20. Juni 2017

Mystische Familiengeschichte




Eine Familiengeschichte, die auf einer Insel an der Grenze zwischen USA und Kanada spielt, verbunden mit dem Mystizismus des Meeres und der Liebe zum Ozean - es hätte ein wirklich großartiges Buch sein können. Doch die Lektüre macht es mir ein wenig schwer, mit der Geschichte wirklich warm zu werden. Ich will das Buch so gerne sehr lieben, weil es großartige und innige Passagen zur Verwurzelung der Familie Kings mit der Insel Loosewood Island und dem Ozean, mit der Tradition und Kunst des ersten der Kings, dem Hummerfischer und Maler Brumfitt, zum Segen und Fluch des Ozeans enthält, die mir wirklich nahe gehen und dicht und nachvollziehbar erzählt sind, und weil es eine aufregende Familiengeschichte erzählt. 
Wären da nicht die hineingepflanzte zusätzliche Spannung zum Kampf um die Fanggebiete der Insel mit Fischern der Küstenstadt James Harbor und der Drogenhandel, die das Leben auf der Insel bedrohen und die auf mich oft wie ein Fremdkörper beim Lesen wirken, fast unpassend, insbesondere bezüglich der Hauptfigur Cordelia Kings. 
Natürlich soll die Geschichte damit mehr Schwung und Spannung bekommen, allerdings ist es leider einfach zu viel gewollt und für mich unglaubwürdig. Die Schönheit und die Rauheit des Lebens auf dem Meer, die Ursprünglichkeit der Insel und die Verbundenheit zum Ozean, die man beim Lesen deutlich spüren kann, geht dadurch ein wenig verloren, zugunsten einer für mich wirklich fragwürdigen Krimihandlung.

Dennoch ist es ein Buch, das ich zum Lesen empfehlen möchte, auch wenn die Geschichte Störungen und Versatz aufweist. Es ist ein in vielen Passagen ruhiges und schönes Buch, das die Wurzeln der Familie Kings über 300 Jahre Familiengeschichte und den Hummerfang aufrollt. Der Hummerfang und die Insel, auf der die Kings nicht nur dem Namen nach die heimlichen Könige sind, bilden die Basis für das Leben der Familie. Beginnend mit Brumfitt Kings, der vor mehr als 300 Jahren auf die Insel kam und nach der Sage über das Meer laufen konnte, weil es hier so viele Hummer gab, fuhr immer ein Kings einer Generation auf den Ozean hinaus, war für das Meer geboren und mit der See verwoben.
Brumfitt Kings war auch ein Maler stimmungsvoller und mystischer Bilder vom Ozean und von der Insel, bekam seine Frau vom Ozean in Form eines Wandelwesens geschenkt und prägt mit seinen hinterlassenen Tagebüchern und mittlerweile berühmten Bildern die Gedankenwelt von Cordelia Kings, die sich auf der Insel als Hummerfischerin behaupten will.

Das Buch erzählt Cordelias Geschichte, die ihrer Schwestern und ihres Vaters Woodbury Kings, mit Rückblicken in ihre Kindheit und in die Vergangenheit der Familie Kings. Ihr Kampf, sich in der Männerwelt der Hummerfischer zu etablieren, das Ringen um die Liebe ihres Vaters, ihre Verbundenheit zu den Gemälden von Brumfitt und zu seinen Geschichten und ihre Interpretation der Gemälde bezüglich der Familiengeschichte machen das Buch zu etwas besonderem. Die Figur Cordelias und ihres Vaters wirkt in diesen Passagen lebensnah, echt, dreidimensional und trotz oder vielleicht gerade wegen der angedeuteten mystischen Verbindung zum Ozean auf mich sehr glaubwürdig und interessant. Die Charaktere stehen im Vordergrund, und Ereignisse, die die Familie prägen, werden dem Leser fast nebenbei hingeworfen, was mir sehr gut gefällt.
Im wirklich krassen Gegensatz dazu steht Cordelias Kampf mit den Fischern aus James Harbor. Minuziös und durch den thrillerhaften Fokus des Neugierigen werden blutige Details dargeboten, zwar spannend, aber in der Erzählweise und im Stil störend für den Rest der Geschichte.
Nicht nur dadurch, auch durch ihr Handeln in diesen Situationen selbst, das für mich aufgesetzt und unecht wirkt, verliert das Buch an Schönheit. Es wirkt auf mich fast so, als sollte die Spannung im Nachhinein durch ein paar Szenen aufgebessert werden, was ich wirklich sehr schade finde.




Die Hummerkönige
Alexi Zentner
Roman, Taschenbuch, 416 Seiten
erschienen im btb Verlag
Mai 2017 (deutsche Erstausgabe)
ISBN 978-3-442-71544-2
10,00 €

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