20. Mai 2018

Spröde erzählte Familiengeschichte





Das bereits 1993 im Original erschienene schmale Buch des finnischen Autors Johan Bargun 
erzählt die schmerzhafte Geschichte zweier Brüder, melancholisch, spannend und dennoch in einer ungewöhnlichen Leichtigkeit. Es ist eine Familienstudie, die mit großer Feinfühligkeit und bemerkenswerter Beobachtungsgabe sehr dicht und nahe an den Charakteren handelt.
Erstaunlich, wie der Autor, der in schwedischer Sprache schreibt, es geschafft hat, auf nur 142 Seiten so viel Inhalt zu packen.

Olof und Carl sind Brüder, die im Sommerhaus ihrer Mutter nach langer Zeit der Funkstille wieder aufeinander treffen. Die Mutter wird nach einem Krankenhausaufenthalt sterben, wozu sie sich in das Haus im finnischer Schärengarten zurückgezogen hat. Die Brüder waren und sind Konkurrenten, zwischen ihnen herrschte schon früher unterschwellige und auch offene Aggressivität, wie man aus geschickt eingebauten Rückblicken erfährt. Carl, der beliebtere und charmantere der beiden Brüder, wurde von der Mutter vorgezogen, besonders nach dem frühen Tod des Vaters. Olof hat den Tod seines Vaters und sein Zurückstellen durch die Mutter nicht verschmerzen können, sein Leben und sein Beruf sind geprägt von unsteter Unzufriedenheit. Carl hingegen war mit seiner Frau ausgewandert, hat sich im Beruf mit Erfolg bewährt und eine Familie gegründet, die er ans Sterbebett der Mutter mitbringt.
Ganz allmählich, zunächst in kleinen spröden Gedankenfetzen und später in längeren Passagen, erfährt man beim Lesen, welche Abgründe zur vertrackten und jahrelang schweigsamen Situation zwischen den Brüdern führte. Carls Ehefrau Klara hat daran ihren Anteil, ebenso der Lebenspartner der Mutter „Onkel Tom“.

Schnörkellos und in klarer knapper Sprache führt Johan Bargum des Leser durch die Geschichte, deren Rückblicke und zunehmende Abgründigkeit einen unglaublichen Sog entwickeln. Es wird dennoch Platz gelassen für eigene Gedanken, und obwohl man sich extrem dicht am Geschehen bewegt, wird dies dadurch nie zu eng.

Wichtige grundlegende Lebensfragen, Melancholie und Nachdenklichkeit bestimmen das Buch gleichermaßen wie Witz und Leichtfüßigkeit, was es zu einem ganz besonderen Leseerlebnis macht. Unerwartet und offen ist auch das Ende der Geschichte, eine Leerstelle, die man selbst füllen kann oder nicht. Eine nahezu perfekte, leicht lesbare und klar erzählte Lektüre, die lange nachhallt und eine dringende Leseempfehlung von mir bekommt.




Johan Bargum „Nachsommer“
Roman, gebunden, 144 Seiten
Mare Verlag
erschienen im Februar 2018
ISBN 978-3866482609
18,00 €

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