24. November 2019

Mystischer Old-School-Krimi




Der Ich-Erzähler Sebastian Bell erwacht in einem alten Englischen Herrenhaus ohne jegliche Erinnerung. Mit Ausnahme eines Namens, der ihm im Gedächtnis blieb: Anna.
Er weiß nicht, wie er in das Haus im Wald kam und wer er überhaupt ist.
Er glaubt einen Mord zu beobachten und ein sehr langer Tag beginnt...

Ein klassisches Setting für einen englischen Kriminalroman, das alte Herrenhaus, in dem sich mehrere Personen befinden. Es ist nicht ganz klar, zu welcher Zeit die Handlung spielt, denn es gibt Autos und Telefon, aber keine weiteren signposts zur Einordnung.
Nichts und niemand ist so wie es auf den ersten Blick erscheint, zunächst ist vieles ohne erkennbare Zusammenhänge und je nach Blickwinkel und Perspektive im stetigen Fluss. Ein Butler, eine junge Erbin, ein Dealer, ein Anwalt, ein Erpresser, der Dorfpolizist, ein Lebemann geben sich als Charaktere ein Stelldichein, ebenso klassisch wie die gesellschaftlichen Zusammenkünfte, bei der die Personen agieren: Jagd, Dinner, Drink im Rauchsalon, englisches Frühstück und Bankett. Sebastian ist in einer Zeitschleife gefangen und soll einen Mord aufklären sowie einen zweiten verhindern, immer im Anzug eines anderen Charakters, um dem Haus entkommen zu können und für diachronen selbst eine Auflösung zu finden. Er hat keine Ahnung, wer Freund und wer Feind ist, welche Ereignisse relevant sind und welche er beeinflussen darf, um seine Aufgabe zu lösen.

Der Autor Stuart Turton spult die Geschichte im Roman „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ mit überaus großer Erzählfreude ab, verwirrend und mystisch mit vielen originellen Ideen greift er tief in die Trickkiste, auch wenn die Grundidee Erinnerungen an „Groundhog Day“ weckt.
Aber das macht nichts, denn der Zusammenhang bleibt undurchschaubar, originell und voller Überraschungen, bis zum Schluß. 
Sprachlich bietet das Buch eine gute Mischung aus Old-School-Kriminalroman mit modernen Elementen, was hervorragend zum Setting passt. Das Buch ist leist lesbar, allerdings erfordert es durchaus Konzentration, den Verwicklungen zu folgen, was mir als anspruchsvollen Leser sehr gefallen hat. Ich empfehle es ganz ausdrücklich zu lesen.




Stuart Turton
Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
Roman, gebunden, 605 Seiten
Erschienen bei Tropen-Verlag
Am 24. August 2019
ISBN 978-3608504217

Preis 24€

Skandalträchtiger Entwicklungsroman





Das Buch „Das Lied vom roten Rubin“ ist ein Entwicklungsroman, Teil einer Trilogie über Ask Burlefot, den der Norweger Agnar Mykle 1957 veröffentlichte und der jetzt in neuer Übersetzung vorliegt. Als skandalträchtig gilt das Buch, weil es wegen Sexszenen in Norwegen verboten wurde. Allerdings wurde der Autor vom Vorwurf, eine unzüchtige Schrift verbreitet zuhaben, von einem Osloer Gericht freigesprochen. Und dem Buch war und ist großer Verkaufserfolg in weniger puritanischen Ländern beschwert gewesen.

Das alles lenkt leider etwas ab von der Geschichte, die Sittengemälde von Norwegen in den 1930er Jahren und eine Entwicklungsgeschichte ist. 
ASK Burlefot ist mittlerweile Anfang 20 und Student an der Universität in Bergen. Man begleitet ihn von 1938 bis Frühjahr 1939, in direktem Anschluss an den Vorgängerroman „Liebe ist eine einsame Sache“, der ebenfalls in Neuübersetzung erschien. Man begleitet Ask im Studentenleben, lernt Mitstudenten und Professoren kennen, erfährt von seiner Mitgliedschaft und den Mitgliedern einer sozialistischen Verbindung und nicht zuletzt auch von seinen Eroberungen der Frauen.
Bedingt durch seine Vorgeschichte, auf die es im Roman einige Hinweise gibt, ist Ask ein unsicherer Zweifler in vielerlei Hinsicht. Er zweifelt bezüglich seiner Frauengeschichten, aber eben auch bezüglich der Richtigkeit der sozialistischen Ansichten, die den Materialismus in den Vordergrund stellen.

Witzig und mit scharfen Blick, gut lesbar und dank der Neuübersetzung in moderner Sprache liest sich das Buch gut weg. Der Autor gewährt einen tiefen Blick auf seinen Hauptcharakter und auf seine Begleiter, der oft vom Sarkasmus geprägt ist. Er beschreibt gesellschaftliche und menschliche Zwänge, in die seine Figuren geraten, voller psychologischer Hingabe, ohne die damals üblichen Tabus.

Der Roman spiegelt die Norwegische Gesellschaft Ende der 1930er Jahre wieder, allerdings rückt das gegenüber der Entwicklung der Figur Ask sehr in den Hintergrund. Die Diskussionen um Norwegens Neutralität, insbesondere unter den Sozialisten, ist mir etwas zu mager ausgefallen für einen Roman, der zwei Jahr vor der Besetzung Norwegens durch die Deutschen spielt und in dessem zeitlichen Rahmenfenster Diskussionen zur Neutralität, zu Bündnissen mit anderen nordischen Staaten und zur Aufrüstung zur Verteidigung der Neutralität des Landes an der Tagesordnung waren. Ein narzisstischer Kampfgeist und Zweifler erschien dem Autor wohl interessanter, von dem nach meiner Meinung ohne seine romantischen sozialistischen Ideen, von denen er sich im Laufe der Handlung immer mehr entfernt, für mich leider nicht viel Spannendes bleibt außer seinem Hang, seine Sexualität zu befriedigen, auch wenn den dabei beschriebenen Szenen für mich wenig Pornografisches anhaftet, wie dem Autor und seinem Verleger im Gerichtsprozesse vorgeworfen wurde und was zum Verbot des Buches in Norwegen führte.

Wenn man die Zeit, in der der Roman geschrieben wurde, erschien, ist es allerdings ein durchaus revolutionäres Buch, auch wenn davon heute leider nur noch wenig spüren ist, wie gesellschaftskritisch einer der wichtigsten Norwegischen Autoren schrieb. Vielleicht sollte man auch den ersten Band der Trilogie zuerst lesen, um der Hauptfigur mehr Tiefe abgewinnen zu können. Denn trotz der Hinweise und Rückblicke auf seine Vergangenheit blieb Ask für mich etwas zu blaß und wenig greifbar, was sicher nicht zuletzt daran liegt, dass von ihm in der dritten Person gesprochen wird.

Trotz meiner Kritikpunkte ist es ein lesenswertes drei-Sterne-Buch, dem bei der Einführung durch den Verlag sicher gut getan hätte, den Zusammenhang zu den anderen Bänden zu erwähnen und nicht auf der Skandalwelle zu reiten.

Der Autor Agnar Mykle verarbeitet in der Trilogie eigene Erlebnisse, alle drei Romane tragen autobiografische Züge. Er selbst besuchte Ende der 1930er Jahre die Handelshochschule in Bergen, war in den 1940er Jahren Journalist in der Arbeiterbewegung.
Nach dem Skandalprozess um das vorliegende Buch zog er sich zurück.
Seine Romane sind geprägt von Satire, Gesellschaftskritik und Abhängigkeiten, insbesondere auch durch sexuelle Zwänge.

Agnar Mykle „Das Lied vom roten Rubin“
Roman gebunden, 448 Seiten
Neuübersetzung
erschienen im Ullstein Verlag
am 27. September 2019
ISBN 978-3550050022

Preis 26€

Märchenspannung für Erwachsene




Ein bisschen skeptisch war ich, als ich das Buch zu lesen (und aus Zeitgründen parallel das Hörbuch zu hören) begann. Ich kenne den großartigen Film „Pan’sLabyrinth“. Ich mag die Geschichten von Cornelia Funke. Aber passen Guillermo del Torro und Cornelia Funke zusammen?
Ja, sie tun es, und zwar hervorragend! Herausgekommen ist ein Buch, das an der Schnittstelle zwischen Realität und Fantasy genau das Richtige Maß an realistischer Gewalt aus dem spanischen Bürgerkrieg in den 1940er Jahren und Fantasyelementen aufweist, die auf Märchen beruhen. Es ist sprachlich sehr angemessen für das Genre, auch für mich als anspruchsvoller Leserin, und es ist definitiv kein Kinderbuch.

Die 13jährige Ophelia und ihre hochschwangere Mutter ziehen in die spanischen Berge, zum neuen Stiefvater, dem Hauptmann Vidal, der dort mit seinen Falangisten-Truppen stationiert ist. wie im Bürgerkrieg zwischen Republikanern, die sich im umliegenden Wald verstecken und teilweise aus Vidals eigenen Reihen unterstützt werden, und den Anhängern des General Franco herrscht im Haus von Vidal viel Grausamkeit. Ophelia flüchteten magische Welten, die in den Wäldern um Vidals alte Mühle zu finden sind, und stößt dabei auf einen Faun, der ihr drei Aufgaben zur Lösung stellt, als Beweis dafür, dass Ophelia die vor langer Zeit verschwundene Prinzessin seines unterirdischen Reiches ist.

Das Fantasydrama „Pan‘s Labyrinth“ ist die Vorlage für den Roman von Cornelia Funke, die daraus ein magisches Märchen für Erwachsene gemacht hat. Das Buch überzeugt, wie schon die filmische Variante, durch den Realitätsbezug zum Spanischen Bürgerkrieg und ein Kind, das aus genau dieser grausamen Realität in eine ebenso grausame Märchenwelt flieht, dort jedoch mehr Chancen zum Überleben bekommt.

Poetisch und bildhaft schreibt Cornelia Funke die Geschichte, und auch wenn es manchmal ein bisschen zu melodramatische Formulierungen gibt passt die Sprache für mich insgesamt sehr zum realen und zum magischen Geschehen. Ophelia, die mutige Heldin der Geschichte, die in zwei Welten versucht, das Böse zu bekämpfen, findet leicht Zugang zum Herzen der Leser.
Wie im Märchen sind Gut und Böse natürlich klar getrennt, allerdings gelingen der Autorin ein paar Grauzonen, die die Geschichte spannender machen.

Ein lesenswertes Buch, das nicht kindertauglich ist, als Hörbuch ganz wunderbar gelesen von Tom Voigt, den ich als Hörbuchsprecher bisher nicht kannte, empfehle ich das Buch gerne mit vier  Sternen.

Das Labyrinth des Faun
Cornelia Funke, Guillermo den Torro
Gebunden, 320 Seiten
Verlag Fischer Sauerländer
Erschienen am 2.Juli 2019
ISBN 978-3-737356664

Preis 20 €