniel erzählen.

Gregor Sander versteht es ausgezeichnet, die Stimmung vor und auch nach der Wende einzufangen. Er erzählt in einem nüchternen Ton ohne Pathos, mit viel Augenzwinkern, so dass ich ihm sehr gerne gefolgt bin und an vielen Stellen Erinnerungen ausgraben konnte, die mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. Ich habe mich sowohl in Rostock (das ich kaum kenne) als auch in Berlin (das ich gut kenne) sehr zuhause gefühlt während des Lesens. Der Grundtenor des Aufbruchs und des Umbruchs, die Chancen für einen Neuanfang ohne das alte System hat Gregor Sander sehr gut wiedergegeben. Typische Geschichten, die überall im ehemaligen Osten passierten, verflechten sich kunstvoll und wie von selbst mit den persönlichen Erlebnissen von Daniel und Thomas, deren Geschichte aus Ostdeutscher Sicht gar nicht so ungewöhnlich ist.
Anker in der Zeit sind Ereignisse wie Rostock Lichtenhagen, als Neonazis tagelang Asylanten terrorisierten und alle zusahen, 9/11 oder auch der G8-Gipfel in Heiligendamm.
Schlimme Ereignisse, die genau wie der Niedergang, die hohe Arbeitslosigkeit und die Existenzangst im Osten eben mal nicht die Hauptrolle spielen, sondern zwar Erwähnung finden, aber die Grundstimmung nicht bestimmen, ohne dass diese einfach nur Freudentaumel wäre. 

Mir gefällt dieser Umgang damit sehr gut, denn für mich ist es ein sehr lesenswertes Buch, das genau hinschaut ohne zu urteilen und die Stimmung damals sehr gut einzufangen vermag. Und Gregor Sander kann erzählen, nimmt den Leser mit auf seine spannende Tour in die klischeefrei dargestellte Vergangenheit. Über die beiden Protagonisten Thomas und Daniel lässt sich streiten, genauso über die titelgebende Frage, ob sie alles richtig gemacht haben, denn natürlich wird vieles eben nicht richtig gemacht.
Das Buch bekommt von mir eine Leseempfehlung und vier Sterne. Ganz am Schluß war ich ein bisschen unglücklich damit, dass der Autor mich etwas zu schnell führte und Ereignisse sich überschlugen. Aber das ist Geschmacksache und schmälert meinen Lesegenuss nicht wirklich.




Gregor Sander „Alles richtig gemacht“
Roman gebunden, 240 Seiten
erschienen am 19. August 2019
im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328606673

Preis 20 €

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