29. Oktober 2020

Kalmann

Setting im hohen Norden Islands, eine ungewöhnliche Geschichte, die sich als Kriminalfall oder als Milieustudie eines abgeschiedenen Ortes einordnen läßt und ein ungewöhnlicher Protagonist - der Sonderling Kalmann, zeichnen den neuen Roman des Schweizer Autors Joachim B. Schmidt aus. Man liest das Buch mit großem Vergnügen, egal ob als Krimi oder Sittenbild. 


Kalmann hat alles, was er zum Leben und Überleben im kalten Norden Islands braucht. Er lebt vom Jagen von Polarfüchsen und macht nach seinem Großvater den besten Gammelhai auf ganz Island. Weil er schon als Kind langsamer als andere war, gab er oft Anstoß zum Gelächter, und Kalmann lachte immer mit, um nicht der einzige zu sein, der nicht lachte. Sein Großvater glaubte an ihn und brachte ihm bei, wie man beim Jagen mit einem Gewehr umgeht und wie man Gammelhai - ein Nationalgericht Islands - herstellt. Der Großvater sitzt mit schwindendem Geist im Pflegeheim, und ist dennoch das einzige wichtige für Kalmann.


Das Kaff Raufarhöfn droht im weißen Nichts zu verschwinden, nachdem durch Fangquotenspekulationen der früher von der Fischerei belebte Ort nunmehr unbedeutend geworden ist. Der windige Geschäftsmann Robert McKenzie wartet mit dem Steinkreisprojekt Arctic Henge und einem Hotel für den Tourismus auf. Dann verschwindet er spurlos, und Kalmann findet eine Blutlache im Schnee. Es ist zu viel Blut für ein Tier, und die Fußabdrücke hinunter zum Dorf sind auffällig. Kalmann erzählt im Ort davon, und sein sonst geregeltes Leben gerät aus der Bahn. Polizei taucht im Ort auf, und als eine Faß mit Rauschgift aus dem Meer gefischt wird, ist es mit der beschaulichen Ruhe endgültig vorbei. Die verantwortliche Ermittlerin glaubt Kalmann zwar, weil sie spürt, dass er nicht lügen kann, aber Kalmann ist vergesslich. Besonders wenn er mit seinem kleinen Boot allein auf dem Meer zu seinen Haifisch-Angeln fährt, leert sich sein Geist und schiebt schreckliche Dinge einfach beiseite.


Das Buch ist kein reiner Krimi, auch wenn man es so lesen kann. Es ist eher eine Hommage für einen Sonderling, einen Zurückgebliebenen, an einen Dorftrottel. Er funktioniert einfach anders als die Menschen um ihn herum, aber er hat seinen Platz im Dorf Raufarhövn gefunden. Er trägt Cowboyhut und Sheriffstern, seine Montur, und eine Pistole von seinem Vater. Er darf nicht Auto fahren, doch es findet sich immer jemand, der ihn zu seinem Großvater ins Pflegeheim fährt. Mit all seiner Schrulligkeit ist Kalmann ein ungewöhnlicher und sehr lebendiger Charakter, aus dessen Perspektive Joachim B. Schmidt die Geschichte aufrollt. Mit seiner liebevollen Figurenzeichnung, der Detailliebe und einer guten Portion hintersinnigen und weisen Humor bereitet das Buch ein ganz besonderes Lesevergnügen. Dass man dem Erzähler bis zum Schluss nicht trauen kann ist noch ein besonderes Bonbon. 


Diese lakonisch erzählte Geschichte des isländischen Originals mit Sheriffstern voller Verwicklungen und Überraschungen reicht von witzig bis herrlich verquer, hat Tiefsinn und hohen literarischen Unterhaltungswert - was will man mehr.





Joachim B.Schmidt „Kalmann“

Roman,gebunden, 352 Seiten

Erschienen im August 2020 bei Diogenes

ISBN 978-3257071382

Preis 22€




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.