14. Januar 2018

Gesellschaftsspiegel mit Schwächen




Der Roman „Die Schulter des Riesen“ ist ein gesellschaftskritischer Gegenwartsroman, angesiedelt in einer fiktiven deutschen Stadt, der das Schicksal eines unverschuldet in die Obdachlosigkeit abgeglittenen Mannes thematisiert.

Gregor, ein bisschen überheblich, ein bisschen aggressiv und aufbrausend, glaubt mitten im Leben zu stehen mit seinem Job als Silberschmied, seiner Frau Beatrice und den beiden geliebten kleinen Jungen Robert und Alex. Er reagiert mit Gewalt, als er überraschend in seiner Wohnung bei seinen Kindern eine völlig heruntergekommene Drogensüchtige erwischt. Mit dieser Tat ist sein Schicksal besiegelt - aufgrund einer Kette zufälliger Ereignisse, die in der Folge des aggressiven Hinauswurfs der jungen Frau eintreten, gerät Gregor massiv zunächst in finanzielle, später in emotionale und berufliche Schwierigkeiten, aus denen es für ihn keinen Ausweg gibt. Er landet in Untersuchungshaft, seine Ehe geht in die Brüche, er verliert seinen Job und die Schuldenfalle schlägt so gnadenlos zu, dass er letztlich obdachlos wird. Gregor findet sich auf der Straße wieder, hat nach einem kurzen schrecklichen Intermezzo als gepeinigter Küchenhelfer eines Edelrestaurants nichts zum Leben und muss sich damit zurechtfinden, die bürgerliche Gesellschaft, die er bisher mit blasiertem schöngeistigem Blick betrachtete, nun von unten in der Haltung eines Bittstellers und Bettlers anzuschauen.
Einmal ohne Wohnung ist er abgeschrieben bei potenziellen Arbeitgebern genauso wie bei sämtlichen Ämtern und Behörden, und auch der gerichtliche Freispruch nutzt ihm nichts mehr. Er gehört zum ungeliebten gesellschaftlichen Bodensatz, chancenlos und verachtet, übersehen und unbeachtet. 
Nur für sich selbst kann sich Georg ein bisschen Menschlichkeit bewahren, indem er versucht, nicht wie andere Obdachlose saufend zu verlottern oder indem er sich die Liebe zu seinen beiden Söhnen zu bewahren versucht.

Georg ist ein Grenzgänger und Wanderer zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Er versucht nicht, sich als Obdachloser anzupassen, sondern will kämpfen, eckt überall an und scheint alles irgendwie falsch zu machen, wo andere scheinbar leichtfüßig mit ihrer Situation klar kommen. Sein Lebensmut droht zu verlöschen, weil er immer und immer wieder Rückschläge einstecken muss. Dennoch wird er nicht zum Dulder, er wehrt sich vehement weiter und versucht, sich seine Ideale zu erhalten. Selbst in der völligen Ausweglosigkeit beschreitet Georg einen ungewöhnlichen Weg, abseits der ausgetretenen Pfade.

Womit ich mich nicht anfreunden konnte ist der Stil, in dem die Geschichte umgesetzt ist. Zu viele gewollte Bilder einerseits und das geradlinige chronologische Abspulen ohne Wechsel von Blickrichtung oder Zeit andererseits haben meinen Genuss beim Lesen manchmal sehr geschmälert. Es gibt zudem zu viele Wiederholungen und Zusammenfassungen, die den Fluss der Geschichte bremsen, auf mich ein wenig langweilig wirken. Manchmal waren die Bilder, die zur Erklärung von Stimmungen herangezogen wurden, übertrieben und einfach zu oft benutzt.
Es ist ein bisschen schade um wirklich gute Ideen, die in die Geschichte eingebaut wurden, zum Beispiel die des gesellschaftskritisch philosophierenden obdachlosen Säufers Nirwana, der mit seinem Wesen und seinem buddhistischen Geschichten die positive Basis von Gregors Wesenart mit Mitleid, Liebe und Lebensmut darstellt. Allerdings wird für mich überstrapaziert, dass er nur im Rausch erträglich für sich selbst und seine Umwelt ist, hingegen nüchtern klare und kluge Gedanken zu fassen vermag. Im Gegensatz dazu steht übrigens der Gegenspieler Nietzsche, dessen boshaftes und menschenverachtendes Nazitum an Gregor klebt wie Hundekacke an einem Schuh, das schwarze Spiegel-Bild seiner Seele.

Insgesamt konnte mich die Idee zur Geschichte zwar begeistern, ich habe Passagen mit Interesse gelesen, aber stilistisch hätte ich mir mehr Ausgereiftheit und weniger gewolltes Gefallen gewünscht, plastischere Figuren und einen weniger geradlinig-einfachen Schreibstil.


Ich danke dem Autor Raffael Schallenberg, dass ich das Buch zum Lesen bereitgestellt bekam.


Raffael Rauhenberg „Die Schulter des Riesen“
Roman, eBook, 439 Seiten
Cremte Space Independent Publishing Platform
ISBN B076B7FC9H
3,50€

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