4. August 2020

Einfühlsame Studie





Ein bisschen mehr Tamtam um das spannende Psychogramm einer knapp Fünfzigjährigen Frau aus der Französischen Provinz hätte ich mir gewünscht vom Pric-Concourt-Preisträger Nicolas Mathieu in seinem neuen Kurzroman „Rose Royal“. Denn die Geschichte gibt es allemal her, dass man sie ausführlicher erzählt und vor allem nicht so abrupt enden lässt.
Aber nichtsdestotrotz ist es ein äußerst lesenswerter eindrucksvoller Kurzroman, mit anhaltender untergründiger Spannung, sprachlich famos und vor allem eine schonungslose Studie über Abhängigkeiten, Angst vor der Einsamkeit, Melancholie und Gewalt zwischen Männern und Frauen.

Rose möchte kein Opfer mehr sein, sie möchte männlicher Gewalt, die bisher ihr ganzes Leben seit den Kindertagen durch Vater und Bruder bestimmte, entkommen und gegenhalten. Sie kauft sich im Internet einen Revolver, den sie ständig mit sich herumträgt und der ihr Sicherheit und Aufregung zugleich verschafft. Sie schwört nach gescheiterter Ehe mit zwei erwachsenen Kindern und vielen mehr oder weniger erfolglosen Beziehungen, One-Night-Stands und Dates den Männern ab. Sie ist für ihr Alter noch sehr ansehnlich und achtet auf sich, ohne eitel zu sein, hat einen Job, eine kleine Wohnung und ein Auto. Das Tageshighlight besteht im genüsslichen Trinken nach Feierabend in der Bar „Royal“. Als sie Luc trifft, ändert sich für sie alles, sie hat die Chance, ihrem schäbigen kleinen Leben zu entfliehen, das rückblickend aus Sehnsucht und immer wieder hingenommener Gewalt geschildert wird.

Einfühlsam schildert der Autor Nicolas Mathieu Rose, er versetzt sich bravourös in eine Fünfzigjährige Frau, die vom Leben gebeutelt zunächst aufgibt, sich wehren möchte und letztlich wieder in einer Gewaltspirale versinkt. Kleine Glücksmomente, die vom Alkohol genauso geprägt sind wie von einem toxischen Mann, der sie letztlich wie ein Strudel erfasst und hinabreißt, beschreibt der Autor treffsicher, er seziert und zerstückelt so das für seine Protagonistin erstrebenswerte glücklichere Leben als dumpfe und männlich beherrschte Falle, in die Rose immer weiter rutscht. Wie paralysiert liest man, wie Rose sich leidlich wehrt gegen physische und psychische Gewalt, im Alkohol Trost sucht und findet und sich letztlich treiben lässt.



Nicolas Mathieu „Rose Royal“
Roman, gebunden
96 Seiten
Verlag: Hanser Berlin
Erschienen am 20. Juli 2020
ISBN 978-3446267855
Preis 18€

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.