6. Februar 2016

Rezension "Schwarzes Gold aus Warnemünde"




Harald Martenstein, Redakteur, Journalist und Zeit-Kolumnist und Tom Peuckert, freier Autor, Regisseur und Dokumentarfilmer, lassen die DDR in einer satirischen Utopie wieder auferstehen, indem sie das Fluchtproblem lösen, weil keiner mehr aus diesem mittlerweile reichstem Land der Welt weglaufen will.

Am 9.November 1989 verkündet Günter Schabowski nicht die Öffnung der Grenzen sondern die Entdeckung von Erdöl an der Ostseeküste der DDR, dem weltweit größten Vorkommen, welches ab sofort unverzüglich zur Verfügung steht.
Die DDR wird damit das reichste Land der Welt, Rügen wird Sperrzone und umfunktioniert zum Umschlagplatz zur weltweiten Verschiffung des Öls mit Raffinerien und Häfen, Prora wird der Sitz des Erdölkombinates. Der wahrscheinlich mächtigste Mann im Land: Erdölminister Markus Wolf, der gemeinsam mit Generalsekretär der SED Egon Krenz die Fäden zieht. Allen Bürgern der DDR geht es glänzend dank Bürgergeld und westdeutschen und österreichischen Gastarbeitern, die als Deutsche zweiter Klasse an den Grenzen Schlange stehen.

Es gibt allerdings für DDR-Bürger ein Gesinnungsbarometer mit einer Skala von A (AAA gibt es nur für hohe Parteifunktionäre) bis F (was wahrscheinlich Friedhof heißt). An der Ideologie selbst ändert sich nichts, Andersdenkende werden nach wie vor verfolgt, die Phrasen und Sprüche auf den Parteitagen der SED sind sogar noch inhaltsleerer als vor 1989.
Die Menschen werden durch den Reichtum des Erdölsozialismus nicht besser, im Gegenteil.

Der westdeutsche Martenstein und der DDR-Kritiker Peuckert schlittern durch die Schattenseiten des DDR-Imperiums und verfassen Berichte und Reportagen zu Hintergünden des Systems, machen Interviews mit bedeutenden Persönlichkeiten der DDR und stehen doch irgendwie ständig auf der Beobachtungs- und Abschussliste.

Umgesetzt ist die Geschichte als Sammlung eben dieser Reportagen und Berichte von Martenstein und Peuckert, verknüpft durch eine Rahmenhandlung zum Werdegang und zu den Erlebnissen der beiden investigativen Reporter von 1989 bis 2015.

Die Autoren nutzen das ohnehin vorhanden gewesene komödiantische Potenzial der ehemaligen DDR in ihrer Utopie voll aus. Daneben üben sie auf satirische Art Kritik an bestehenden Zuständen, was allerdings nie brachial geschieht sondern geschickt verpackt wird.
Es ist dennoch kein Buch der leisen Töne, sondern kommt laut polternd und Aufmerksamkeit heischend mit schallendem Gelächter daher.

Die Charaktere um die es in den Reportagen und Interviews geht, überschlagen sich: Karl-Theodor Guttenberg als Wirtschaftsminister, nachdem er Bürger der DDR wurde und den Ehrendoktortitel verliehen bekommt, Kati Witt als männermordende Diva, die das Dschungelcamp zusammen mit Kai Pflaume auf Kuba moderiert, um systemkritische Personen durch Herausforderungen zu läutern, Hartmut Mehdorn als Robotron-Boss, der in der Reportage das Geheimnis des Erfolges von Robotron aufdeckt, Gregor Gysi als Kulturminister in einem 99-Fragen-Interview, Gerhard Schöder als Sprecher des Zentronik-Kombinates, Helene Fischer (eigentlich ist sie die Russlanddeutsche Jelena Fischer), die als Showstar des Ferienheimes Roter Oktober auf Hiddensee gastiert, Angela Merkel, die 1989 verhaftet wird und sich später nach New York absetzt und Sahra Wagenknecht als Yogalehrerin, nachdem sie als Funktionärin abgestellt werden musste.

Ein Interview der beiden Autoren zum Buch findet sich übrigens hier:
http://www.zeit.de/2015/34/ddr-sed-oel-sozialismus

Fazit:
Sehr empfehlenswerte utopische Satire mit geschickt und witzig verpackter Kritik.


Harald Martenstein, Tom Peuckert

Schwarzes Gold aus Warnemünde

Gebunden mit Schutzumschlag, 256 Seiten

Erschienen im Aufbau Verlag August 2015

ISBN 978-3-351-03607-2 

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