17. Oktober 2020

Wilde Freude

 



Beginnend mit einer niederschmetternde Krebsdiagnose, über einen riskanten Plan und der Freundschaft unter Leidensgenossinnen führt der Weg des neuen Romans „Wilde Freude“ des französischen Schriftstellers Sorj Chaladon, der vom feinfühligen ersten Stolpern auf dem steinigen Krankheitsweg plötzlich zum handfesten Kriminalroman wird.


Das Leben der Buchhändlerin Jeanne wird durch die Diagnose Krebs komplett umgekrempelt. Sie verlässt ihren Mann, der kein Verständnis für ihre Krankheit aufzubringen vermag, und zieht in eine Frauen-WG zusammen mit Leidensgenossinnen. Die nunmehr vier Frauen kümmern sich umeinander, aufmerksam aber ohne Resignation und Mitleid. 

Ohne Sentimanetalität beschreibt Sorj Chaladon in diesem Teil die massiven Veränderungen im Leben von Jeanne, die sich im Krieg mit dem Krebs befindet und für die ein Schwächeln das Todesurteil bedeutet. Das Ende ihres normalen Alltagslebens, das Beenden der Beziehung mit Matt, die zuvor schon tot war, die durch die Chemotherapie verursachten grenzwertigen körperlichen Belastungen beschreibt Sorj Chaladon mit unglaublicher Sensibilität und sehr genauer Beobachtung, er stellt den Leser sofort auf die Seite von Jeanne, die so verletzlich und so stark zugleich ist und die begreift, dass sie sich von der Wand in ihrem Rücken wegbewegen muss, um den Krebs besiegen zu können. Details wie das Drama des Haarausfalls besonders bei Frauen zu Beginn der Chemotherapie sind Spiegel einer Gesellschaft der Gesundheitsfanatiker und des obsoleten leider immer noch herrschenden Rollenbildes von Frauen heute.


Jeanne hat Glück als sie bei ihrer ersten Chemotherapie Brigitte, Assia und Melody trifft, die in einer luxuriösen Pariser Wohnung zusammenleben und in der WG Jeanne einen Ort anbieten, an dem sie aufgefangen wird und wo die Frauen generalstabsmäßig den Kampf für ihr Weiterleben angehen, willensstark und kraftvoll durch ihre Verbundenheit.

Das Schicksal von Melody geht Jeanne besonders nahe. Melody‘s Kind wurde von deren Partner nach Russland entführt und er verlangt eine Auslöse von 100.000 Euro dafür, dass die junge Frau ihre Tochter zurückbekommt. Die vier Frauen schmieden einen Plan, um an das Geld zu kommen, und aus der sensiblen Geschichte wird plötzlich ein Krimi, mit Elementen in der Tradition eines Noir-Romans. 


Zwischen Mitgefühl mit Jeannes Schicksal und der Spannung um den geplanten Raubüberfall bewegt sich das Buch jetzt, und hat mich dadurch mit meiner anfänglichen Begeisterung leider verloren. Für meinen Geschmack ein paar Schicksalsschläge zu viel hat Sorj Chaladon seinen Heldinnen aufgeladen, denn Jeanne hat vor der Krebsdiagnose bereits ein Kind verloren, was die Beziehung zu ihrem Mann bereits damals in der Kühlschrank der Depression verlagerte. Sie ist natürlich gerade dadurch empfänglicher für die Tragödie um Melody‘s Tochter, genau wie Assia mit ihrem heimlichen Schwangerschaftsabbruch und Brigitte mit ihrem Sohn, der sie später gemieden hat. Doch für mich wurde das sensibel und mit bewegendem Ernst erzählte Buch über den Kampf gegen die Krankheit, das auch Humor und Spott über das eigene Schicksal in sich birgt und gerade dadurch das Leben zu feiern vermag wie es kaum ein anderer Roman vermag, zum fast Klamaukhaften Krimi.


Sorj Chaladon schreibt mit stilistischer Klasse, und er bleibt sich treu, indem er seine Figuren ins Spannungsfeld zwischen Gut und Böse zu setzen vermag. Er erzählt mitreißend und vermag es, Anteilnahme für seine Figuren zu wecken. Das Schicksal von Jeanne am Anfang ihres Weges zeugt davon, dass er sehr genau den Grat zwischen Leben und Tod beim Kampf mit einer schweren Krankheit ausloten kann und vor allem kitsch- und klischeefrei davon zu schreiben vermag. Aber die Räuberpistole, die er im Verlauf der Handlung hervorzaubert, ist in meinen Augen kein gelungener Twist sondern einfach albern und übertrieben. Ich liebte den letzten Roman von Sorj Chaladon „Am Tag davor“ sehr, bei diesem Buch hier folge ich dem Autor leider nicht mit so großer Begeisterung. Neben der nicht gelungenen Wende nehme ich dem Buch das übertriebene Pathos am Ende übel, bei dem Chaladon wieder zur Krebsgeschichte zurück kehrt, allerdings mit reichlich Abendrotstimmungs-Kitsch.





Sorj Chaladon „Wilde Freude“

aus dem Französischen von Brigitte Große

Roman gebunden, 288 Seiten

erschienen beim dtv-Verlag

am 21.August 2020

ISBN 978-3423282376

Preis 22 €



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