25. April 2016

Rezension zu "Rotwein für drei alte Damen oder Warum starb der junge Koch?" von Minna Lindgren




Klappentext:
Die aufgeweckten, sehr agilen Witwen Siiri, Irma und Anna-Liisa sind Nachbarinnen in der Seniorenresidenz 'Abendhain'. Die rüstigen Damen, alle Mitte 90, verbringen den Tag mit Kartenspielen und zu viel Rotwein. Um keine Osterhäschen basteln zu müssen, lassen sie sich gerne von der Straßenbahn kreuz und quer durch Helsinki fahren. Die fröhliche Routine endet mit einem Todesfall, doch hat es nicht etwa einen der greisen Mitbewohner dahingerafft, sondern Tero, den jungen Koch. Mit diesem Unglück beginnt eine ganze Reihe zwielichtiger Vorfälle, die das Leben der drei Freundinnen kräftig durchschütteln und alles, was als sicher galt, über den Haufen werfen. Welches böse Spiel treibt die Oberschwester, und hat die Heimleiterin tatsächlich keine Ahnung, was in 'Abendhain' vor sich geht?
Ein Buch über beste Freundinnen, die trotz ihres hohen Alters weder ihren Humor noch ihren Sinn für das, was im Leben zählt, verlieren und einfach nur wollen, dass man sie für voll nimmt.

Ich mag Bücher mit sperrigen Charakteren, die sich in kein Schema pressen lassen. Ich mag Krimis und Krimikomödien, bei denen alte Damen und Herren die Hauptrolle spielen, ich sie bei ihren Ermittlungen begleiten kann und auch ein paar Alltagserlebnisse erfahre. Ich mag verdrehte Geschichten mit skurrilen Verwicklungen und lautem und leisem Humor, den ich mit einem lachendem und einem weinenden Auge lese. Ich mag auch überspitzte Beschreibungen und Situationen, die humorvoll anprangern.

All diese Dinge hat die Autorin in ihr Buch gepackt und in meinen Augen zu viel gewollt.
Zu Beginn des Buches ist der Unterhaltungswert hoch durch die kriminalistischen Verwicklungen und der Witz und Humor, mit dem der Alltag in der Seniorenresidenz beschrieben wird, oft mit einem lachendem und einem weinenden Auge. Drei Freundinnen im Altenheim, in dem erschreckende Zustände herrschen und die Bewohner darauf angewiesen sind, sich selbst oder sich gegenseitig zu helfen, dazu ein toter junger Koch bieten eine gute Ausgangssituation für einen skurril-witziges Buch.

Doch leider schlägt diese Situation recht schnell in Langatmigkeit um.
Die Charaktere sind nicht greifbar, der Todesfall wird nur sporadisch verfolgt und am Ende ganz fallengelassen, ohne dass es eine für mich zufriedenstellende Lösung gibt, die Geschichte verzettelt sich in Alltagssituationen und in neuen Charakteren. Der anfangs sehr gut zu den Situationen passende naiv - trockene Humor im Erzählstil hat im Laufe der Zeit leider auch seinen Reiz verloren und die immer mehr in den Vordergrund tretende schwarz/weiß - Malerei bezüglich der netten (wenn auch oftmals verdrehten) Bewohner und des bösen Pflegepersonals und der geldgierigen Verwandtschaft hat mich zum Ende des Buches fast genervt.

Schade, das Buch begann für mich vielversprechend und die Grundidee hätte zu einem witzigen und unterhaltsamen Roman führen können. Ich vergebe 2,5 Sterne, die ich aufrunde auf 3 Sterne.



Minna Lindgren
"Rotwein für drei alte Damen oder Warum starb der Junge Koch?"
Paperback, 288 Seiten
ISBN 978-3-462-04724-0
Erschienen im KiWi-Verlag
März 2016

20. April 2016

Rezension zu " Im Himmel gibt es Coca Cola" von Christina Nichol




Warten auf Elektrizität, Warten auf Demokratie als Ablösung der Schewadnadse-Regierung, Warten auf das seit sechs Monaten ausstehende Gehalt, Warten auf den richtigen Moment zur Umsetzung einer der vielen zündenden Geschäftsideen - das tut der Protagonist Slims Achmed Makaschwili gemeinsam mit seinen Freunden und Familienangehörigen in Georgien im Jahr 2003.

Der Roman beschreibt den Alltag der Personen im Umkreis des Protagonisten Slims, dem Seerechtsanwalt aus Batumi am Schwarzen Meer mit vielen Vorwärts- und Rückwärts-Sprüngen und eingestreuten Geschichten und Gedichten, die der georgische Mentalität und Tradition mit einem lachendem und einem weinenden Auge entsprechen. Man treibt als Leser gemeinsam mit den Figuren durch den Tag, und wartet irgendwann ebenfalls auf die Elektrizität und auf bessere Zeiten. Die Situationen sind oft sehr komisch und auf skurril-witzige Art geschrieben, doch dahinter stehen die Schwierigkeiten der Menschen, sich das Nötigste des Alltages zu beschaffen.

Slims schreibt Briefe über seine und die georgische Alltagssituation an Hillary Clinton, mit der Bitte um Verständnis und Hilfe. Er überschüttet seine ungewöhnliche Ansprechpartnerin dabei auf naiv-kindliche Art mit Skurrilitäten und Situationen, die in westlichen Ländern einfach unvorstellbar sind. Natürlich bekommt er von ihr keine Antwort, doch eines Tages passiert das Unfassbare: Slims bekommt eine Einladung zur Schulung nach Kalifornien. Ob er sich dort zurechtfindet, den amerikanischen Traum träumt oder zurückkehrt mag ich hier nicht verraten.

Für mich sind die georgischen Menschen, von denen im Roman erzählt wird, liebenswert, naiv und verrückt, abergläubisch, melancholisch, hoffnungsvoll, erfinderisch und verschwenderisch. Jeder Mann scheint einen Gereralplan zur Gründung eines Unternehmens mit sich herumzutragen und handelt gleichzeitig wie ein Krimineller, und das gehört zur Normalität.
Im krassen Gegensatz dazu stellt die Autorin die amerikanische Lebensweise mit organisiertem gemeinsamen Handeln, Teambildungsmaßnahmen, Rechtssinn und einem inneren Polizisten sowie Bioladenkost und sozialer Verantwortung und vor allem ständig vorhandener Elektrizität dar, dabei kommt jedoch der ausgeträumte "Amerikanische Traum" nicht unbedingt besser weg als das verrückte georgische Durcheinander.

Der Sprachstil der Autorin ist ungewöhnlich, so dass man sich als Leser fallen lassen sollte. Comic-hafte Bilder und Episoden sowie Zeitsprünge in beide Richtungen prägen das Geschehen. Es ist zwar ein Handlungsfaden zu erkennen, der jedoch nicht das Wesen dieses Buches ausmacht.
Der Humor prangert an und ist sarkastisch, oft sogar zynisch. Ich bin mir beim Lesen des Buches immer sehr bewusst gewesen, und das wird durch den Schreibstil auch vermittelt, dass es für die Menschen in Georgien nicht nur lustig war und ist, in einem derart niedergewirtschaftetem Land unter Korruptionsherrschaft leben zu müssen.
Schön und authentisch fand ich es, dass ich als Leser durch Slims und seine Freunde einen liebevoll-satirischen Blick auf die Georgier und ihre Lebensart vermittelt bekommen habe und dass die Anprangerung der herrschenden Zustände nicht plakativ und mit laut schallendem Gelächter gemacht wird sondern mit leisem teils bitterem Kichern.

Zitat von Seite 414
"Wenn jemand falsches Geld druckt, braucht er es doch offensichtlich"
Zitat von Seite 423
"Um ein Land zu zerstören, brauchst du keine Bombe abzuwerfen. Du musst nur den Preis der Wassermelone verdreifachen."

Gestört haben mich beim Lesen des Romans jedoch ein paar Längen in der Geschichte, die in meinen Augen nur Wiederholungen von Geschehnissen sind und das ewige Warten auf Elektrizität und bessere Zeiten für mich als Leser in Wartestellung zu intensiv verdeutlichen, weshalb ich bei der Bewertung einen Punkt abziehe.

Fazit:
Lesenswerte Satire zur georgischen Mentalität und über ein Land im Wandel



Christina Nichol
Im Himmel gibt es Coca Cola
ISBN 978-3-86648-234-0
Roman
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
448 Seiten
Erschienen im Mare Verlag
Februar 2016

19. April 2016

Rezension zu "Muchachas. Tanz in den Tag" von Katherine Pancol



Das Cover des Buches "Muchachas - Tanz in den Tag" der französischen Schriftstellerin Katherine Pancol und auch der Buchtitel selbst suggerierten mir eine verspielte, leichte und vielleicht auch etwas zuckerige Frauengeschichte. Ich habe das Buch gelesen, weil der Inhalt dieser Erwartung überhaupt nicht entspricht, sondern sich vor dem Leser nach anfänglichem snobistischem Geplänkel und Liebesproblemen eine düstere, problembeladene Frauengeschichte aufrollt, die mich sehr bedrückt und wütend zurückgelassen hat.

Klappentext:
Die junge, selbstbewusste Hortense versucht sich in der Modewelt von New York einen Namen zu machen. Die Erfolgsautorin Joséphine wird in der Liebe wie im Beruf von quälenden Selbstzweifeln heimgesucht. Ihre Tochter, die sechzehnjährige Zoé, erlebt ihre erste große Liebe. Die unscheinbare, aber begnadete Violinistin Calypso erblüht, sobald sie auf der Bühne steht. Zuzon hat ihr ganzes Leben als Dienstmädchen gearbeitet und nie geheiratet. Die warmherzige Julie wartet immer noch auf den Richtigen. Léonie leidet seit Jahren unter der Gewalttätigkeit ihres Mannes und droht daran zu zerbrechen. Und da ist Stella, die ihren kleinen Sohn auf einem Bauernhof allein großzieht, auf einem Schrottplatz arbeitet und nichts von dem dunklen Geheimnis ihrer Herkunft ahnt. Jede dieser Muchachas ("junge Frauen" auf spanisch) hat Ihre ganz eigene Geschichte, ihre Leben könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines aber haben diese starken Frauen, deren Wege sich immer wieder kreuzen, gemeinsam: Egal, was passiert, sie lassen sich nicht unterkriegen, nehmen das Leben jeden Tag erneut in Angriff - in der Hoffnung, dass auch für sie das Glück möglich ist. Meisterhaft webt Katherine Pancol ein dichtes Romangeflecht, dessen Sogwirkung sich keine Leserin entziehen kann.

Die Autorin erzählt zwar von all den unterschiedlichen Frauen, doch das Hauptaugenmerk in diesem ersten Teil der Trilogie liegt auf der Geschichte um Stella, ihrer Mutter Léonie und ihrer Freundin Julie. Dieser Teil des Buches gefällt mir sehr, die Geschichte ist aufreibend, fesselnd und bedrückend, die Ungerechtigkeit und Gewalt gegen Frauen hat mich beim Lesen wütend gemacht.
Doch das Buch beginnt mit einer episodenhaften Erzählung zur versnobten Hortense in New York, die zwar stellenweise witzig ist, aber meinen Geschmack in keiner Weise trifft. Im Anschluss daran erfährt der Leser etwas über die Liebesgeschichte der zurückhaltenden und introvertierten Joséphine, die sich zwar durch die vielen Rückblenden interessant lesen lässt, jedoch für mich in keiner Weise zum Rest des Buches passt. Dann macht die Autorin in meinen Augen einen ziemlichen Schnitt im Stil. Die Figuren um Hortense und Joséphine sind für mich wie Staffelstabträger, episodenhaft kommt öfters ein anderer Charakter zu Wort, was der Lektüre Leichtigkeit und dennoch eine gewisse Spannung verleiht. Keine tiefschürfenden Verwicklungen, nur das Antippen von Handlungen in Vergangenheit und Gegenwart, wobei der Leser ab und zu einen Aha-Effekt wegen der Begegnungen einzelner Charaktere hat und Zusammenhänge herstellt.
Im letzten Teil, bei Stella's Geschichte, schürft die Autorin tief, fördert Details aus Gegenwart und Vergangenheit zutage, die bedrückend sind und mir beim Lesen Enge verursacht haben. Es gibt kein Aufatmen durch Zwischenspiele, man wird ziemlich schonungslos mit der schlimmen Familiengeschichte von Stella und ihrer Mutter Léonie konfrontiert. Bei Lesen dieser Seiten verschwanden für mich die anderen Erzählstränge einfach aus dem Blickwinkel, waren nicht mal mehr schmückendes Beiwerk, so geballt, detailliert und eindringlich sind die Beschreibung der ganz persönlichen familiären Hölle von Stella und Léonie.

Die Charaktere aller Episoden und Erzählstränge sind für mich gut greifbar und sehr gut ausgearbeitet, auch wenn einige Details für mich verborgen blieben. Das liegt zum einen daran, dass Katherine Pancol Figuren aus einer früheren mir unbekannten Buchserie aufgreift und in diesem Buch weiter verfolgt, zum anderen ist das Buch selbst der Auftakt einer Trilogie und es bleibt zu erwarten, dass es in den beiden Folgebänden mehr Informationen geben wird.

Was mich an dem Buch sehr gestört hat ist das abrupte Ende. Mitten in der Erzählung abgebrochen hatte ich das Gefühl, es wurden einfach ein paar Seiten vergessen. Mir ist klar, dass es bei einer Trilogie wichtig ist, den Leser mit einem Cliffhanger  bei der Stange zu halten, aber ein solcher ist es nicht, sondern ein grob geführter Schnitt.

Fazit:
Ein solides 3-Sterne Buch, das für mich stilistisch zwiegespalten ist, dessen zweiter Teil mich packen und überzeugen konnte, leider geschmälert durch den krasse Abbruch am Ende des Buches.



€ 14,99 [D] € 15,50 [A] |  CHF 20,50* 
(* empf. VK-Preis)

Paperback, KlappenbroschurISBN: 978-3-570-58556-6

Erschienen: 08.03.2016 
bei carl's books

11. April 2016

Rezension zu E.D.E.N. von Mike Engel



Mike Engel "E.D.E.N."
Roman, 468 Seiten
ISBN 978-1522873105
Erschienen bei Independent Publishing
Februar 2016


Der Autor Autor Mike Engel verpackt in seinem Buch E.D.E.N. philosophische, wissenschaftliche, mystische und religiöse Betrachtungen in die Geschichte eines Suchenden.

Klappentext:
Mystik. Spannung. Liebe. Gibt es Gott oder ist er eine Erfindung des Gehirns? Das ist hier die Frage. Der lebensmüde Bauingenieur Stoller begegnet kurz vor seinem geplanten Selbstmord der Liebe auf den ersten Blick und hat wenig später ein mystisches Erlebnis, das sein Leben auf den Kopf stellt. Stoller muss herausfinden, was er erlebt hat: Ist er im Gefühlsrausch verrückt geworden oder tatsächlich auserwählt? Wahn oder Wahrheit? „Vom Himmel sah er blendend weißes Licht, rein und überirdisch. Aus diesem Himmelslicht lösten sich sphärische Gebilde, weiß umhüllte Engelswesen formten sich und flossen im geistigen Strom heran. Fürchte dich nicht.“ Ein Atheist sucht Gewissheit, eine Pianistin Liebe, ein Neurologe den Gottes-Algorithmus. Und der Teufel?

Das Buch stellt eine Herausforderung in verschiedener Hinsicht dar. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesthema einschließlich verschiedener philosophischer und mythologischer Ansätze dazu gepaart mit wissenschaftlichen Erläuterungen zum Thema Neurologie und Gehirnforschung sowie Beeinflussung des Gehirns durch modulierte Hochfrequenzstrahlung erschlägt den Leser fast. Dazu kommt, dass es schwierig bis unmöglich ist, die Charaktere zu greifen, weil wenig Handlung besteht und die Hintergrundinformationen zum Protagonisten und den anderen Handelnden sehr sporadisch und oft schlecht nachvollziehbar gestreut werden. Es gibt zwar einen verfolgbaren Handlungsstrang in der Geschichte, aber als Leser läuft man leicht Gefahr, diesen in ewigen Auseinandersetzungen mit Wissen zu verlieren, zumal nicht wirklich viel passiert.
Letzteres stört eigentlich nicht so sehr, zumal es für mich zumindest nichts ungewöhnliches oder störendes ist, Wissen, Suche und philosophische Betrachtungen in eine Rahmenhandlung verpackt zu erleben. Äußerst negativ bewerte ich dies jedoch, wenn die Vermittlung wie im vorliegenden Buch in den meisten Fällen durch Reflexion von Internetrecherchen passiert. Ich schaue sozusagen dem Protagonisten über die Schulter, während er im Netz liest und lese mit, und das ist für mich als Leser langweilig.

Die Sprache selbst ist solide und angenehm zu lesen, angemessen für ein Buch, das mit vielen Erläuterungen gespickt ist. Mir fehlt jedoch bei witzigen oder emotional aufwühlenden Situationen der Transport dieser Gefühle oder der Skurrilität gewisser Umstände durch rhetorische Gewandtheit, was das Buch insgesamt leider sehr platt wirken lässt.

Es ist schade, dass eine wirklich gute Grundidee in weiten Teilen des Buches in eine langweilige Dokumentation von Recherchen abgleitet. Da nützt auch am Ende die Faustsche Erleuchtung des Protagonisten und das Auflösen der zart gesponnenen Liebesgeschichte nichts mehr, da ich als Leser zu diesem Zeitpunkt ehrlich gesagt das Interesse an der Geschichte weitestgehend verloren hatte. Ich vergebe 1,5 Sterne, aufgerundet auf zwei Sterne für eine sprachlich solide Geschichte und die gute Grundidee.

Zum Autor:
Mike Engel lebt in Berlin, hat Soziologie studiert und mehr als 300 Drehbücher für 20 TV-Reihen geschrieben. Im Emons-Verlag erschien 2015 sein Kriminalroman "Alt mit Schuss" (zusammen mit Michael Naseband).

10. April 2016

Rezension "Never Say Anything" von Michael Lüders



Der Autor Michael Lüders, Verfasser des Sachbuches "Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet" gilt als Nahost-Experte und lebt als Politik- und Wirtschaftsberater, Publizist und Autor in Berlin. Der vorliegende Thriller "Never Say Anything" ist sein erster Roman, rein fiktiv und wohl dennoch angelehnt an seine publizistischen und journalistischen Erfahrungen.

Klappentext
Die Journalistin Sophie Schelling hat sich auf eine ganz normale Dienstreise eingestellt. Doch manchmal ist man zur falschen Zeit am falschen Ort: Sophie sieht etwas, das sie nie hätte sehen dürfen. Immer tiefer verstrickt sie sich in das Netz eines übermächtigen Gegners, bis ihre Suche nach der Wahrheit zu einem blutigen Kampf ums Überleben wird.
Der Bestsellerautor Michael Lüders führt den Leser auf die dunkle Seite der Macht und stellt seine Heldin vor eine Gewissensfrage: Wie weit bist du bereit zu gehen, um die Wahrheit herauszufinden? Würdest du dafür deine Zukunft aufs Spiel setzen? Oder vergisst du lieber, was du erlebt und erfahren hast? Dieser Thriller ist eine höchst aktuelle Auseinandersetzung mit Geheimdiensten und entfesselter Moral. Erzählt aus der Sicht einer mutigen Frau, die ihren Beruf als Journalistin ernster nimmt als ihr guttut. Der Inhalt ist fiktiv, doch Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind unvermeidlich.

Der Thriller beginnt spannend und vielversprechend in Marakesch, von wo aus die deutsche Journalistin Sophie Schelling gemeinsam mit ihrem Marokkanischen Kollegen Hassan Maliki in das   Dorf Gourrama im Süden des Landes reist, um eine Himmelstreppe mitten in der Wüste zu besuchen. Dort wird sie überraschend Zeugin und einzige Überlebende eines grausamen Massakers durch das amerikanische Militär. Angeschossen verdankt sie ihr Leben Unbekannten, die sie in das Atlasgebirge bringen und gesund pflegen.
Das Blutbad wird offiziell Al-Qaida zugeschrieben, doch für Sophie steht fest, dass die Amerikaner dahinter stecken, und sie hat Beweise dafür, was letztendlich zur Verfolgung durch diverse amerikanische Geheimdienste und Bedrohung ihres Lebens führt.

Letzteres umfasst den Hauptteil der Handlung des Buches, der Kampf Sophies für Gerechtigkeit und die Bedrohung ihres Lebens und Verunglimpfung ihrer Person.
Der Autor betreibt dabei zum einen eine fast unerträgliche Schwarz/Weiß-Malerei in Bezug darauf, dass die ehrliche, menschenfreundliche Einzelkämpferin Sophie als extrem (Todes)mutige Frau mit Gewissen dargestellt und der amerikanische Geheimdienst CIA, die NSA, Homeland Security und wer noch alles beteiligt ist ganz eindeutig in die Ecke der unmenschlichen, gewissenlosen und skrupellosen Teufel geschoben werden; andererseits steht man als Leser weit außerhalb des Geschehens, weil die Charaktere (insbesondere Sophie) zwar handeln, aber nicht mitreißen. Sie bleiben blass und ohne Tiefe.

Auch Spannung will nicht recht aufkommen, dazu fehlt es dem Thriller an Überraschungen. Mit Beginn des Kampfes gegen die Geheimdienste dreht sich alles nur noch darum, wer auf welche Art kurzzeitig die Oberhand gewinnt und ob Sophie überlebt oder nicht. Die Fronten sind klar und ich als Leser verfolge lediglich den Krieg, was mir ehrlich gesagt zu langweilig war.
Und schließlich erwarte ich von einem Politthriller, der diesen Namen verdient, nicht nur das Anprangern und Berichten von Vorfällen, sondern hätte auch gerne Hintergrundinformationen dazu, die nicht nur daraus bestehen, dass eine Weltmacht versucht alles an sich zu reißen. Es gibt einige gute Ansätze dazu, die aber leider nicht verfolgt werden und im Sande verlaufen. So liest sich das Ganze für mich dann leider nur wie geschickt gestaltete Verschwörungsliteratur, bei der ich mir zusätzlich im Laufe der Zeit leicht genervt die Frage stelle, ob die Protagonistin nun überleben wird oder nicht.

Fazit:
Ein guter und vielversprechender Start gleitet leider ab in eine schwarz/weiß-Geschichte ohne wirklichen Tiefgang und ohne Überraschungen. Ich vergebe 3 Sterne.



Lüders, Michael

Never Say Anything

Thriller

3. Auflage 2016. 367 S.: Klappenbroschur
Erschienen: 10.02.2016

6. April 2016

Rezension zu "Die Birken wissen's noch" von Lars Mytting




Der Norweger Lars Mytting hat mit "Die Birken wissen's noch" eine tragische Geschichte über Familie, Liebe, Trauer und Verlust geschrieben, die beim Lesen viele Überraschungen bereit hält, zu Tränen rührt und dennoch teilweise karg und unnahbar wie die Landschaft des Settings wirkt.

Klappentext:
Auf einem entlegenen Bergbauernhof im norwegischen Gudbrandstal wächst Edvard mit seinem wortkargen Großvater Sverre auf. An seine Mutter hat er nur eine vage Erinnerung – an einen Duft, ein Gefühl von Wärme, einen blauen Rock. Denn die Eltern sind ums Leben gekommen, als Edvard drei Jahre alt war. Um ihren Tod wird ein Geheimnis gemacht, und auch um den Ort, an dem sie starben.
Zu diesem Geheimnis gehört auch das Schicksal Einars, des Bruders des Großvaters. Edvard weiß nur, dass er ein Meistertischler war und als junger Mann zur Ausbildung nach Paris ging. Dass er seine Werkstatt mitsamt dem Wald von Flammenbirken zurückließ. Dass für den Großvater ein Sarg geliefert wurde, lange vor dessen Tod – ein Stück Kunsttischlerei, wie es noch nie jemand gesehen hat –, und dass Einar womöglich gar nicht tot ist, wie es der Großvater behauptete.
Als dieser gestorben ist, macht Edvard sich auf die Suche nach dem Geheimnis seiner Familie. Es wird eine lange Reise, an deren Ende er mehr als ein Geheimnis kennt.
Die Geschichte einer verzweifelten Suche nach der Mutter, dem Vater, den eigenen Wurzeln – und einer Reise, die die Waise Edvard durch fremde Länder führt und deren Familiengeschichte ein ganzes Jahrhundert umfasst: das Jahrhundert der großen Tragödien.

Edvards Geschichte und die Geschichte seiner Familie wird auf faszinierende Art und Weise erzählt. Nicht chronologisch, sondern mit dem Ende, dem Tod des Großvaters Sverre beginnend sucht Edvard nach seinen Wurzeln und seiner Identität, findet im Nachlass des Großvaters Anhaltspunkte für eine andere Wahrheit als die ihm bisher bekannte, bekommt Hinweise vom alten Dorfpfarrer und begibt sich schließlich auf eine Suche, bei der für ihn das Ende völlig offen ist. Anhaltspunkte hat er sehr wenige, doch der ursprüngliche Faden ergibt im Laufe von Edvards Reise ein feines Gespinst an Verbindungen, die ihn zu immer neuen Geheimnissen führen. Mit unerschütterlicher Geduld und Gleichmut trotzt er Widrigkeiten und wird am Ende belohnt, mit Wissen, Liebe und Klarheit.

Durch den Sprachstil der Geschichte und durch den Umgang mit Situationen und Verwicklungen während seiner Reise spürt man beim Lesen Edvards Charakter als geduldiger, gleichmütiger aber auch stur sein Ziel verfolgender Nordländer, der sich von ein paar Widrigkeiten nicht abbringen lässt. Die Liebesgeschichte mit der jungen Britin Gwen von den Shetlandinseln, deren Familie auf rätselhafte Weise mit Edvards Familiengeheimnis verknüpft ist, entwickelt sich zunächst sehr gemächlich, zurückhaltend und überlegt, wie unter Rivalen, immer mit Blick auf das große Ziel der Suche nach des Rätsels Lösung, teils auch genau wegen dieser, so hat man den Eindruck. Doch im weiteren Verlauf entgleitet die Überlegenheit im Handeln sowohl Gwen als auch Edvard und sie verlieren beide an Boden, reiben sich aneinander auf.

Eine große Rolle im Buch spielen die beiden Weltkriege, insbesondere das Kriegsgeschehen in Frankreich in einem im Ersten Weltkrieg hart umkämpften Waldstück nahe Authuille, in dem später auch Edvards Eltern umkamen. Mit viel Respekt und Eindringlichkeit verknüpft der Autor die Geschichte mit dem Kriegsgeschehen, sucht relevante Orte und Gräberstätten auf und spürt Stimmungen nach, vermittelt einen nachhaltigen Eindruck von den Grausamkeiten des Giftgaseinsatzes in diesem Krieg.

Der Stil des Autors ist eindringlich und ruhig. Dem Leser wird Zeit gelassen, sich umzuschauen und die Landschaft zu genießen, wie den Flammenbirkenwald oder die baumlose Kargheit der Shetlandinseln, Details gemeinsam mit dem Protagonisten zu entdecken und Zusammenhänge zu entschlüsseln. Dennoch entsteht auf großartige Weise Spannung und man möchte nicht aufhören, dem Geheimnis auf die Schliche zu kommen.
Ich war traurig, als ich die letzte Zeile las, weil mir das Buch so gut gefallen hat. Die Geschichte und deren Auflösung hat mich sehr beeindruckt, und ich gebe eine unbedingte Leseempfehlung mit 5 Sternen.


Erschienen im März 2016
Insel-Verlag
gebunden 516 Seiten
ISBN 978-3-458-17673-2
24,95€

22. März 2016

Rezension zu "Der Ort, an dem die Reise endet" von Yvonne Adhiambo Owuor




Das Buch "Der Ort, an dem die Reise endet" der afrikanischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor ist ein atemberaubendes, brutales, sprachgewaltiges, wütendes, mutiges und moralisches Buch über eine höchst tragische Familiengeschichte im Rahmen der Machtkämpfe in einem zerrissenem Land, das sich dem Leser nicht leicht erschließt und hohe Konzentration beim Lesen erfordert.

Klappentext
Kenia 2007. Odidi Oganda, ein hochtalentierter Student, wird in den Straßen Nairobis erschossen. Seine Schwester Ajany kehrt aus Brasilien zurück, um mit ihrem Vater seinen Leichnam nach Hause zu überführen. Doch die Heimkehr auf die verfallene Farm im Norden des  Landes hält keinen Trost für sie breit. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, die der Mord heraufbeschworen hat und die die Familie im Griff halten: an die koloniale Gewaltherrschaft und die blutigen Auseinandersetzungen nach der Unabhängigkeit. Ajanys Mutter flieht von Wut und Trauer erfüllt in die Wildnis. Und ihr Vater muss sich einer brutalen Wahrheit stellen. Doch im Moment größter Verzweiflung entsteht auch etwas Neues: Eine Liebe - oder zumindest eine Verbindung - nimmt ihren Anfang.

"Kenias offizielle Sprachen: Englisch, Swahili und Schweigen."

Die kenianische Autorin nimmt den Leser mit auf eine atemlose Reise durch die jüngere Kenianische Geschichte vom zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 2007, jagd vorbei am Mau-Mau-Krieg in den 50er Jahren bis zur Unabhängigkeit, bebildert brutal und eindringlich Massenverfolgung und Vertreibung ganzer ethnischer Gruppen nach Vertreibung der Kolonialmacht, malt Bilder von Korruption im ganz großen Stil ebenso wie wirtschaftliche Probleme, Betrügereien und alte Seilschaften mit den ehemaligen Kolonialherren.
Die Protagonisten der Geschichte, die Mitglieder der Kenianischen Familie Oganda und die nach dem zweiten Weltkrieg nach Kenia ausgewanderten Briten der Familie Bolton balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und völliger Niedergeschlagenheit. Sie alle umgeben sich mit unausgesprochenen Geheimnissen, an denen sie schwer zu tragen haben und fast zerbrechen.

Owuor treibt die bruchstückhafte und durch viele Rückblicke und verschiedene Zeitebenen geprägte Geschichte in einem für mich völlig ungewöhnlichen, fast atemlosen Stil voran. Schneller Episodenwechsel, virtuose, bildhafte, eindringliche Sprache mit vielen poetischen und metaphorischen Andeutungen, kraftvolle Bilder der Verzweiflung, aber auch des Glückes schaffen einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.
Dies erfordert allerdings auch hohe Konzentration beim Lesen, sowohl in Bezug auf Verfolgung der Handlung als auch hinsichtlich des historischen Hintergrundes. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich während der Lektüre sehr oft Wikipedia hinsichtlich bestimmter Ereignisse bemüht habe.

Für mich hat das Buch den erschreckenden Alltag des Lebens zwischen Gewalt, Korruption, Verzweiflung und Zerrissenheit sehr greifbar gemacht. Ich betrachte es als sehr moralisches und poetisches Buch, dem man nicht anmerkt, dass es ein Debütroman ist.
Ich vergebe vier Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.


Yvonne Adhiambo Owuor
Der Ort, an dem die Reise endet
Roman
512 Seiten, gebunden mit farbigem Vorsatz und Lesebändchen
Erschienen im Dumont-Verlag März 2016
ISBN 978-3-8321-9820-6