28. August 2016

Rezension zu "Niemand weiß, wie spät es ist" von René Freund



Das Buch "Niemand weiß, wie spät es ist" bietet Lesevergnügen mit sympathischen Charakteren, einer großartigen und verrückten Reise und erzählt eine Geschichte vom Suchen und Finden auf recht ungewöhnliche, melancholische und oft auch witzige Weise. Es ist kein tiefschürfender und problembehafteter Roman, sondern klug geschriebene Unterhaltungsliteratur, die nicht platt und klischeebehaftet sondern leichtfüßig und modern daherkommt und dennoch sehr sensibel mit dem Thema Verlust und Trauer umgeht.

Klappentext
Nora hat ihren Vater verloren. Das wäre schon schlimm genug, doch dann erfährt sie seinen letzten Willen. Sie muss Paris und ihr schönes Leben dort verlassen, um mit der Asche ihres Vaters im Handgepäck und einem pedantischen jungen Notariatsgehilfen, der ihr täglich das nächste Etappenziel mitteilt, eine Wanderung zu unternehmen - durch ein Land, das sie kaum kennt.
Nora, die lebenslustige Chaotin, und Bernhard, der strenge Asket, folgen zwischen Regengüssen, Wortgefechten und allmählicher Annäherung einem Plan, der ihr Leben auf den Kopf stellen wird. René Freund nimmt seine Leser mit auf eine ungewöhnliche Reise. Was hinter der nächsten Wegbiegung wartet, ist immer wieder überraschend - und schließlich überraschend schön.

Nora, die Pariser Großstadtamazone, mit dickem roten Kater, verrückten Freunden und einem gemütlichemTagesablauf wirkt auf den ersten Blick zufrieden mit ihrem Leben. Doch der Tod ihres Vaters und insbesondere sein letzter Wille reißen sie völlig aus der Bahn und zwingen sie auf eine Reise, bei der ihr verstorbener Vater manipulativ das Zepter führt und sie zum Nachdenken und zur Änderung ihrer Sichtweise zwingt.

Als Leser verfolgt man das Geschehen teils amüsiert, teils verständnislos und Kopfschüttelnd, teils mit Tränen in den Augen wegen der Liebe und Melancholie, die besonders in den vom Vater hinterlassenen Briefen zum Ausdruck kommt. Es ist eine wirklich wundervolle Reise auf dem Weg zur letzten Ruhe zum einen und auf dem Weg des Sinnfindens und zurück ins Leben zum anderen. Die beiden Hauptcharaktere Nora und Bernhard nähern sich auf ihrem fast pilgerhaftem Fußweg einander an, öffnen sich, streiten sich und raufen sich letztendlich zusammen, obwohl sie anfangs grundverschieden erscheinen. Nora wächst über sich hinaus und beginnt, Dinge mit veränderter Sichtweise zu sehen.

Der Stil ist teils von sanfter Melancholie, teils von überschwänglicher Lebensfreude geprägt. Man wird als Leser auf angenehmste Weise hin und hergeschickt zwischen witzig und profanen Situationen und tiefsinnigen, philosophischen und emotionalen Gedanken und Dialogen. Doch alles ist rund, passt sehr gut und liest sich sehr flüssig.

Jedoch habe ich einen Kritikpunkt an der Umsetzung am Ende des Buches. Hier verliert die Geschichte in meinen Augen ein wenig an Glaubwürdigkeit, die Nachvollziehbarkeit von Noras und Bernhards Handeln geht für mich verloren, als beide mit einer völlig überraschenden Tatsache konfrontiert werden und sehr leichtfüßig darüber hinweggehen.
Doch das wird aufgewogen von einem wirklich wunderbarem Ende, nach einer Achterbahn der Gefühle trieb mir der letzte Brief von Noras Vater die Tränen in die Augen und ließ mich mit einem dicken Kloß im Hals das Buch zuklappen.

Ich gebe eine unbedingte Empfehlung für Leser, die gute, überraschende, witzige und emotionale Unterhaltung lieben. Das Buch bewerte ich mit vier Sternen.

René Freund lebt und arbeitet als Autor und Übersetzer im Almtal. Er studierte Philosophe, Theaterwissenschaft und Völkerkunde, arbeitete als Dramaturg am Theater in Josefstadt und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht.


Niemand weiß, wie spät es ist
René Freund
Fester Einband, 272 Seiten
Verlag: Zsolnay, Paul
ISBN 9783552063266
Erschienen Juli 2016

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.