25. Juli 2017

Ende und Anfang






Klimatisches Chaos, Anstieg des Meeresspiegels und Überflutung einer Großstadt direkt vor der eigenen Haustüre ist die Ausgangssituation diese Buches, das die beängstigende Flucht vor der Klimakatastrophe thematisiert. Ungewöhnlich beschrieben bildet die Katastrophe selbst nur das Hintergrundrauschen des Weges einer namenlosen jungen Frau mit ihrem Neugeborenen Z und ihrem Ehemann R weg vom steigenden Meeresspiegel, aber auch weg von der gewohnten Umgebung, vom Zuhause, von der Zivilisation.

Anfang und Ende - Katastrophe und Geburt - Apokalypse und Neubeginn, damit spielt die Autorin Megan Hunter in ihrem Debütroman. London steht unter Wasser, und eine junge Frau entbindet im Krankenhaus ein Baby wie auf einer Arche, benannt ausrerechten nach dem letzten Buchstaben des Alphabets -Z. 
Die gewohnten Fixpunkte der westlichen Zivilisation schwimmen anfangs langsam und dann immer schneller mit den Fluten davon, als die kleine Familie zunächst aufs Land zu den Schwiegereltern flieht und dann weiter in Flüchtlingslager und in die Berge zieht.
Die Geschichte zerfasert immer mehr, mit dem Fortschreiten der Flucht brechen Informationsstrukturen wie das Handynetz, die Infrastruktur und der Familienzusammenhalt auseinander. Als Leser sieht man wie die Protagonistin die kläglichen einstmals wichtigen Reste des menschlichen Zusammenlebens nur noch in grauen Fetzen vorüberstreifen.
Es gibt allerdings auch kleine Enklaven des Friedens inmitten des nicht erfassbaren Chaos, wenn sich Gruppen alleinstehender Mütter in Lagern zusammentun und sich gegenseitig helfen erinnert das sehr an positive ursprüngliche menschliche Instinkte und gibt Hoffnung inmitten all der Trostlosigkeit dieses dystopischen Romanes.

Wie in Stein gemeißelte Sätze, die mich an biblische Texte und an ein Poem zugleich erinnern, abgehackte Gedankensplitter und Blitzlichter vermitteln dem Leser ein Gefühl, das die junge Frau auf ihrer Flucht haben muss: nämlich Abschottung, Informationsmangel, Ratlosigkeit und Ziellosigkeit. Man weiß ebensowenig wie sie, was eigentlich genau passiert ist, man spürt die Auswirkungen der Katastrophe und lebt wie sie auch im Augenblick, ohne Rückblick oder Weitsicht nach vorn. Nichts ist vorgekaut oder für den Leser zurechtgelegt. 
Das ist einerseits genial, da es das Gefühl der Hilflosigkeit und Bedeutungslosigkeit des Einzelnen auf grandiose Weise vermittelt, andererseits jedoch fordernd und anstrengend beim Lesen. Man muss sich darauf einlassen wollen, und wer das nicht schafft, wird wohl keinerlei Gefallen an dem Buch finden, denn es liefert keine Erklärungen sondern nur Momentblicke.
Zusätzlich wird durch Namenlosigkeit bzw. durch Verwendung von Anfangsbuchstaben bewusst Distanz zu den Personen aufgebaut, zum Beispiel sucht der Ehemann R panisch die Einsamkeit abseits von Flüchtlingslagern, und man spürt als Leser sehr deutlich, dass er sich auch als Charakter völlig zurückzieht und nicht greifbar ist, wie übrigens in meinen Augen alle Charaktere des Buches.

Ich war und bin hinsichtlich der Beurteilung des Buches zwiegespalten. Einerseits genial, innovativ, modern und sehr zeitgemäß, andererseits schwierig zu lesen, auch wenn man der Geschichte selbst sehr gut folgen kann, von hingeworfenen Brocken geprägt, wie die oft stichpunktartigen Tagebuchaufzeichnungen einer Person, zu der man keinen Bezug herstellen kann.
Ich habe das Buch eher analytisch und weniger mit der loslassenden Freude an einer guten Geschichte gelesen und konnte von meinem bequemen Lesesessel aus andererseits deutlich spüren, wie grauenvoll, einsam und trostlos eine erzwungene Flucht aus dem gewohnten Umfeld ist.
Vielleicht liegt genau darin der Reiz der Lektüre? Dass man keine vorgegebenen Wege gehen kann, sondern wie die flüchtende junge Frau gebeutelt und hin und hergerissen ist? Dass man mehr erfühlt als durch Worte erfährt? 

Eine pauschale Leseempfehlung kann ich nicht geben, doch es ist eine höchst interessante Leseerfahrung, und wer moderne, dystopische und nicht unbedingt detailverliebt erzählte Geschichten mag, sollte sich auf das Buch einlassen.




Megan Hunter "Vom Ende an"
Roman gebunden, 160 Seiten
Verlag C.H. Beck
Erstauflage Mai 2017
ISBN 978-3-3406705076
16,00 € 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.