11. Mai 2020

Stoplernder Ermittler





Im dritten Band „Glasflügel“ der dänischen Thrillerreihe um den Ermittler Jeppe Kørner führt die Autorin Katrine Engberg ihre Leser in die Niederungen des dänischen Gesundheitssystems, genauer gesagt zu psychisch kranken Jugendlichen und dem Umgang mit ihnen.
Sommerfuglen heißt eine Privatklinik, mittlerweile geschlossen, in der Jugendliche mit psychiatrischen Behandlungsbedürfnissen aufgefangen und betreut werden sollten. Der leichtfüßige schöne Name widerspricht vollkommen dem, was hinter den Gemäuern des Anwesens passierte und was Jeppe Kørner im Zusammenhang mit seinen Ermittlungen an spektakulären Mordfällen in Kopenhagen allmählich herausfindet. Da wurden junge Menschen aus privatwirtschaftlicher Geldgier und dem Bestreben nach wissenschaftlicher Reputation misshandelt und als Versuchskaninchen missbraucht, alles unter den abgewandten Blicken der Gesundheitsbehörden und der Gesellschaft. Beschwerden und Nachfragen von Angehörigen liefen ins Leere.
Dann, zwei Jahre nach der Schließung der Privatklinik beginnt eine spektakuläre Mordserie am ehemaligen Personal. Verdächtige gibt es reichlich, und Polizeiassistent Jeppe Kørner hat alle Hände voll zu tun, in verschiedene Richtungen zu ermitteln, zumal er in diesem Band zumindest offiziell ohne seine Kollegin Anette Werner auskommen muss, weil sie sich seit drei Monaten im Mutterschaftsurlaub befindet.

Wie in jedem ihrer Bücher fährt die Autorin zunächst eine Menge Personal auf, viele alte Bekannte und auch neue Personen. Sie schafft es dabei, mit vielen Wegkreuzen und Brotkrumen Spuren und lose Fäden auszulegen, was für hohe Spannung in diesem leisen Thriller sorgt. Man tappt als Leser genau wie Jeppe Kørner lange Zeit im Dunkeln, und Katrine Engberg ist wie bereits bei den Vorgängerbänden für eine Überraschung mit großem Showdown gut.
Daneben gibt es für den Leser viele Nebenher-Informationen aus guter Recherchearbeit, zum Beispiel zum dänischen Gesundheitssystem, über alte medizinische Instrumente oder Schmetterlinge. Mir gefällt prinzipiell diese Mischung aus Information durch gute Recherchearbeit und kriminalistischer Handlung ausgezeichnet, zumal der Handlungsfluss nicht wirklich unterbrochen wird.
Katrine Engberg bleibt den Figuren aus ihren ersten Bänden treu. Jeppe stolpert durch die Ermittlungen und gerät dabei ohne die Hilfe seiner Kollegin Anette fast ins Abseits - ihm soll der Fall sogar entzogen werden. Auch privat hängt er wieder/immer noch in den Seilen, sein Leben ist immer noch weder Fisch noch Fleisch, er ist unentschlossen wie es für ihn weitergehen soll. Esther de Laurenti, die ältere Dame mit Spürsinn, und ihr Mitbewohner Gregers, tauchen auch wieder auf und kommen zumindest mit Personen in Berührung, die in den Kriminalfall verwickelt sind. Und Anette Werber, die sich in ihrem Babyurlaub langweilt, trägt entscheidend zur Lösung des Falles bei, wenn diesmal auch zunächst heimlich und mit dem Unmut ihres Lebensgefährten.

Der Thriller lebt von den Schauplätzen der Ermittlungen und den Rahmenbedingungen, weniger von der Ermittlung selbst. Vielstimmig erzählt, auch aus der Sicht des Mörders, verzetteltet sich in meinen Augen die Ermittlungsarbeit diesmal zu sehr. Der Kriminalassistent Jeppe Kørner wirkt wie bereits in den vorangegangenen Bänden unprofessionell , aber mir fehlte diesmal beim Lesen seine Kollegin Anette Werner an seiner Seite als Ausgleich. So stolpert man längere Zeit durch den Krimi, komplett ohne Richtung.
Die Autorin bleibt sich treu - mag vielleicht sein, dass das für mich bei Band drei schon ein wenig zu abgenutzt ist, dass der Hauptermittler weder die Untersuchung noch sein Privatleben wirklich im Griff hat.
Trotz allem ist es ein lesenswerter solide geschriebener Krimi, der zum Miträtseln anregt, der einen logischen Schluß mit Auflösung hat, auch wenn mir persönlich der Showdown diesmal etwas zu übertrieben war.




Katrine Engberg "Glasflügel"
Thriller, gebunden, 432 Seiten
Erschienen bei diogenes Verlag 
Am 26. Februar 2020
ISBN 978-3257071238
Preis 20 €

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