8. März 2017

Dramatische brasilianische Familiengeschichte






Der Debütroman "Luana" von Luiza Sauma ist eine mitreißende und tragische Familiengeschichte, die nach Hitze, Sonne und Wehmut Brasiliens schmeckt.

"Mamãe starb im Januar 1985 bei einem Autounfall auf der Straße, in der ich aufgewachsen bin. Alles, was danach passierte, war zweitrangig."

André Cabral ist 16 Jahre alt, als seine Mutter in Rio de Janeiro tödlich verunglückt und die Familie mit dem Vater und seinem 10 Jahre jüngeren Bruder traumatisiert zurück lässt. Er erlebt nach dem Unfall alles wie durch einen Schleier, kapselt sich von seinen Freunden ab und versucht, den Tod der Mutter zu verarbeiten. Unterschwellig spürt er ständig den Verlust, fühlt die Leere in der Wohnung, die sie zurück gelassen hat, sieht sie in seinen Träumen und Albträumen.
Andrés Vater verschanzt sich hinter seiner Arbeit als Schönheitschirurg, der kleine Bruder Thiago sucht Trost bei Rita, dem Hausmädchen, das mit ihrer Tochter, wie damals bei reichen Brasilianern üblich, in der Wohnung der Familie in Rio wohnt.
Es ist die Zeit des Endes der Militärdiktatur in Brasilien, doch André bekommt wegen seiner Trauer kaum etwas davon mit und es interessiert ihn auch nicht wirklich. Er ist, wie seine Freunde auch, aufgewachsen mit dem silbernen Löffel im Mund, ohne politische Sorgen.
Ein Jahr nach dem Tod der Mutter verlieben sich André und Luana, die schöne halbwüchsige Tochter von Rita, ineinander, und sind sich dabei bewusst, dass ihre Liebe wegen Überschreitung der gesellschaftlichen Klassengrenzen keine Zukunft hat.
André verlässt Rio nach der Schule mit 18 Jahren und geht nach London, wo er Medizin studiert, seine spätere Frau Esther kennenlernt und mit ihr eine Familie gründet. Nach vielen Jahren bekommt er einen Brief von Luana mit rätselhaften Andeutungen, der ihn aus der Bahn wirft...

"Ich werde Dich warten lassen, so wie Du uns hast warten lassen.“

André ist zu Beginn des Buches über 40 Jahre alt und gestandener Hausarzt, wohlsituiert und seit kurzem getrennt von seiner Frau in London lebend, erinnert sich an seine Jugend in Brasilien, insbesondere an die Zeit nach dem Unfall seiner Mutter. Einfühlsam, poetisch und ein bisschen melodramatisch erzählt die Autorin die Geschichte des jungen André, der versucht, sein Leben weiter zu leben. Er vermisst seine Mutter, die Umarmungen des liebevollen schwarzen Hausmädchens Rita, denen er als 17jähriger fast-Mann entwachsen ist und um die er seinen kleinen Bruder beneidet. Zurückgezogen leidet er allein, nachts, in seinen Träumen.
Sein Vater versucht, ihn zur Arbeit anzuleiten, er möchte, dass sein Sohn seine Klinik übernimmt. Doch André wehrt sich gegen den ihm eigentlich nicht vertrauten Vater, bricht aus Konventionen aus, zum Beispiel durch seine Liebe zu Luana, und flüchtet schließlich aus Brasilien, ohne zurück zu blicken.

Unterbrochen werden die Erinnerungen, die André an seine Jugend hat, von Luanas Briefen, wodurch Stück für Stück ein vergrabenes Geheimnis offenbart wird, das André letztlich dazu bringt, nach Brasilien zu reisen. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, zu spät und nach zu langer Zeit hat André sich erinnert und aufgerafft, manchmal kann nichts bereinigt oder gerichtet werden.
Darin liegt wohl die Tragik der Geschichte, er versucht, seiner Vergangenheit zu entfliehen und wird nach vielen Jahren von ihr doch wieder eingeholt.

„Du warst zu jung, um zu wissen, was du tatest und ich war zu jung, um dich davon abzuhalten.“

Wie André übergeht die Autorin in ihrem Buch die gesellschaftspolitische Lage im damaligen Brasilien weitgehend. Man bekommt einen kleinen Einblick in die Klassenteilung, erfährt am Rande des Geschehens von der täglichen Gewalt durch Raubüberfälle, spürt der Lebensart der reichen hellhäutigen Brasilianer nach. Mehr jedoch nicht, und darum geht es in dem Roman auch nicht vordergründig. Die Kritik ist subtil und unterschwellig eingeflochten, wenn zum Beispiel die Rede davon ist, dass die Dienstmädchen Rita und Luana der Familie Cabral nicht gleichgestellt sind, oder dass Luana die Schule nicht beenden kann. Für André, durch dessen Augen man das Geschehen betrachtet, ist dies normal, und durch seinen Schmerz hat er keinen freien Blick entwickeln können. Erst im Nachhinein erlebt er diesbezüglich eine Änderung, als er schon lange in London gelebt hat.


Völlig unkitschig schreibt sie Autorin, von der Trauer, von der Liebe zwischen André und Luana und von seinem Neuanfang in Europa. Ohne Happy End, ohne Tränen sondern einfach so, wie im richtigen Leben, schließt sich der Kreis für André bei seiner Reise nach Brasilien, und er muss für sich selbst einen neuen Anfang finden.
Sprachlich schafft es die Autorin dabei, die Hitze und Lebenslust der Brasilianer spürbar zu machen. Gleichzeitig gelingt ihr auch der Vermittlung der verzweifelten Versuche Andrés, sein Leben zu meistern und mit der Trauer um seine Mutter zurecht zu kommen. Ein bisschen wohldosierte Melodramatik, wie in einer guten Telenovela, bekommt der Geschichte dabei sehr gut.

Fazit
Ein mitreißendes und eindringlich erzähltes Buch, sehr zu empfehlen für alle, die unkitschige Familiengeschichten mögen; ein Buch, das durch Zeitwechsel, Rückblicke und teils überraschende Wendungen spannenden Lesegenuss bietet. Das ist mir eine Leseempfehlung und gute vier Sterne wert,

Die Autorin Luiza Sauma, geboren in Rio de Janeiro, lebt in London und wurde 2014 mit dem Pat Kavanagh Award ausgezeichnet. Luana ist ihr Debüt.


Luiza Sauma "Luana"
Roman, gebunden, 304 Seiten
Verlag Hoffmann und Campe
Erschienen am 17.02.2017
ISBN 978-3455000016
Preis 20,00 €

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